Wie immer den Geheimnissen des Lebens auf der Spur, die Nase auf der Fährte der Ereignisse, stieß ich kürzlich auf eine Meldung auf der Internetseite der University of California in Irvine: Chemists find a way to unboil eggs, Chemiker haben einen Weg gefunden, Eier zu entkochen. Das heißt, sie können im Prinzip aus einem hartgekochten Hühnerei wieder ein rohes machen, ein Vorgang, dessen praktischer Nutzen unübersehbar ist. Denn man muss sich ja nur einen Hausmann vorstellen, der seiner Frau ein Frühstück samt eines gekochten Eis bereitet hat, sich aber plötzlich mit dem Wunsch »Ach, ich hätte so gern ein Spiegelei gehabt!« konfrontiert sieht – schon würde er das fertige Ei unboilen und nunmehr in die Pfanne hauen.
Allerdings haben wir uns hier versammelt, um den Blick gerade nicht immer nur aufs Banal-Praktische zu richten, sondern wir wollen die großen Linien im Auge behalten, die wesentlichen Entwicklungen unserer Zeit. Und auch die erwähnten Eiweißforscher hatten weniger die Alltagsküche im Blick, als sie sich der Entboilung zuwandten. Vielmehr ging es ihnen, was ja noch viel begrüßenswerter ist, um die Krebstherapie.
Um das zu verstehen, sollte man den Vorgang der Entkochung kurz erklären: Wer ein hart gekochtes Ei erweichen will, muss das durch Erhitzung hart gewordene Eiweiß wieder glibbrig machen, was Professor Gregory Weiss und den Seinen an der erwähnten kalifornischen Universität gelang, indem sie die feste Materie durch Beifügung von Harnstoffen verflüssigten und dann in einer Zentrifuge verwirbelten, eine Behandlung, die, kurz gesagt, das Protein wieder in seinen Ausgangszustand versetzte. Das Ganze dauerte nur Minuten, zeigt uns aber sofort, dass die Sache in einer Küche nur begrenzt anwendbar ist.
»O, großartig, wie hast du es geschafft, das harte Ei zu verrohen? Und daraus dieses perfekte Spiegelei zu machen?«
»Ach, weißt du, man muss nur etwas Harnstoff beifügen …«
Das mit der Krebstherapie wird jetzt hier doch zu schwierig, man benötigt dort Eiweiß zur Produktion von Antikörpern, und da ist es nützlich, verklumptes Protein schnell aufs Neue frisch zu machen. Was ich aber sagen will: Wer Eiweiß kocht, zerstört sozusagen seine natürlichen Bausteine, die Aminosäuren, er macht ihre Struktur kaputt und denaturiert sie. Kochen bedeutet im Prinzip (und platt gesagt), aus Lebendigem etwas Totes herzustellen und die Baueinheiten des Lebens zu zerschlagen.
Entkochen ist: das alles wieder zu verlebendigen. Was uns natürlich elektrisieren muss! Denn wer entkochen kann, der kann vielleicht schon bald nicht nur auch entbraten, entfrittieren, entbacken, ja, entpürieren und entmusen, vielleicht sogar entpopcornen, also die Rückvermaiskolbung von Puffmais betreiben.
Nein, er beschäftigt sich im Grunde mit dem Entsterben. Er rührt ans Allergeheimste, er schafft aus Totem neues (oder altes) Leben, was so bisher nur der Recycling-Branche in ihrer bewährten Zusammenarbeit mit den Redaktionen der Zeitungen und Zeitschriften sowie den Buchautoren und ihren Verlagen gelang – denn nur sie schaffen es, aus alten, verbrauchten und irgendwie toten Blättern neues lebendiges und von quirlenden Texten bedecktes Material zu schaffen, meistens jedenfalls.
Und gleichzeitig haben wir es hier mit einem Zurückgehen in der Zeit zu tun, ein Prinzip, für das sich, zum Beispiel, auch Elfmeterschützen, kosmetische Chirurgen, Roulettespieler und Möbelrestauratoren interessieren. Könnte es sein, dass man eines Tages vielleicht als Sechzigjähriger nach Beimengung von Harnstoffen und dem Aufenthalt in einer Zentrifuge noch mal seine Volljährigkeit feiern darf?
Und wäre nicht in einem weitergehenden Forschungsansatz die Frage zu stellen, wie man nicht nur Eier entkocht, sondern ob es möglich wäre, aus einem Ei wieder ein Huhn zu machen? Oder aus einem Huhn ein Ei?
Illustration: Dirk Schmidt