Was ist das bloß mit diesen Automaten, in die man sich reinsetzt, damit sie ein Passfoto machen? Oder eines für den Führerschein. Man kann ja machen, was man will, man kann zum Friseur gehen vorher, man kann eine Packung mit Aufputschpillen leer gelutscht haben, man kann frisch vom besten Sex seines Lebens kommen, man kann sein Gesicht von der fähigsten Kosmetikerin der Stadt tunen lassen – immer sieht man dann auf den Fotos, die im Auswurfschacht dieses Gerätes liegen, aus wie ein gerade verhafteter Kreuzfahrtschiffskapitän oder das notdürftig gekämmte Opfer eines grauenhaften Gewaltverbrechens, wie eine Wasserleiche, ein Lawinenopfer, eine Mumie nach dem Auswickeln oder wie Christian Wulff ohne Upgrade.
Es ist unglaublich eigentlich. Diese Dinger müssen in einer bestimmten Weise programmiert sein, sie sollen uns demütigen. Der Staat möchte uns mithilfe von Ausweisbildern sagen: Sieh dich an, wir geben dir einen so schönen Ausweis, wir verleihen dir eine Identität, wir machen dich zum Staatsbürger, du darfst wählen gehen, wir lassen dich sogar an den Menschenrechten teilhaben – aber warum eigentlich? So hässlich, wie du bist, so teigig und fahl deine Gesichtshaut, so irr dein Blick, so schütter dein Haar: Warum sind wir so großzügig zu dir, wenn du doch so klein, scheußlich und unscheinbar bist? Wir verstehen es eigentlich selbst nicht.
Aber es ist wohl, weil wir, der Staat und seine Organe, so umfassend gut und großzügig sind, weil wir größer, schöner und besser sind als du Ausweiswicht. Darum ist es. Sieh dich doch noch mal an, dann weißt du, warum wir zu Recht Steuern von dir verlangen. Gibt es von uns, dem Staat, ein Foto? Nein, der Staat lässt sich nicht fotografieren, fotografiert wirst nur du.
Interessant ist nun, dass Shigeomi Koshimizu, Professor am Advanced Institute of Industrial Technology in Tokio, mit einem Team einen Autositz entwickelt hat, der Menschen aufgrund der je spezifischen Formung ihres Gesäßes erkennt, mit 98-prozentiger Sicherheit angeblich. Ein System von 360 Sensoren in den Fahrersitzpolstern misst die anscheinend unverwechselbaren Ausformungen eines Hinterns und entscheidet dann, ob sein Besitzer diesen Wagen fahren darf oder nicht. Das bedeutet, lese ich auf der Internetseite PhysOrg.com, dass man in Zukunft den Autositz als zusätzlichen Schutz gegen Autodiebe nutzen kann.
Lassen wir mal die Fragen beiseite, die sich sofort aufdrängen: Kann ein dickes Portemonnaie nicht die Wahrnehmungen der Sensoren beeinflussen? Wird mein Wagen mich nach den Weihnachtsferien noch wiedererkennen? Was ist, wenn mich meine Frau nach einer ausgiebigen Feier heimfahren möchte? All diese Kleinlichkeiten gehen uns jetzt mal für einen Moment am Arsch vorbei.
Denn wenn die Geschichte wahr ist, dann bedeutet dies ja nichts weniger als: Der Po eines Menschen ist von ähnlicher Unverwechselbarkeit wie sein Fingerabdruck. Oder die Iris seiner Augen. Oder sein Gesicht. Das hat etwas, denn er ist dieser Körperteil, der ihn vom Affen unterscheidet. Ein Gesicht hat auch ein Schimpanse. Aber keine andere Primatenart besitzt ein Gesäß wie der Mensch. Erst der aufrechte Gang hat dem Glutealmuskel seine heutige Größe verliehen, ohne ihn könnten wir uns, zum Beispiel, nicht aus dem Sitzen erheben. »Das Gesäß des Menschen ist in gewisser Weise für die Entwicklung seines Gehirns verantwortlich«, schreibt Jean-Luc Hennig in seinem Buch Der Hintern. Hätte der Mensch sich nicht einst in Afrikas Savannen erhoben, wären bis heute nicht seine Hände frei, und es hätte sich auch nicht die Stellung des Schädels zur Wirbelsäule so verändert, dass die Entwicklung eines größeren Hirnes möglich wurde.
Letztlich ist also der Mensch vor allem durch seinen Hintern definiert. Und ist es nicht auch in diesem Zusammenhang ein überaus schöner Gedanke, dass wir in einer gar nicht mehr so fernen Zukunft den staatlichen Organen, die von uns einen Ausweis verlangen, im Gegenzug den nackten Hintern entgegenstrecken könnten?
Illustration: Dirk Schmidt