Von großen Pessimisten wird nun zur Vorratshaltung geraten, um der Krise zu begegnen, also: Konserven und Wasser in den Keller, dazu vielleicht eine Handfeuerwaffe, um dies alles notfalls angemessen verteidigen zu können. Meine Gedanken hingegen schweifen zur Tiefseekrabbe Kiwa puravida, die wegen ihrer langen, von weißen Härchen bedeckten Arme auch Yeti-Krabbe genannt wird. Kiwa puravida lebt in tausend Meter Tiefe, in kleinen Spalten am Meeresboden, aus denen Methan strömt. Immerzu bewegt sie die Arme mit den langen weißen Haaren, und jetzt hat man herausgefunden, warum sie das tut. Die Krabbe fächelt nämlich so den auf ihren Armen zwischen den Haaren lebenden Bakterien Nährstoffe zu – und von genau diesen Bakterien ernährt sie sich. So stand es auf der Internetseite der Zeitschrift National Geographic.
Ist das nicht großartig? Dass es Wesen gibt, die in unwirtlichster Umgebung auf ihren eigenen Armen Nahrung züchten; die ein unendlich friedlich-genügsames Leben als Armfarmer führen. Man stelle sich vor, auch auf unseren Unterarmen wüchse zu den Mahlzeiten jeweils etwas Appetitliches heran! Und unsere Aufgabe im Leben bestünde lediglich darin, durch ruhiges Bewegen dieser Arme die Wuchsbedingungen dieser Speisen zu verbessern.
Es gäbe kein Heute und kein Morgen, es gäbe keine neuen Räume, es gäbe immer nur dieses ruhige Fressen von den eigenen Gliedmaßen. Bei der Gelegenheit muss ich an Kim Jong-il denken, den unlängst verschiedenen nordkoreanischen Diktator, dem es, wie nur wenigen großen Verbrechern, gelang, das Komische und das Widerwärtige in sich zu vereinen. Kim ließ zum Beispiel über seine Geburt behaupten, er sei auf dem heiligen Berg Paektu zur Welt gekommen, seine Geburt sei von einem neuen Stern begleitet worden, zwei Regenbogen erschienen danach zugleich, gefolgt von einem sprechenden Eisberg.
Diese Idee wäre eines Michael Ende würdig gewesen, nicht wahr? Wie Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer auf ihren Fahrten einem sprechenden Eisberg begegnen, der eine traurige Geschichte nach der anderen erzählt, während von ihm Scholle um Scholle abbricht, bis er sich schließlich vollends tauend dem Meere vermählt. Kim Jong-il ließ im Jahr 2006 einmal bei einem deutschen Kaninchenzüchter namens Karl Szmolinsky in der Nähe von Berlin zwölf Riesenkaninchen bestellen. Szmolinsky ist in Fachkreisen eine Berühmtheit, er züchtete, bis er sein Hobby letztes Jahr an den für solche Fälle auch in Eberswalde jederzeit verfügbaren Nagel hängte, Kaninchen, die man eigentlich nicht mehr Kaninchen nennen dürfte, so groß sind sie, Kanine also von sechs, sieben Kilogramm, groß wie Cockerspaniels. Unvergessen sind – auch Szmolinsky selbst übrigens – seine Erfolge von der Bezirksjungtierschau 1972 in Eberswalde bis zur Rammlerschau 2005 in Finowfurt. Und wer weiß, wenn die Krise sich ins Katastrophale verschlimmert – vielleicht werden auch wir Szmolinskys Kenntnisse noch benötigen.
Kim jedenfalls orderte die Tiere als Basis für eine große Zucht, er beabsichtige, so hieß es, sein Volk mit ihrem Fleisch und dem ihrer Nachkommen zu ernähren. Szmolinsky sollte seinen Kaninen nach Pjöngjang nachreisen und eine große Farm für Riesenkaninchen aufbauen. Dazu kam es jedoch nicht mehr, das deutsche Dutzend war plötzlich in Nordkorea verschwunden, das Visum ihres Züchters wurde annulliert, und Szmolinksy, der längst weit über siebzig ist, vermutet bis heute, Kim habe seine Langohren zum Geburtstag sich selbst und seiner Bande auftischen lassen, als die zwölf Geschmorten.
Andererseits, wenn man diesen Kim Jong-un so ansieht … Da fehlen im Grunde nur zwei lange Ohren und etwas Fell, die man vielleicht aus Gründen der Optik und der Opportunität entfernt hat, nicht wahr? Wird Nordkorea jetzt von einem schlachtreifen Riesenrammler aus Eberswalde regiert?
Illustration: Dirk Schmidt