Nun kommt das DFB-Pokalfinale, dann das Endspiel der Champions League – damit die große Zeit des Elfmeterschießens, auch ab dem Viertelfinale der Fußball-EM. Ein Fünftel solcher Spiele wird durch Elfmeterschießen entschieden! In der Bundesliga gibt es das nicht, dort wird am Ende der Saison abgerechnet, nun aber müssen in den Spielen Entscheidungen fallen. Das gefällt mir. Es gibt im Sport nichts Langweiligeres als ein Unentschieden. Welchen Sinn soll der Fußball haben, wenn es am Ende nicht Sieger zu bestaunen und Verlierer zu bemitleiden gibt? Wenn, nachdem neunzig Minuten lang 22 oder mehr Männer ihr Bestes gegeben haben, die Sache genauso aussieht wie zuvor? Wozu dann die ganze Anstrengung?
Fußballfreunde antworten: Ja, aber die Spielzüge, die Frage des prozentualen Ballbesitz-Anteils, die unglaublich aufregenden Szenen eines Spieles, die herrlichen Pässe der Spielmacher, die fantastischen Paraden der Torleute, die brutalen Fouls, die subtil ersonnene Taktik des Trainers, das Hin- und Herwogen, die drückende Überlegenheit, das Sich-Aufbäumen.
Ich sage: Ja, aber die Möglichkeit eines Unentschiedens, sie stößt mich eben ab. Ich hasse es, neunzig Minuten meines Lebens drangegeben zu haben für ein 0:0, ein 1:1, das ist doch Wahnsinn! Ich will Männer weinen sehen, ich will sie fluchen hören, ich will diese Kerle in den Grundfesten ihrer Existenz erschüttert erleben, sie sollen dann irgendwas mit ihren Trikots machen, sie sich vom Leib reißen, sie zusammenknüllen, in die Menge werfen oder auch nur mit leerem Blick im Gras hocken – diese Sachen will ich. Nicht das Alltagszeug, dieses genießerische »Hast du den Pass gesehen?« oder das Geschwätz von Halbfachleuten über den Druck, den die Achse Alaba-Ribéry über links aufbaut, oder die Frage, ob Kroos besser auf der Sechser- oder der Zehner-Position spiele. Das erinnert mich an das Gerede von Cineasten über Kino oder das Geschreibe durchschnittlicher Literaturkritiker über Bücher. Es hat keine Größe. Es ist nicht das, worauf es ankommt.
Wir hatten ja neulich das Halbfinale Real Madrid gegen den FC Bayern, mit Elfmeterschießen. Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr finde ich: Jegliches Unentschieden gehört jetzt überhaupt endlich mal abgeschafft. Am Ende eines Fußballspiels, das nach 120 Minuten keinen Sieger gefunden hat, sollte immer ein Elfmeterschießen stattfinden, auch in der Bundesliga. Wir brauchen Klarheit, wir wollen keine Indifferenz.
Und unsere Zeit ist knapp, wir haben zu tun, das Unterhaltungsangebot ist groß. Ich habe Familie, ich komme ja kaum zum Sportschaugucken. Wäre es nicht sinnvoll, der Wochenend-Bundesliga wenigstens ein tägliches Elfmeterschießen zuzu-gesellen? Also fünf Elfmeter über die Woche zu verteilen, montags schießt Alaba, dienstags Gomez, mittwochs Kroos, donnerstags Lahm, dann Schweinsteiger, das Gleiche natürlich auch in Dortmund und anderswo.
Fünf Minuten vor der Tagesschau das Elfmeterschießen des Tages! Kein großes Hin und Her, keine langatmige Analyse, kein Blabla, nur jeweils dieser eine Schuss. Und den ganzen Tag über natürlich die Gespräche und das Nachdenken: Wird er links schießen oder rechts? Warum knallt der gestern, verdammt noch mal!, nicht in die obere Hälfte, jeder weiß doch, dass 99 Prozent der Elfer, wenn sie in die obere Torhälfte gehen, drin sind?!
So ein kleiner Kick jeden Tag wäre das. Vielleicht muss man am Ende sogar das Fußballspiel selbst durch Elfmeterschießen ersetzen. Franz Beckenbauer hat vor vielen Jahren einmal darüber nachgedacht, die Spiele zu verkürzen. Mag sein, das war nicht radikal genug. Im Grunde geht es um die Entwicklung einer neuen Art von Fußball. Der Dortmunder Physikprofessor Metin Tolan hat kürzlich bei einem europäischen Physikertreffen in Berlin gesagt: »Wenn Elfmeterschützen doppelt so schwere Schuhe trügen, könnte der Ball um zwei bis drei Prozent schneller werden.« Ich warte auf den Tag, an dem der erste Elfmeterschütze vorm Schuss ein paar extraschwere Treter schnürt. Vielleicht schlüpft dann der Torwart in zwei Quadratmeter große Handschuhe? Ach, ich bin gespannt.