Der Trend geht nun dahin, dass die Menschen alles, was sie besitzen möchten, im Internet kaufen: Schuhe, Bücher, Filme, man bestellt das, die Dinge werden nach einigen Tagen geliefert, liegen noch einige weitere Tage beim Nachbarn herum, dann holt man sie ab und schickt die Hälfte in den nächsten Tagen wieder zurück, weil irgendwas nicht passt, nicht gefällt oder einfach Mist ist. So füllen sich unsere Straßen mit Paketbotenautos, entlang der Autobahnen entstehen riesige Warenverteilzentren, und zweifellos wird es im Inneren der Städte in absehbarer Zeit kein einziges Geschäft mehr geben, wozu denn?
Aber da sind ja dann nutzlose Räume, leere Läden, was machen wir damit? Ich denke, man wird sie Künstlern zur Verfügung stellen, die Ateliers benötigen und Übungsräume. In all den Kaufhöfen, Karstädten, Tengelmännern und Hugendubeln werden Maler arbeiten, Saxofonisten üben, Blogger bloggen. Bildhauer werden Marmor behauen, Videofilmer werden abgefahrene Streifen drehen, so ist es doch immer mit der Leere, die Kunst bemächtigt sich ihrer, vielleicht auch die Wissenschaft.
Ich las zum Beispiel neulich, Leif Ristroph und Stephen Childress von der Universität New York hätten ein Fluggerät entwickelt, das die Schwimmbewegungen einer Qualle nachahme: Vier kreisförmig angeordnete Schwingen öffnen und schließen sich, eine federleicht schwebende Konstruktion. Ich entdeckte auch, dass eine Firma in Esslingen eine durch die Luft schwebende Kunstqualle entwickelt hat, bestehend aus einem Ballon und elektrisch angetriebenen Tentakeln: ein AirJelly. Helium lässt ihn steigen, die Tentakel bewegen ihn ferngesteuert voran. Das Großartige: Wie eine Qualle im Wasser beim Schwimmen kaum Energie benötigt, so verbraucht sie auch in der Luft nur sehr wenig, ein Handy-Akku reicht.
Natürlich wären auch dafür unsere Innenstädte der ideale Ort: Quallen segeln durch leere Fußgängerzonen, von einem Windhauch mal hierhin, mal dorthin getrieben, Wasserwesen erobern die Luft, niemand müsste sich vor den giftigen Tentakeln fürchten, denn AirJelly beißt nicht, man spielt nur mit ihm. Diese Esslinger Firma will das Prinzip der Qualle für die Konstruktion für etwas ganz anderes nutzen, den Bau von Pumpen nämlich, die äußerst effizient arbeiten und kaum Energie brauchen. Aber der AirJelly ist an sich sehr schön! Und vielleicht könnte man in unseren Citys dann nicht nur Quallen, sondern auch Pinguine, Delfine, ja, riesige Fischschwärme fliegen lassen? Oder gigantische Wasserbecken bauen, in denen Tauben tauchen und schuppenbedeckte Hunde nach Stöckchen suchen? Elemente vertauschen, verwirren?
Die Innenstadt würde von einem zweckbestimmten Ort zu einem Raum der Poesie, so stelle ich mir das vor, und während an ihrem Rand das Amazon-Zalando-Zustellwesen Tag und Nacht rattert und knattert, könnten hier, in einem Bezirk der Ruhe und Schönheit und des Sinnlosen, Menschen ihren Sehnsüchten folgen: ADAC-Manager würden auf alten gelben Engelsflügeln in frühere Kaufhaus-Säle schwirren, um dort gigantische Multiplikationsexperimente vorzunehmen. CSU-Politiker könnten in kleinen Mauthäuschen an den Ecken sitzen und wachen Blickes auf ausländische Autofahrer warten. Man sähe Fußballfunktionäre, die in einem ehemaligen Sportgeschäft das Modell des perfekten brasilianischen Wohndorfes für die Nationalelf bauten.
Und irgendjemand hätte plötzlich eine Idee: Wie wäre es, man würde hier - quasi als richtig geil-abgefahrenes Avantgarde-Projekt - einen Laden eröffnen, in dem man Dinge kaufen kann? Diese Dinge wären da, man könnte sie anschauen, anfassen, aus- und anprobieren, ja, sogar an Ort und Stelle bezahlen und sofort mitnehmen; nicht tagelang darauf warten, nicht enttäuscht sein beim Auspacken. Wahnsinn!
Andererseits: scheußliche Kommerzialisierung, oder? Man würde es wohl nicht erlauben, so was.
Illustration: Dirk Schmidt