Ich sitze am Schreibtisch.Ich müsste jetzt etwas schreiben, aber aus irgendeinem Grund fange ich nicht an, das gibt es ja, man zögert und denkt, es ist vielleicht noch nicht der richtige Augenblick zu beginnen, man müsste in einer etwas leichteren, beschwingteren Stimmung sein, dann würde der Text besser. Vielleicht ist es in zehn Minuten so weit. Jetzt wäre es schön, mit jemandem zu telefonieren.Ich hätte auch Zeit zu einem Telefonat. Ich möchte aber nicht selbst dieses Telefonat initiieren, ich möchte angerufen werden, denn wenn ich von mir aus jemanden anrufe, ist das etwas anderes. Ich treffe den Angerufenen vielleicht in einer Situation an, in der er gerade keine Zeit für ein Telefonat hat, er will dann in zehn Minuten zurückrufen, aber dann habe ich keine Zeit mehr. Oder er fühlt sich überhaupt gestört, er will nicht plaudern, und die Tatsache, dass ich dann quasi zurückgewiesen werde, könnte mir schlechte Laune machen, meine Verfassung zum Schreiben damit sogar verschlechtern – das geht nicht. Nicht in einer so fragilen Verfassung wie jener, in der ich mich jetzt befinde, bevor ich mit dem Schreiben beginne. Man ist dann sehr verletzlich. Bei Bruno bin ich mal von der Sekretärin abgewimmelt worden wie ein Bittsteller.Kann sein, dass Sie mich für übertrieben heikel halten oder für überspannt, bitte, das ist Ihre Sache, aber so ist es manchmal, wenn man mit dem Schreiben beginnen will.Seltsam ist, dass, wenn man angerufen werden möchte, nie jemand anruft. Eine Art Grundgesetz des Telefonierens. Paragraf 1: Wenn man auf einen Anruf wartet und Zeit für ein Telefonat hat, kommt es nicht. Paragraf 2: Das Telefon klingelt immer, wenn du auf dem Klo bist. Oder gerade etwas isst. Oder absolut keine Lust hast, eine andere Stimme zu hören.Das ist seltsam, es hat etwas Magisches – liegt es am Telefon? Spürt also das Telefon, wenn ich nicht angerufen werden möchte? Teilt es darauf diesen Wunsch bzw. Unwunsch einem anderen Telefon mit, dass dann einen in der Nähe befindlichen Menschen auf geheimnisvollste Weise dahingehend beeinflusst, dass er mich nun anruft – im unpassenden Moment, mit heruntergelassener Hose oder vollem Mund?Ich mache einen Versuch. Jetzt, da ich angerufen werden möchte und das Klingeln geradezu herbeisehne, begebe ich mich ins Bad, mache die Tür mir zu, setze mich auf den geschlossenen Toilettendeckel – nichts. Es funktioniert so nicht.Unheimlich. Es ist unheimlich. Natürlich kann man es auch nicht unheimlich finden, man kann es einfach hinnehmen, sich keine Gedanken darüber machen. Es gibt solche Leute. Ich gehöre nicht zu ihnen. Das alles ist kein Zufall, meiner Meinung nach. Es folgt einer Regel.Übrigens klingelt auch mein Handy nur, wenn ich gerade zwei Koffer in einen überfüllten Zug wuchte und dann meinen Platz suchen muss. Oder wenn ich an der Supermarktkasse stehe und zahle, während hinter mir die Leute mich bereits anstarren und warten, dass ich verschwinde.Ich resigniere jetzt. Es hat ja keinen Sinn, sich etwas zu wünschen, was nie Wirklichkeit wird und offenbar nicht Wirklichkeit werden kann. Man wird nur depressiv. Ich werde jetzt anfangen zu schreiben, ohne vorher telefoniert zu haben, es wird eben ein nicht so toller Text, in einer nicht so guten Verfassung geschrieben, damit müssen die Leute dann fertig werden, warum rufen sie mich auch nicht an, selbst schuld.Ich setze mich an den Schreibtisch, schalte den Computer ein, überlege und schreibe den ersten Satz: »Ich sitze am Schreibtisch.«Hey, das ist ein guter Anfang, denke ich, suprise!, surprise!, das könnte wider Erwarten ein Text von Belang werden, eine schmissige Sache, witzig in der Selbstbetrachtung, zupackend in der Analyse, wuff, wer hätte gedacht, dass ich ohne Telefonieren und in einer an sich nicht so guten Verfassung einen solchen ersten Satz hinkriegen würde, von gewisser Wucht, möchte ich sagen.Gleich weiter! Nicht nachlassen! Den zweiten Satz!»Ich müsste jetzt etwas schreiben, aber…«