Jetzt ist Feierabend

In den nächsten 15 Jahren ­gehen fast 13 Millionen Menschen in Rente. Ein gewaltiger Umbruch, der für alle in unserer Gesellschaft die große Frage aufwirft: Was macht ein erfülltes Leben aus?

Gerhard Tausche, 66, Archivar: Als Stadtarchivar hat sich Gerhard Tausche 36 Jahre lang der Vergangenheit zugewandt. Im Ruhestand, dachte Tausche, brauche er Struktur, einen Stundenplan. »Aber ich bin kläglich gescheitert«, sagt er. Er habe gemerkt: Er lebt lieber in den Tag hinein. »Es kommt, wie es halt kommt.«

Foto: Daniel Delang

Das Leben der Deutschen ist in drei Teile geteilt: Schule, Beruf und Rente. Der mittlere Teil sollte der längste sein, denn er gilt als das eigentliche, das wichtige Leben. Eine der Fragen, die Kinder besonders oft gestellt bekommen, ist: Was möchtest du werden, wenn du groß bist? Und als Antwort wird ein Beruf erwartet, denn Arbeit und Identität sind in unserer Kultur miteinander verschmolzen. Man arbeitet nicht bloß als, man ist Handwerker oder Friseur, Pilotin oder Ärztin: die Tätigkeit als Wesen des Seins. Das ganze Leben ist so geordnet, auch der Alltag: Zum Montag soll geflucht werden, am Donnerstagnachmittag darf man einander schon ein schönes Wochenende wünschen. Selbst was man am Morgen ­anzieht, richtet sich nach der Frage, ob es zu Hause getragen werden oder am Arbeitsplatz zu sehen sein soll. Die Arbeit ist ein ganz besonderer Bereich, und das hängt nicht nur mit dem Geld zusammen, das dort verdient wird. Dort entspringt die Quelle dessen, was in der derzeit geltenden Weltanschauung das gute Leben ausmacht: eine sinnvolle, respektierte und, wenn möglich, gut entlohnte Tätigkeit – die feste Stelle, die dem ins Sein geworfenen Menschenkind einen existenziellen Ankerpunkt im kalten Universum bietet.