Das Beste aus meinem Leben

Wenn mein Telefon klingelt, steht meistens auf dem Display eine Nummer, manchmal sogar ein Name. Gelegentlich steht dort aber auch: »Unbekannter Anrufer«, wobei »gelegentlich« eigentlich falsch ist, denn genau genommen ruft mich nur eine einzige Person an, die mit den Worten »Unbekannter Anrufer« angekündigt wird: Paola, meine Frau. Und zwar egal, von wo sie mich anruft. Paola ist in meinem Telefonverzeichnis mit drei Nummern eingetragen, nämlich mit »Paola Handy«, »Paola Büro« und »Zu Hause«. Aber egal, von welcher dieser drei Nummern sie mich anruft, ich lese immer »Unbekannter Anrufer«.Das ist seltsam, das ist unheimlich: dass ich weiß, wenn auf meinem Display »Unbekannter Anrufer« steht: Meine Frau ist dran. Ich weiß nicht, warum es so ist, irgendwo gibt es sicher einen Knopf, mit dem man das ändern könnte, aber ich kenne ihn nicht, und Paola will ihn anscheinend nicht kennen, egal.Ich muss an ein Interview denken, dass ich vor einer Weile mal in einer Schweizer Zeitschrift gelesen hatte, ein seltsamer Text, in dem sich ein Schweizer Chefredakteur über sein Verhältnis zu Frauen äußerte und dabei einen griechischen Frauenarzt zitierte, der ihm gesagt habe, »Frauen« funktionierten fünfzig Prozent der Zeit »absolut normal – und fünfzig Prozent der Zeit sind sie ein absolutes Mysterium«. Dieser Frauenarzt, sagte der Chefredakteur, sei 67 Jahre alt, Hochschuldozent, habe »Tausende von Patientinnen gehabt«. Mit anderen Worten: Er müsse es wissen. Beziehungsweise eben nicht wissen.»Was für ein Quatsch!«, sagte Paola, als sie das Interview las. »Es ist der typische Quatsch von Männern, die zu faul oder zu unfähig oder zu oberflächlich sind, über Frauen tatsächlich nachzudenken. Und die damit auch noch bei Frauen ankommen, die es irgendwie toll finden, für ein Mysterium gehalten zu werden – obwohl schon mal nichts leichter erklärlich ist als ihr Wunsch, für einen Mann ein Mysterium zu sein.«»Ja«, sagte ich und fand, dass sie komplett recht hatte, stellte mir aber trotzdem kurz vor, wie es wäre, wenn auf meinem Display leuchtete: »Mysterium ruft an.«Übrigens: Früher, liebe Kinder, war jeder Anruf erst einmal ein Mysterium. Erst wenn man den Hörer abgehoben hatte, wusste man, wer überhaupt angerufen hatte. Heute liest man vorher eine Nummer. Hat eine Ahnung. Weiß es sogar genau. Alles scheint auf die größtmögliche Reduktion von überraschenden Kontakten hinauszulaufen. Die meisten Menschen empfinden heute einen nicht telefonisch angekündigten Besuch mindestens als Störung, wenn nicht als eine Art Hausfriedensbruch. Und nun wird auch die telefonische Ankündigung eines solchen Besuches ihrerseits annonciert, auf dem Display. Der moderne Mensch liebt die Überraschung nicht, sie ist ihm im Innersten zuwider, er fürchtet sie.Aber noch mal zu Paola. Seit die kleine Sophie auf der Welt ist, verbringt Paola fast den ganzen Tag zu Hause, auf dem Spielplatz, im Schwimmbad – jedenfalls: mit Sophie. Und ich? Verbringe den Tag im Büro. Wenn ich abends seufzend heimkomme, weil ich den Tag über vergebens auf Ideen gewartet habe, dann sagt Paola: »Ach, könnte ich doch auch mal wieder im Büro sitzen…«Und ich sage: »Du scheinst dir das irgendwie erholsam vorzustellen, aber es ist… ach!«Und Paola sagt: »Räum doch mal bitte, bitte die Geschirrspülmaschine aus und geh noch mit Sophie auf den Spielplatz.«Und ich sage: »Kann man nach der Arbeit nicht mal…«Und Paola sagt: »Du scheinst dir das hier zu Hause den ganzen Tag irgendwie erholsam vorzustellen, aber es ist…ach!«Unter uns: Ich warte auf den Tag, an dem, wenn Paola anruft, auf meinem Display aufleuchtet: »Unverstandene Anruferin«. Und an dem Paola, wenn sie meine Nummer gewählt hat, auf ihrem Telefon liest: »Unverstandener Angerufener«.

Illustration: Dirk Schmidt