Seltsames geht mit mir vor. Ich verwandle mich.Als Gregor Samsa sich verwandelte… Nein, Kafka beschreibt ja nicht, wie Samsa sich verwandelte, seine Geschichte handelt von der Zeit, als Samsa sich schon verwandelt hatte, und die Erzählung beginnt mit den Sätzen: »Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt. Er lag auf seinem panzerartig harten Rücken und sah, wenn er den Kopf ein wenig hob, seinen gewölbten, braunen, von bogenförmigen Versteifungen geteilten Bauch…«Ich bin noch im Prozess der Verwandlung begriffen. Es ist wie in Roald Dahls Geschichte Gelée Royale, in der ein Mann und sein Baby sich langsam in riesige Bienen verwandeln – ein Vorgang, den die Ehefrau und Mutter verwirrt beobachtet. »Mrs. Taylor sah ihn mit seinem borstigen Kopf, dem haarigen Gesicht und dem plumpen gedrungenen Körper vor dem Bücherschrank hocken, sie hörte seine summende Stimme, und plötzlich fiel ihr auf, dass er irgendwie an einen Biene erinnerte…«Sie wendet sich ihrem Mann zu und sagt: »Du siehst neuerdings ein bisschen wie eine Biene aus. Ist dir das schon mal aufgefallen?« Er dreht sich um und blickt sie erstaunt an. Ich hingegen habe das Gefühl, mich in eine Uhr zu verwandeln. Aber es fällt niemandem auf. Paola nicht. Luis nicht. Bosch nicht. Nur mir.Alles begann im Sommer. Paola und ich fuhren allein mit dem Kanu über einen See, ich paddelte, sie sonnte sich in der Bootsmitte und machte plötzlich eine schnelle Körperbewegung, auf die ich nicht reagie-ren konnte – zack!, lag ich im Wasser. Paola auch. Wir prusteten, planschten, schwammen. Schoben das Boot an eine flache Stelle, richteten es auf, stritten ein Weilchen herum und fuhren weiter. Es war ein heißer Tag, das war Glück. Ich trug meine fast fünfzig Jahre alte Armbanduhr, das war Pech. Die Uhr verträgt kein Wasser. Sie musste trockengelegt, generalüberholt und repariert werden, das kostet. Und dauert. Ich hatte keine andere Uhr. Also kaufte ich mir preiswerten Ersatz, eine Uhr mit Kalender, bloß dass der Kalender immerzu das falsche Datum zeigt. Nahezu täglich muss ich den Kalender korrigieren, außerdem geht die Uhr nach. Ich muss sie immer wieder richtig stellen, bis ich nun das Gefühl habe, ich sei eigentlich der Kalender für die Uhr und irgendwie auch die Uhr für die Uhr. Ich weiß das Datum besser und die Zeit besser, also: Wozu besitze ich diese Uhr? Sie besitzt mich. Zur gleichen Zeit fällt mir auf, dass ich auch für Luis eine Art lebende Uhr darstelle. Jeden Abend, nachdem er ins Bett gegangen ist und noch eine Weile liest, schaue ich bei ihm herein und sage: »Luis, zwanzig vor acht. In fünf Minuten musst du das Licht ausmachen.« Oder: »Jetzt ist es viertel vor acht, Licht aus, bitte.« Oder: »Es ist jetzt fünf Minuten her, dass es viertel vor acht war, warum ist das Licht noch nicht aus?«Am Morgen darauf ist alles ganz ähnlich: »Es ist zehn vor sieben, du musst aufstehen.« Oder: »Es ist sieben, wenn du nicht endlich aufstehst, kommst du zu spät zur Schule.« Oder: »Luis, es ist jetzt viertel vor acht, und du hast noch nicht die Zähne geputzt.« Dann ist da noch Paola, die sagt: »Bitte erinnere mich um acht Uhr daran, dass ich meine Mutter anrufen muss.«»Aber du könntest selbst…«»Bitte!«Ich bin eine wandelnde Zeitansage. Und es wird schlimmer. Morgens wache ich vor meinem Wecker auf, stelle ihn ab, bevor er klingelt, erhebe mich. Am Schreibtisch sitzend, schwanke ich langsam hin und her wie das Pendel einer Uhr. Wenn ich leise bin, den Atem anhalte, höre ich in mir leises Ticken. Ich erwische mich dabei, wie meine Arme bisweilen plötzlich die Stellung von Uhrzeigern annehmen und die gerade aktuelle Zeit anzeigen.»Ich bin eine Uhr«, sage ich zu Paola. »Eure Uhr.«»Du bist keine Uhr«, sagt sie sanft. »Du bist nur ein bisschen zwanghaft.« Gerade rief der Uhrmacher an. Meine Uhr sei repariert. Es tue ihm Leid, dass es so lange gedauert habe.»Aber ich brauche sie nicht mehr«, sagte ich. »Sie ist so schön«, sagte er. »Fünfzig Jahre alt, und geht wieder ganz genau.« »Ich bin selbst fast fünfzig. Und ich gehe auch sehr genau. Verkaufen Sie meine Uhr.«»Sind Sie verrückt?«»Ich bin nicht verrückt«, sagte ich. »Ich bin eine Uhr.«