Es kann kein Zufall sein, dass ich mitten in der Weltwirtschaftskrise einen 24-Stunden-Blutdrucktest gemacht habe. Man sucht nach Sicherheiten. Wenn alles rutschet, stürzet, fallet, möchte man wenigstens wissen, ob das eigene Herz richtig arbeitet und der eigene Kreislauf funktioniert, mag es auch mit den Kreisläufen in der Wirtschaft dahingehen.
Man schnallte mir eine aufblasbare Manschette um den linken Arm und hängte einen zigarrenkistengroßen Kasten um meine Schultern, der mit der Manschette durch einen Gummischlauch verbunden war. So gut es ging, versuchte ich die Gerätschaften unter der Kleidung zu verbergen. Es ging nicht gut, zumal die Manschette pro Viertelstunde einmal aufgeblasen wurde. Es machte jedes Mal Pieppiep, dann Brrrrfffffttt. Darauf wurde die Luft unter Pfft-pfftpfft wieder abgelassen. Abschließend: einmal Piep. Man meidet menschliche Gesellschaft an solchen Tagen. Möchte nicht von anderen mit einer Piepsfurzmaschine gesehen und gehört werden. Irgendwie hatte ich in diesen 24 Stunden das Gefühl, mein Inneres bestehe nicht aus Fleisch und Blut. Sondern ich sei eine aufblasbare Hülle, deren Innendruck mithilfe von Pieppiep-Brrrrfffffttt-Pfftpfftpfft-Piep immer wieder nachjustiert werden müsse.
Interessante Vorstellung: Könnte es irgendwo im Weltall Lebewesen geben, in deren Innerem es nicht Blut-, sondern Luftdruck gibt? Die sich morgens schlaff vor einen Spiegel schleppen, irgendein Körperventil an eine Apparatur anschließen und sich aufpusten lassen? Ehrlich gesagt, begegne ich jeden Tag Leuten, bei denen ich das Gefühl habe, es laufe bei ihnen genau so. Aufgeblasene Typen. Kerle, denen man mal die Luft ablassen müsste. Oder schlaffe Gestalten, bei denen das Körpermanometer Alarm schlagen müsste – so platt sind sie.
In diesem Zusammenhang folgende Beobachtung: Je länger die Krise dauert, desto wichtiger wird für jeden von uns (jedenfalls für die Fußballfreunde) der Fußballklub. Aus Gründen, die ich selbst nicht nachvollziehen kann und die ich weder erklären möchte noch überhaupt könnte, ist es für mich wichtig, dass der FC Bayern gewinnt. Aber! In Zeiten guter Konjunktur habe ich Bayern-Siege sozusagen als Dreingabe betrachtet und mich bei Niederlagen dem Tag zugewandt. Jetzt aber scheint mir eine Bayern-Niederlage immer schwerer zu verwinden und ein Bayern-Sieg den Druck in meinem Innern zu stabilisieren.
Vermutlich liegt das daran, dass der Mensch nur ein gewisses Quantum schlechter Nachrichten ertragen kann und, wenn es damit zu viel wird, auf gute Nachrichten, von woher auch immer, angewiesen ist – und sei es vom Fußball. Oder von der Blutdruckfront. Oder dass ich noch vier ungesehene Staffeln Sopranos auf Vorrat habe.
Wäre ich bildender Künstler, würde ich auf der nächsten Documenta in Kassel über meine 365-Tage-Blutdruckkurve von 2009 das Auf und Ab des DAX legen, darunter das Blutdruck-Diagramm eines Nilkrokodils. Oder eines Top-Bankers. Oder beides.
Und wenn alle Stricke reißen, mache ich eine Fastenkur nach F.X. Mayr. Gesundung des Körpers durch Entgiften und Kurieren des Darmes! In einer österreichischen Zeitung las ich ein Interview mit einem Facharzt, der einen durchschnittlichen F.X.-Mayr-Fastentag schilderte: »Nach einem Glas Bittersalz wird Dinkelbrot mit Ziegenjoghurt und Tee gefrühstückt. Das dauert lange, weil viel gekaut werden muss. Mittags ebenso…« Hoffentlich ist die Krise vorher zu Ende!
Apropos Darmgesundheit: Frau W. aus Kareth schickte dem Wortstoffhof eine Ausgabe des Mitteilungsblatts ihres Sportvereins, der SG Post/ Süd Regensburg, aus dem Jahr 2007. Dort wurde vom Jahresempfang des Klubs berichtet, einer Festlichkeit, bei der auch ein Sketch zweier Mitglieder zur Aufführung gelangte, der so erfolgreich war, dass er, wie berichtet wurde, »in die Analen des Vereins eingehen« werde.
Illustration: Dirk Schmidt