Das Beste aus meinem Leben

Seit es im Nürnberger Zoo eine kleine Eisbärin gibt, liest man vieles über das Für und Wider, die Vermenschlichung von Tieren betreffend, da will ich mich nicht einmischen. Mir fiel aber ein Text ein, den ich in einem alten Sammelband der Zeitschrift Der Querschnitt gelesen hatte. Der Querschnitt erschien vorm Krieg in Berlin. So was Schönes wie dieses Blatt gibt es heute nicht mehr. Kästner und Polgar schrieben da, auch Brecht.

Ich blätterte also, suchte, stieß auf eine Betrachtung des einst berühmten spanischen Autors Ramón Gómez de la Serna über sein Goldfischglas, in den schönen Satz mündend: »Der Umgang mit Fischen steckt an; ich ertappe mich bereits dabei, wie ich auf der Straße nach den Wolken schnappe.« Ein Beitrag über eine sehr sympathische Variante der Vertierung des Menschen sozusagen.

Dann fand ich, was ich gesucht hatte: einen Text des Journalisten Martin Proskauer, der in Archiven von Zoos und Zirkussen gesucht und Briefe von Besuchern an die Direktionen gefunden hatte, Texte, die viel zu schade sind, in meinem Bücherregal vor sich hin zu gilben.Hier die schönsten, zuerst ein Schreiben einer alten Dame, das man ans Geländer vorm Löwenkäfig gebunden fand: »Es ist nicht richtig, dass die Tiere im Raubtierhaus nur mit rohem Fleisch gefüttert werden. Die Raubtiere sind große Katzen, und alle Katzen sind Suppenesser. Ich halte mir seit über dreißig Jahren ständig Katzen, die immer ihr Süppchen bekommen, aber gar nicht gesalzen, was ihnen sehr gut schmeckt und bekommt.«

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Dann eine Anklage der Zustände im Affenhaus: »Bei den Pavianen geht es ganz ungerecht zu. Der eine große Pavian hat vier Weibchen, während das niedliche schwächere Männchen kein Weibchen hat. Wenn dieses Männchen einmal ein Weibchen wegnehmen will, wird es von dem stärkeren Männchen sofort gebissen, meistens ins Kreuz. Ich erwarte, dass die Direktion aus Gründen der Menschlichkeit und Gerechtigkeit sofort Abhilfe schafft.«

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: "Ich stand ahnungslos am Käfig, als das größere Nilpferd sich in empörender Weise benahm...")

Und hier eine Beschwerde über die Löwen, einen besonders, der seinen Wohnbereich sauber hielt, indem er allen Unrat durchs Gitter schob. Der Besucher schrieb: »Da an die billigen Sontage ein trotsdem gutes Puhblikum in den Zoo geht mang die Tiere zu besichtigen, viel auch mit ihre Kinder welche was lernen sollen aber nich sowas. Hätten wir es nich gesehn aber so, weil mein Emil und unsere Frida doch gans vorn standen. Ich will ja werte Direkzion zugeben dass es schwer is aber es soll doch gehen daß nich. Wenn Ihr Perssonal sich Mühe gibt ich muß in mein Geschäft eine Restauration mit Mittagstisch auch Rücksich auf meine Gäste nehm, wo komm wir woll sonst hin? Bezugnehmend auf Ihren werten Löwen bitte ich um Abhilfe denn was nich sein soll geht nich.«

Noch ärger als der Löwe trieb es ein Flusspferd, das der Eigenart seiner Gattung folgte, den Kot durch Rotation des Schwanzes im Raum zu verteilen, was einen Besucher zu folgendem Schreiben veranlasste: »Als Bürger, Mensch und Amtsanwalt a.D. muß ich Ihnen sagen, dass ich diesen Vorgang unerhört fand. Wie können Sie als Vorgesetzte es zulassen, dass der Wärter den wilden Tieren derartige Ungezogenheiten andressiert? Ich stand ahnungslos am Käfig, als das größere Nilpferd sich in empörender Weise benahm, wobei mein neuer gelber Sommermantel in einer schriftlich nicht wiederzugebenden Weise verunreinigt wurde. Aus der beiliegenden Rechnung der Reinigungsanstalt in Höhe von M 16,50 können Sie den Umfang der mir angetanen Schmach bezw. Beschmutzung schätzungsweise ermessen.«

Schließlich das hinreißende Brieflein eines Neunjährigen, welches er dem Löwenwärter in die Hand steckte, bevor er davonlief: »Lieber Herr Wärter! Ich möchte auch einmal die kleinen Löwen streicheln, aber ich trau mich nicht. Für die Löwen traue ich mich schon, auch für die großen, aber es sind immer so viele Leute vor. Sie geben doch immer manchmal den Kindern die kleinen Löwen zum Streicheln oder Halten. Ich möchte morgen auch den Löwen halten, wenn Sie erlauben, Herr Wärter. Ich trau mich schon, auch allein auf den Arm, ich lasse ihn bestimmt nicht fallen. Ich will den Löwen auf den Arm nehmen, weil morgen Elli Hohmann mit in den Zoo kommt. Sie ist ein Jahr älter, sie soll das sehen. Es grüßt herzlich Egon F…«

Manchmal denke ich, dieser Proskauer hat alle Briefe erfunden, so schön sind sie. Dann denke ich es wieder nicht, weil man so was gar nicht erfinden kann. Und wenn ich das dritte Mal denke, ist es mir egal. Zur aktuellen Zoo-Debatte, wie gesagt: kein Wort.

Illustration: Dirk Schmidt