Das Beste aus meinem Leben

Zum Verhältnis von Buch und Leben: Es ist …Nein, am besten eine Geschichte.Ein Sonntag. Morgens. Paola und Luis sind für zwei Tage zum Opa gefahren. Ich bin allein mit der kleinen Sophie. Sie ist gerade aufgewacht und ich auch. Ich hole sie ins große Bett, gebe ihr ein Milchfläschchen, nun liegt sie neben mir und trinkt, zullzullzull macht sie, gierig saugend. Ich habe den Sauger mit den drei Löchern genommen, der macht zullzullzull, die Sauger mit zwei Löchern machen zullzull, die mit einem nur zull.Sonntag!, denke ich. Ich könnte lesen, einen Sonntag beginnen, wie man einen Sonntag beginnen sollte, anders als andere Tage, ein Buch lesend.Schon lange liegt neben dem Bett Tim Parks’ neuer Roman Stille. Den werde ich jetzt beginnen, nur ein bisschen, mir einen Eindruck verschaffen, danach mit Sophie spielen, danach mit ihr spazieren gehen. Jetzt trinkt sie, und dann wird sie etwas allein spielen oder ein Bilderbuch anschauen. Das tut sie gern.Ich schlage mein Buch auf, schaue zur Sophie, höre zullzullzull, schaue ins Buch.»Im Herbst 2004, kurz nach seinem denkwürdigen Interview mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten und dem Erscheinen der in Romanform geschriebenen Autobiografie seines älteren Soh-nes, die den unbarmherzigen Titel Im Schatten des Allmächtigen trug, bestieg der Star-Journalist, Fernsehmoderator und Dokumentarfilmer Harold Cleaver in London Gatwick …«Sophies Fläschchen ist leer. Ich hör’s, denn ich höre nichts, kein zullzullzull, nullzull. Stumm liegt sie da.»… in London Gatwick eine Maschine der British …«»Papa, schau mal, meine Füße!«Sophie hat die Bettdecke ein wenig hochgezogen, sodass sie nur noch ihre Beine bedeckt und unten die Füße zu sehen sind, deren Zehen mir winken.»Ach, sind die süß, deine Füßchen, hihi …«»… Airways nach Mailand-Malpensa, fuhr anschließend mit der italienischen Eisenbahn …«»Wo sind meine Füße?« Sie hat die Decke wieder über die Füße gestreift.Wo war ich? Noch mal anfangen!»Im Herbst 2004, kurz nach seinem denkwürdigen Interview mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten und dem Erscheinen der in Romanform …«»Ja, wo sind sie denn? Deine Füßchen?«»… und dann mit dem Taxi Richtung Norden in das …«»Daaaa … sind siiiie . . !« Decke wieder hoch.»Sophie, wo ist denn dein Bilderbuch?«»Weiß nicht.«»Komm, wir holen es.« Wir gehen in ihr Zimmer, holen das Bilderbuch. Sie setzt sich damit ins Bett und schlägt die Seiten auf. Ich öffne Stille wieder. Fange noch mal an.»Im Herbst 2004, kurz nach seinem denkwürdigen Interview mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten und dem Erscheinen der in Bilderbuchform …«»Wo sind meine Füße?« Sie hat jetzt das Bilderbuch drübergelegt.»Ja, wo sind sie? Deine Füßchen?«»… geschriebenen Autobiografie seines älteren Sohnes, die den unbarmherzigen Titel Im Schatten des Füßchens trug …«»Daaaa … sind siiiie . . !« Das Bilderbuch liegt neben den Füßchen.»… bestieg der Star-Journalist, Fernsehmoderator und Dokumentarfilmer Harold Zullzull in London Fläschwick …«»Ganz lieb, deine Füßchen … Jetzt schau noch ein wenig in dein Buch und Papa schaut sein Buch hier an …«Sie nimmt ihr Bilderbuch und schaut hinein, ernst, festen Willens, mir einen Gefallen zu tun und sich mit dem Buch zu beschäftigen. Aber es gibt etwas, was stärker ist als sie, was sie zwingt …Und was mich zwingt …Stille vor mein Gesicht haltend, rufe ich: »Wo bin ich?«Stille herunterziehend rufe ich: »Daaaa … bin ich . . !«Und Sophie lacht. Und ich lache.Moral: Ein Buch muss dem Leben dienen, nicht das Leben dem Buch. (Und Stille las ich abends, als Sophie schlief. Und Stille herrschte.)

Illustration: Dirk Schmidt