»Wenn Ihr Kind mutig ist, sollten Sie es auch sein«

Wie verhält man sich als Eltern, wenn der Sohn sich zu Jungs hingezogen fühlt? Wenn die Tochter kein Mädchen sein möchte? Die Kinder- und Jugendpsychiaterin Dagmar Pauli erklärt, wie man Heranwachsende dabei unterstützt, eine selbstbewusste sexuelle Identität zu entwickeln.

Dagmar Pauli, 59, lebt und arbeitet in Zürich. Sie ist Chefärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der dortigen Psychiatrischen Universitätsklinik. Vor 13 Jahren gründete sie die erste Sprechstunde für Kinder und Jugendliche mit Geschlechtsinkongruenz in der Schweiz. Seither hat sie unzählige Gespräche mit queeren Jugendlichen und deren Familien geführt. Pauli ist verheiratet und selbst Mutter von drei erwachsenen Kindern.

SZ-Magazin: Frau Pauli, wann merken Kinder, wie sie lieben?
Dagmar Pauli: Meistens zu Beginn der Pubertät, also mit 13 oder 14. Der Körper verändert sich, Sexualhormone lassen die Jugendlichen erkennen, zu welchem Geschlecht oder welchen Geschlechtern sie sich hingezogen fühlen. Liebesgefühle stellen sich auch schon bei viel jüngeren Kindern ein, das ist aber eher kindliche Verliebtheit und weniger sexuelles Bedürfnis.

Wie gibt man als Eltern seinem Kind die nötige Sicherheit, sich ohne Angst zur eigenen Sexualität und Identität bekennen zu können?
Kinder sollten die Vielfalt der menschlichen Liebe von Beginn an kennenlernen dürfen. Homosexuelle Paare in der Öffentlichkeit, trans Personen in Kinderbüchern oder auch Patchworkfamilien – all das sind wertvolle Eindrücke, bei deren Entdeckung man sein Kind begleiten sollte. Man muss keine komplizierten Vorträge halten. Spürt ein kleines Kind, dass die Eltern andere Lebensentwürfe als gleichwertig erachten, schwinden Berührungsängste von selbst.