Das Beste aus aller Welt

Die Geheimdienste sind so fleißig und werden doch nur kritisiert. Unser Autor versteht die Aufregung nicht. Im Alltag, zum Beispiel bei Ehestreitereien, könnte ihre Schnüffelei doch wirklich nützlich sein.

Irgendwie ist es rührend, wie fleißig die Geheimdienste in der ganzen Welt sind. Sie sollen Verbrecher, Terroristen, Spione fangen, aber sie tun viel mehr, zapfen mit eigens umgebauten Unterseebooten Tiefseekabel an, hören unsere Telefone ab, lesen fremder Leute Mails, ein sehr eifriges Bemühen. In Amerika sind 850 000 Menschen auf höchster Geheimhaltungsstufe mit diesen Dingen beschäftigt, das sind weit mehr Leute, als in der deutschen Landwirtschaft arbeiten. Man stelle sich vor, unseren Bauern würde ihre Arbeit auf den Höfen nicht reichen, sie würden Kühe zu uns in die Städte treiben, um Frischmilch euterwarm in den Kaffee zu zapfen, oder morgens kämen von ihnen entsandte Hühner und legten Eier vor die Wohnungstüren – und das täten die Landwirte, ohne große Worte zu machen.

Man würde sagen: Topp, liebe Bauern, das nennen wir Einsatz, danke!

Die Geheimdienste aber werden kritisiert. Ihnen wird vorgeworfen, sie hätten sich Informationen beschafft, die sie sich nicht hätten beschaffen dürfen. Da frage ich: Ja, was sollen Geheimdienste denn sonst machen? Ihre Aufgabe ist es, sich mit geheimen Dingen im Geheimen zu beschäftigen, damit hat man sie beauftragt, also tun sie es. Wenn sie erst um Erlaubnis fragen würden, wäre es ja schon nicht mehr geheim. Auch lese ich, in Amerika gebe es 16 Geheimdienste, das seien viel zu viele. Da sage ich: Wahrscheinlich gibt es noch viel mehr; einige Geheimdienste sind so geheim, dass sie selbst nicht wissen, was sie tun.

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Der britische Geheimdienst GCHQ sichtet jeden Tag eine Datenmenge, die dem 192-Fachen des Gesamtinhalts der British Library entspricht. In dieser Bibliothek befinden sich 150 Millionen Werke aller Art, die ältesten stammen aus der Zeit um 1600 vor Christus, es sind chinesische Orakelknochen. Und das also 192 Mal. Täglich! Und morgen wieder! Und übermorgen auch! Immer inklusive Orakelknochen. Die British Library besitzt von jedem seit 1911 in Großbritannien erschienenen Buch ein Exemplar, das heißt, auch einige meiner Bücher stehen dort, irgendwo zwischen William Golding und Thomas Hobbes. Das ist doch irre, das empfinde ich als Ehre! Genauso ehrt es mich, dass der britische Steuerzahler Menschen ein Gehalt finanziert, die meine Mails lesen. Und mein Telefon abhören. Ich kann mich nicht erinnern, in den letzten Jahren ein einziges Wort gesagt zu haben, das für britische Steuerzahler von Interesse gewesen sein könnte – und doch lauschen sie mir. Einfach so. Weil sie es können. Und weil es mich gibt. Das finde ich wunderbar.

Leider heben sie alles nur drei Tage auf. Das ist schade. Es kommt zum Beispiel gelegentlich vor, dass ich eine Mail versehentlich lösche oder überhaupt hier ein Text irgendwie verschwindet, oder dass ich etwas in meinem Computer nicht finde. Da wäre es schön, man könnte sich an den britischen Geheimdienst wenden, mit der Bitte um Hilfe. Und sie schicken es dann, auch nach zwei Monaten noch.

Es geschieht ja ebenfalls, dass man sich in einem Gespräch unter Ehepartnern nicht einigen kann, wer wann was gesagt hat. Der eine behauptet dann, der andere habe etwas behauptet, von dem der andere behauptet, es nie behauptet zu haben. Ein irrwitziges Problem in fast allen Beziehungen! Würde man nun alle Gespräche auch in unseren Wohnungen aufzeichnen (wie es ja der britische Geheimdienst sicher längst tut, nur im Geheimen halt), könnte man mit einer Mail dort um Zusendung der Aufzeichnung bitten – und, schwupp, wäre die Sache geklärt.

Wie viele geschiedene Ehen würden noch bestehen, könnte man unsere Geheimdienste auf diese Weise als eine Art Nationalarchiv des Alltags nutzen, als Service für uns alle!? Die British Library ist ja auch im Prinzip für jeden zugänglich. Wenn ich dann noch jederzeit die Kameraaufzeichnungen der vergangenen Stunden von meinem Leben abrufen könnte, nie wieder würde ich ein verdammtes Schlüsselbund verlieren – wie schön wäre das denn!

Illustration: Dirk Schmidt