Das Beste aus meinem Leben

Chinesisches Spielzeug kommt bei uns nicht mehr über die Schwelle, seit in den Farben, mit denen es bedeckt ist, ein giftiges Zeug entdeckt wurde. Aber die gelbe Badeente, mit der Sophie immer spielt, ist schon lange da, und sie bleibt auch, bleibt auch, bleibt auch…

In der Zeitung habe ich die Geschichte von den kleinen gelben Badeenten gelesen, die in Hongkong in große Container verpackt und auf ein Schiff geladen wurden. Sie waren für amerikanische Wannen bestimmt, aber ein Sturm fegte mitten im Pazifik zwölf Container über Bord, darunter den mit den Badeenten. Ein Container rammte den anderen, der Badeentenbehälter öffnete sich, 29000 Enten schwammen im Meer. Das war am 10. Januar 1992.

Zwei Drittel der Enten schwammen südwärts, manche von ihnen erreichten Hawaii, Indonesien und Südamerika. 10000 aber trieben drei Jahre später durch die Beringstraße, zwischen Alaska und Russland hindurch, wurden im arktischen Packeis eingefroren und drifteten Richtung Atlantik. 2001 fand man eines der Spielzeuge auf den Hebriden, 2003 einige andere an der amerikanischen Ostküste. Wobei man sagen muss: Nicht alle waren Enten. Im Container befanden sich auch Badefrösche, die waren grün, Badeschildkröten (blau) und Badebiber (rot). Nur die Enten aber verloren ihre Farbe, sie blichen aus und sind nun weiß. Die anderen behielten ihren Anstrich auch nach 30000 Kilometern auf dem Meer. Warum? Keine Ahnung.

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Jedenfalls würden wir heute keine gelbe Quietschente aus China mehr kaufen, wie gesagt. Wenn sie schon nach wenigen Jahren im Meer ihre Farbe verlieren – das klingt nicht gut. Aber die, die wir haben, die bleibt, die bleibt, die bleibt…
Übrigens interessant, dass man immer von den Enten redet, nicht von den Fröschen, den Bibern, den Schildkröten. Hat wohl mit dem Kindchenschema so eines Babyentenkopfes zu tun. Noch interessanter: was man bei Gelegenheit der Beschäftigung mit so einem Thema erfährt. Dass jedes Jahr an die 10000 Container von Schiffen ins Meer fallen und dann herumtreiben. Irgendwann wird man doch trockenen Fußes das große Meer überqueren können, von Container zu Container springend.

Einmal sollen aus so einem Container 61000 Nike-Schuhe ins Meer geraten sein. Seitdem stelle ich mir vor, wie auf den Monsterwellen, von denen alle Welt redet und die ein Schiff einfach so zerhämmern können, obendrauf statt Schaumkronen Tausende von Sportschuhen sitzen. Wie ein Kapitän übers Deck seines im Sturm treibenden Schiffes torkelt und von einer Woge aus zehntausend Sneakern Größe 48 über Bord gefegt wird. Oder wie die Titanic mit 29000 Badeenten kollidiert, untergeht und Leonardo DiCaprio im Schiffsinneren sich seinen Weg zu Kate Winslet nicht durch schäumen-des Wasser, sondern durch quietschende, farblose Enten bahnen muss – ein Mann, in unsinkbaren Badeenten versinkend. Oder wie Frosch, Biber, Schildkröte und Ente, in einem Nike-Schuh sitzend, rudernd das Meer überqueren.

»Und du glaubst die Geschichte?«, fragt Paola, die sich von nichts und niemandem eine Ente aufbinden lässt.

»Ich glaube mehr oder weniger alle Geschichten«, sage ich. Außerdem hat ein amerikanischer Meeresströmungsforscher mit dem schönen und passenden Namen Ebbesmeyer die Enten seit zehn Jahren unter Bobachtung, um seine Strömungsmodelle zu überprüfen.»Seit ich die Meldung von den chinesischen Spielzeugfarben gelesen habe«, sagt Paola, »muss ich bei dem Gelb von Sophies Badeente immer an Gift denken. Sollen wir das Ding nicht verschwinden lassen?«
»Und ich denke an zehntausend übers Meer irrende, ausgeblichene, von Stürmen zerpeitschte, von Haien angefressene, von Kraken betatschte, von Algen bedeckte, sehr hässlich gewordene, angstvoll quietschende Entlein«, sage ich. »Diese Ente bleibt, bleibt, bleibt…«

Illustration: Dirk Schmidt