Bruno, mein alter Freund, sagt, er habe im Büro lange eine Karikatur an der Wand hängen gehabt, auf der links die Bedienelemente einer Maschine namens »Frau« gezeichnet waren, rechts die Knöpfe, mit denen ein Apparat namens »Mann« zu steuern war. Das Frau-Gerät hatte Hunderte von Tasten und Regulatoren, digitalen Anzeigen und Skalen, eine Art von unübersichtlichem Flugzeug-Cockpit. Auf der Mann-Seite hingegen gab es nur einen Schalter und einen Drehknopf. Unter dem Schalter standen die Wörter »Ein« und »Aus«, unter dem Drehknopf las man »Lautstärke«.
Vor einigen Wochen las ich einen Bericht über das Volk der Amundawa, das sein Leben im Amazonas-Regenwald verbringt. Im Volk der Amundawa spielt Zeit keine Rolle, es hat für Zeit nicht mal ein Wort. Der Tag der Amundawa zerfällt in zwei Teile, der eine heißt Ara, das bedeutet »Sonnenlicht«, der andere Iputunahim, das ist »schwarz«. Auch das Jahr teilen die Amundawa in zwei Teile, die Trockenzeit Kuaripe und die Regenzeit Amana.
Einen anderen Begriff von Zeit haben die Amundawa nicht, sie verstehen Zeit nur als Wechsel von Tag und Nacht, Regen- und Trockenzeit, tick-tack, sie können über Zeit nicht reden, weil sie keine Möglichkeit haben, ihr Fortschreiten zu messen oder zu zählen, denn ihre einzigen Zahlen sind 1 und 2, pèi und monkoi.
Das einzige Volk auf der Welt, das eine ähnlich simple kognitive Struktur hat wie die Amundawa, ist das der Fußballfreunde, das interessanterweise zum entscheidenden Teil aus Männern besteht. Fußballfreunde unterteilen das Jahr in »Fußballzeit« (Saison) und »Nichtfußballzeit« (Nichtsaison). In der Saison wird der Fußballfreund mit dem Ein-Aus-Schalter angeknipst, seine Lautstärke wird hochgedreht. Geht die Saison zu Ende, verfällt er in einen Stand-by-Modus. Sein Interesse an der Welt ist auf gewisse vegetative Grundbedürfnisse reduziert, seine Körpertemperatur erreicht nur bei Nachrichten wie »Klose geht zu Lazio Rom« oder »Hoeneß: Wir brauchen wieder Typen, die dem Gegner auch mal wehtun können« annähernd eine Höhe, die man »Leben« nennen könnte. Wie der Amundawa-Mensch sich in der Nacht Iputunahim für die Herausforderungen des Tages Ara ausruht, rüstet sich der Fußballfreund in der Nichtsaison für die Kämpfe der Saison.
Jetzt beginnt die Fußball-WM der Frauen. Ich stelle fest: Ich interessiere mich nicht dafür. Nun gibt es vieles, für das ich mich nicht interessiere: Autorennen, Briefmarkensammeln, die Zellstruktur von Porree, der Eurovision Song Contest … Aber, Leute, ich spüre, dass hier im Raum die Frage steht: Hat sein Desinteresse damit zu tun, dass es eine Fußball-WM »der Frauen« ist?
Und ich sage: Ja, damit hat es zu tun. Ich bin damit aufgewachsen, dass Fußball Männersache ist. Ich finde gut, dass es so geblieben ist. Ich habe mich von vielen Dingen, mit denen ich aufgewachsen bin, verabschiedet, von dieser Sache werde ich mich nicht trennen. Mein Vater hat mich als Kind zu den Spielen mitgenommen, ich saß auf seiner Schulter, um besser sehen zu können, die Fußballtage gehörten zu den wenigen Tagen, an denen ich meinem Vater nahe war; das gehört zu meinen schönsten Erinnerungen.
Was ich am Fußball liebe, ist nicht das Komplizierte. Es sind nicht Fragen der Spielsysteme und der Ballbesitz-Quoten. Ich mag am Fußball, dass bei mir da ein Schalter umgelegt und die Lautstärke aufgedreht wird. Das Leben ist sehr kompliziert heutzutage, Fußball ist einfach. Fußball ermöglicht mir, in der modernen Welt neben allem, was ich dort zu tun habe, in einer meiner Existenz-Schichten auch das Leben eines Amundawa-Mannes zu leben. Regenzeit, Trockenzeit, Kuaripe, Amana, Saison, Nichtsaison.
Wobei ich überhaupt nichts gegen eine Fußball-WM der Frauen habe, wieso das denn? Ich finde es sogar gut, dass sie in Deutschland stattfindet. Ich werde nur die Spiele nicht sehen. Ich habe genug zu tun, mich auf das Kicker-Sonderheft für die nächste Bundesligasaison zu freuen, mit all den Männern darin.
Illustration: Dirk Schmidt