Neulich habe ich feststellen müssen, dass mein Auto lügt. Es hat eine kleine Anzeige, auf der man abliest, wie viele Kilometer man mit dem im Tank befindlichen Benzin noch fahren kann. Auf diesem Display las ich die Zahl 25, fuhr und fuhr dann weiter, so zwei, drei, vier Kilometer, bis plötzlich die Zahl 27 auftauchte, dann 28, seltsam, es wurden immer mehr statt weniger Kilometer.Irgendwann war dann aber doch eine Null zu sehen. Der Wagen hätte sofort stehen bleiben müssen. Doch er fuhr und fuhr.Mein Auto versuchte also einige Kilometer lang, mir vorzumachen, es produziere quasi Benzin, statt es zu verbrauchen. Dann behauptete es, nun könne es nicht mehr, doch es konnte noch. Es fuhr ohne Benzin, ganz offensichtlich, oder es tat jedenfalls so.Ein dreistes Vorgehen, wie ich finde, eine Maschinenlüge ungewöhnlichster Art. Und es war nicht das erste Mal.Wie kommt mein Auto dazu? Hat es keine Moral? In welch verkommener Kalesche fahre ich durch die Welt?Mir ist in letzter Zeit aufgefallen, dass viel gelogen wird, wenn es um Entfernungen geht. Jeder, der auf deutschen Landstraßen unterwegs ist, kennt das Phänomen der gelben Schilder, auf denen angegeben wird, bis zum Dorf Sowieso seien es noch, sagen wir, acht Kilometer. Man fährt dann weiter und weiter Richtung Sowieso, und nach zwei Kilometern liest man, es seien noch neun Kilometer nach Sowieso, obwohl man sich definitiv und auch ausweislich der Landkarte Sowieso genähert, nicht sich von ihm entfernt hat.Wie ist so etwas möglich? Hat man Schilder verwechselt? Wollen die Bürger von Sowieso nicht besucht werden?Niemand aber lügt, Entfernungen betreffend, so dreist, so offensichtlich, so geradezu verwegen wie … wie … nun ja: wie wir alle.Ich selbst habe vor Jahren eine Weile außerhalb der Stadt gewohnt, auf einem Bauernhof. Und wo ich ging und stand, habe ich behauptet, ich sei von diesem Hof aus in einer Stunde in der Stadt – in Wahrheit ein Ding der Unmöglichkeit, selbst im praktisch nie eingetretenen Fall total freier Straßen und absolut pünktlicher Nahverkehrszüge.Und immerzu treffe ich Leute, die behaupten, sie seien von München aus in einer Dreiviertelstunde in Kitzbühel beim Skifahren. Oder in zwei Stunden am Gardasee. Oder in einer guten Stunde in Hamburg, mit dem Flugzeug, wobei sie unterschlagen, dass sie eine weitere gute Stunde zum Flughafen benötigen, wo sie eine Dreiviertelstunde vor Abflug sein sollten, und dass sie in Hamburg noch einmal vom Flughafen bis zu ihrem eigentlichen Ziel …Neulich begegnete mir einer, der sagte (ohne im Mindesten zu erröten), er brauche von seiner Wohnung in der Münchner Innenstadt aus nur zwanzig Minuten bis zu einem bestimmten Tennisplatz in einer Vorortgemeinde. Eine schreiende Unwahrheit! Nicht mal mit dem Hubschrauber in der Nacht wäre so etwas möglich.Warum sind wir solche Entfernungslügner? Wen belügen wir überhaupt? Die anderen? Oder uns selbst?Ich sage: uns selbst. Denn jemand anders zu belügen ist in diesem Fall sinnlos. Der Selbstbetrug aber erfüllt ganz und gar seinen Zweck. Denn wenn ich nur oft genug anderen erzähle, wie schnell ich regelmäßig von hier nach dort komme, glaube ich es eines Tages selbst, und wenn ich es selbst glaube, werde ich froh sein darüber, dass ich so wenig Zeit für das Fahren benötige, ich werde mich gut fühlen, und wer sich gut fühlt, ist gesund, und wer gesund ist, lebt länger und kann viel öfter von hier nach dort fahren als andere, die früher sterben müssen, weil sie sich selbst nicht betrügen wollten.Die Lüge trägt also mehr zur Volksgesundheit bei als alle Ärzte und Pharmazeuten zusammen. Andererseits bringt sie uns der Klima-katastrophe wieder ein Stück näher, Himmel!, das ist ja ein Riesenthema, das ich hier angeschnitten habe.Dabei wollte ich nur sagen: Ich finde, mein Auto passt zu mir.
Illustration: Dirk Schmidt