Was die Absichten und Ansichten Gottes angeht, so besteht in der Welt eine gewisse Uneinigkeit. Beispielsweise sah ich ein Video aus Cleveland, wo zu der Zeit gerade der Parteitag der Republikaner stattfand. Ganz in der Nähe des Veranstaltungsortes hatten sich Demonstranten für dieses und gegen jenes eingefunden. Einer verkündete den Selbstbefriedigern großes Unheil und rief: »Ihr Masturbierer, ihr seid in großen Schwierigkeiten. Gott sieht, was ihr macht, und er ist nicht erfreut.« Andererseits aber nun: Hat nicht Papst Franziskus im Schreiben Amoris Laetitia geäußert, Begehren zu empfinden sei »weder sündhaft noch tadelnswert«, ja, man dürfe »die erotische Dimension der Liebe keineswegs als ein geduldetes Übel oder als eine Last verstehen«, sondern im Gegenteil »als Geschenk Gottes«? Außerdem könnte ich mir vorstellen, dass Gott in diesen Zeiten was Besseres zu tun hat, als Leuten in Cleveland beim Onanieren zuzusehen, also wirklich.
Die erotische Dimension der Liebe! Ja, man kann sagen, Gott ist, was das Schenken angeht, von größtem Einfallsreichtum, er hat die besten Ideen, und für jeden ist etwas da. Unsereinem fällt ja oft nur eine CD ein, ein Buch oder ein Parfum, aber Oskar Lafontaine hat zum Beispiel mal Andrea Nahles ein »Gottesgeschenk für die SPD« genannt. Gott denkt wirklich an alle, gerade an die, denen es nicht so gut geht. Er hat den Argentiniern Messi geschenkt, den Brasilianern einst Pelé und den Deutschen einen namens Götze, großartig: Gott verschenkte Götze! Götze-Verehrung also von höchster Stelle gefördert! Das war schon wirklich selbstlos, Götze ist ja auch ganz schön teuer. Aber er leistete uns gute Dienste, wenigstens dieses eine Mal, vor zwei Jahren.
Rief nicht übrigens der Reporter Herbert Zimmermann beim WM-Finale 1954 anlässlich einer erneuten Wahnsinnsparade des deutschen Torwarts Toni Turek: »Turek, du bist ein Teufelskerl! Turek, du bist ein Fußballgott!« Man stelle sich das 2014 vor, nach dem deutschen Siegtor: »Götze, du bist in Fußballgott!« Aber die tollsten Dinge geschehen dann immer doch nicht.
Jedenfalls sind schon die verschiedensten Menschen und Dinge als Gottesgeschenk empfunden worden. Israels Premier Netanjahu nannte des Erdgasfeld Leviathan vor der Küste des Landes einmal »ein Geschenk Gottes«, der »Sansibar«-Wirt Herbert Seckler empfindet Sylt als solches, und der Münchner Pfarrer Rainer Maria Schießler, der auf dem Oktoberfest öfters als Bedienung arbeitet, hat gesagt: »Die Wiesn ist ein Geschenk Gottes für mich gewesen.« (Wie schön für ihn, wir zahlen heuer 10,40 Euro für die Mass Bier.) Patrick Venzke, der erste Deutsche in der National Football League, empfand sogar sich selbst gelegentlich als »Gottes Geschenk an den Football«. Und auch an Wunstorf hat der Herr gedacht, als er 2014 die Bundeswehr dort das erste Exemplar des neuen Transportflugzeugs A400M stationieren ließ, was Bürgermeister Rolf-Axel Eberhardt ein »Gottesgeschenk für Wunstorf« nannte.
Am erstaunlichsten aber ist es doch, dass nun Recep Tayyip Erdoğan von Gott einen Putschversuch geschenkt bekam, einfach so, er hatte nicht mal Geburtstag. Man stelle sich vor, man sitzt abends im Urlaub beim Essen, erholt sich von den vielen Beleidigungsprozessen, die man mühsam anstrengen musste, oder zählt bei einem Gläschen Tee die Leute durch, die man gerne ins Gefängnis stecken würde, fände man nur genug Vorwände dafür. Und plötzlich ist dieser Putschversuch da, schön in Geschenkpapier, und man denkt voller Dankbarkeit: Mei, ein so schöner Putschversuch, das wäre doch jetzt wirklich nicht nötig gewesen! Aber trotzdem danke! »Ein Geschenk Gottes« sei das, hat Recep Tayyip Erdoğan gleich gesagt, und es war wirklich ein Musterexemplar von einem Putschversuch, gefährlich anzusehen, aber schön laienhaft und mehr oder weniger schon gescheitert. Damit spielt Recep Tayyip nun immerzu, und Gott, was tut Gott? Ach, lassen wir das!
Illustration: Dirk Schmidt