Es hat diverse Gründe, dass viele von uns keine Politiker sind, vor allem diesen: Wir haben zu den verschiedensten Vorgängen und Sachverhalten im Erdkreis keine Meinung. Wir sind oft unentschlossen. Wir zögern, sind schlecht informiert, zu sehr mit anderem beschäftigt. Wir sind zu faul.
Ein Politiker aber muss eine Meinung haben, das ist, was ihn ausmacht: Ein Politiker ohne Meinung ist nicht denkbar. Man kann nicht auf Wahlplakate schreiben »Wählen Sie Müller, den Mann, der es auch nicht so genau weiß« oder »Geben Sie Ihre Stimme Frau Meier, damit sie in Ruhe noch mal über alles nachdenken kann«. Nein, ein Politiker muss eine Ansicht haben, und er muss sie entschlossen vertreten. So kann man ihn von anderen Politikern mit anderen Meinungen unterscheiden, das ist von Vorteil, denn bisweilen müssen wir Meinungsarmen uns zwischen Politikern entscheiden, wir müssen wählen. Da tut es gut, wenn nicht alle Politiker gleich sind.
Nun eine Frage: Muss ein Politiker immer dieselbe Meinung haben? Die Antwort: Das ist nicht notwendig. Es gibt zum Beispiel den Politiker Seehofer, der von allen denkbaren Meinungen in einem gewissen Spektrum jede schon einmal vertreten hat. Seehofer war schon für und gegen die Wehrpflicht, er war ein Befürworter, dann ein Gegner der Gentechnik, auch beim Nichtraucherschutz, der Kennzeichnung von Lebensmitteln durch Ampeln oder dem Zeitpunkt des Rentenbezugs nannte er unterschiedlichste Positionen sein Eigen. Wer Seehofer wählt, weiß, dass der immer eine sehr starke Meinung hat. Nur weiß er nicht genau: welche. Und ob es morgen noch die gleiche sein wird. Man bezeichnet diese Art abrupten Meinungswechsels in eingeweihten Kreisen mit dem Verb seehofern: Er seehofert, er seehoferte, er hat geseehofert (oder seegehofert?).
Hier schließt sich eine zweite Frage an: Wie genau funktioniert der Vorgang des Seehoferns? Wenden wir uns hier dem Politiker Westerwelle zu: W. war noch vor Kurzem der Meinung, der Ausstieg aus der Kernenergie sei »irrsinnig«, Deutschland benötige seine Atomkraftwerke, alles andere sei Hysterie, man brauche diese Werke sogar länger als bisher gedacht. Heute vertritt er ungefähr die gegenteilige Ansicht. Er begründete das mit dem Satz »Wir haben verstanden«, eine Wendung, die wir vor Jahren als Werbeslogan der Firma Opel kennenlernten und die uns später aus Anzeigen des Konzerns Shell noch vertrauter wurde; immerhin drückt sie aber eine gewisse Demut aus. Wenn jemand sagt, er habe verstanden, heißt das ja, dass er vorher nicht verstanden hat – und das bedeutet: Der Politiker sieht seine bisherige Art des Meinungserwerbs durchaus kritisch. Aber wir unsererseits müssen den Politiker wohl nun so sehen, wie wir auch Autofirmen und Ölkonzerne betrachten, sagen wir mal: mit einem gewissen Misstrauen.
Eine zweite Variante des Seehoferns wurde uns kürzlich von den Generalsekretären Gröhe (CDU) und Dobrindt (CSU) vorgeführt. In dieser Ausführung wird der Meinungswechsel, so radikal er sein mag, nicht als Meinungswechsel gekennzeichnet; er wird schlicht geleugnet. Gröhe zum Beispiel erklärte, die Kernkraft sei ein Erbe Helmut Schmidts, man habe sie beim Machtwechsel sozusagen vorgefunden, »ein Kind der sozialliberalen Fortschrittseuphorie«, während seine Partei im Grunde immer schon eine Anhängerin der erneuerbaren Energien gewesen sei. »Wir verlassen diesen Kurs jetzt nicht. Wir wollen ihn aber beschleunigen!«
Dobrindt sprach zu gleicher Zeit: »Wir als CSU werden Kurs halten und die Energiewende ganz massiv vorantreiben. Kernenergie hat in Deutschland keine Zukunft.« Zusammengefasst versteht man richtig etwa so: CDU und CSU standen schon immer an der Spitze der Anti-Kernkraft-Bewegung und wurden bei ihrem Kampf lediglich von Helmut Schmidt, SPD, FDP und im Grunde auch den Grünen ungebührlich behindert.
Die Tatsache, dass sie noch vor Monaten die Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke verlängerten, steht dazu nicht im Widerspruch, im Gegenteil. Dazu wäre noch zu sagen, dass wir Staatsbürger vielleicht meinungslos, zögerlich, schlecht informiert und zu sehr mit anderem beschäftigt sind. Indes: Blöd sind wir nicht.
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Illustration: Dirk Schmidt