Wie die Dinge liegen, glaube ich allmählich, dass in der Mitte unserer menschlichen Gemeinschaft geheimnisvolle Zerstörungsgeister existieren, Wesen, welche die Dinge kaputt machen, derer wir im täglichen Leben bedürfen.
Wie ist es sonst möglich, dass meine Kaffeemaschine, die in den ersten Wochen ihrer Existenz Morgen für Morgen tadellosen Milchschaum lieferte, plötzlich nur noch heiße weiße Flüssigkeit hervorsprotzelt?
Warum befindet sich im Vorderrad meines Fahrrades, ohne dass ich ihm das Geringste getan oder auch nur irgendeinen verursachenden Vorfall beobachtet hätte, plötzlich ein schlimmer Knick, sodass es schwer eiert und kaum noch zu benutzen ist? Wieso ist von einem Tag auf den anderen mitten in der Straße, in der sich unsere Wohnung befindet, ein so tiefes Schlagloch, dass bei dessen Durchqueren mit dem Auto alle Rückenwirbel klackend aufeinanderschlagen?
Und sehen Sie, hier, dieser Text, gestern Abend habe ich ihn geschrieben und heute Morgen ist schon wieder ein Loch drin, mitten im Satz! Wer war das?
Wer macht sich, wenn ich schlafe, an meinen Werken zu schaffen und schlägt Lücken hinein, da! schon wieder , wo ist die x-Taste, xxxxxxxx, ich muss die Löcher abdichten, wie der Installateur die Fugen mit Silikon schließt, aber schön sieht es nicht aus, ein neuer Text und schon geflickt, es ist zum Heulen.
Es muss da eine unbekannte, die Funktionsweise aller Dinge systematisch erodierende Kraft geben, düstere Anti-Heinzelmännchen, die nachts in
unserer Welt herumschleichen, Bleche verbiegen, Leitungen verstopfen, Verbindungen zerbrechen …
Gerade als ich dies denke, entdecke ich auf meiner Lieblings-Internetseite Riesenmaschine.de die Nachricht vom Projekt Free Repair des Schweizers Roland Roos. Dieser Roos ist, wie man auch auf seiner eigenen Seite rolandroos.net sehen kann, zwei Jahre lang durch Europa gereist und hat Kaputtes repariert. Eine zerschlagene Toilettentür in Bratislava, eine defekte Parkbank in Berlin, der aus dem Boden gerissene Poller auf einem Bürgersteig in Brüssel, verbogene Dachrinnen in Oslo – Roos sah diese Dinge, fotografierte sie, reparierte
alles über Nacht fachmännisch, einwandfrei und makellos, fotografierte wieder und ging seiner Wege, honorarfrei, keinen Dank erwartend.
Ein verwandtes Projekt hat der Künstler Jan Vormann in Metropolen wie Tel Aviv, Bocchignano und Berlin, auch in Amsterdam verfolgt: Er hat überall an öffentlichen Bauten, Denkmälern, Wänden, wo der Stein bröselte und das Mauerwerk herausgebrochen war, die entstandenen Lücken mit Legosteinen ausgebessert, was gegenüber jedem anderen Werkstoff den Vorteil hat, dass die entstandenen Brüche einerseits geschlossen werden, andererseits sichtbar bleiben, wo-von in jeder Hinsicht natürlich auch die Firma Lego profitiert. Aber was ist dagegen schon zu sagen?
Nichts. Denn das hier ist große Kunst, jedem sofort verständliche, ungeheuer moderne, den dunklen Mächten, diesen verborgenen, unverständlichen Zerstörungsgewalten sich entgegenstemmende, verehrungswürdige KUNST!
Warum gibt es nicht mehr davon? Warum unterstützt nicht der Staat, warum sponsorn (oder meinetwegen sponsern?) nicht große Unternehmen Reparierkünstler aller Art, die nachts in unserer Mitte unterwegs sind, um
unsere kaputte Welt wieder in Ordnung zu bringen?
Übrigens hat die Künstlergruppe Platform 21’s vor einer Weile ein »Reparaturmanifest« veröffentlicht. In elf Punkten wird die Reparatur alles Defekten gefordert. Nichts soll mehr weggeworfen werden! Reparatur sei eine kreative Herausforderung, heißt es da, auch löchrige Plastiktüten könne man in Ordnung bringen. Dinge zu reparieren bedeute, sie zu entdecken – und auch: Repariertes ist immer ein Unikat! Das ist wahr. Selbst dieser einige hunderttausend Mal in gleicher Weise gedruckte Text wird einzigartig, wenn Sie die kauptten Wröter diran mit der Hand ripiririn – tun Sie’s!
Illustration: Dirk Schmidt