Alice Sara Ott
Früher dachte ich immer, ich muss raus aus München, nach Berlin, Paris, Tokio – einfach weg. Inzwischen bin ich drei Viertel des Jahres auf Konzertreisen; das macht auch Spaß, aber sobald ich am Münchner Flughafen ankomme, wird mir warm ums Herz und alles schaltet auf Zeitlupe – in Bayern ist es so gemütlich.
Ich bin in der japanischen und der deutschen Kultur aufgewachsen – in Deutschland war ich mein Leben lang der »Ching Chang Chung«, in Japan spricht man mit mir Englisch. Die Musik war immer ein Zufluchtsort, an dem ich mich zu Hause gefühlt habe: Das Klavier wird in Japan genauso verstanden wie in Deutschland.
Mit vier habe ich angefangen zu spielen. Ich habe auf meine Eltern eingeredet, dass ich Pianistin werden will. Meine Mutter war erst dagegen: Sie ist selbst Pianistin und wollte nicht, dass ich mich so früh festlege. Heute ist das Klavier wie mein Tagebuch: Ich erinnere mich an Stücke, die mich in einer bestimmten Zeit begleitet haben. Zum Beispiel das Klavierkonzert Nr. 1 von Tschaikowsky, das erste Konzert, das ich mit 14 gespielt habe.
Für mich war es nie ein Opfer, viel Klavier zu üben. Zwar konnte ich nicht zu allen Geburtstagsfeiern meiner Schulfreunde, weil ich um die Welt gereist bin; dafür habe ich jetzt in den verschiedensten Ländern Freunde. Weit weg von zu Hause zu sein ist trotzdem schwer, zum Glück gibt es Handys. Ich habe auch immer ein Foto von meiner japanischen Großmutter dabei und einen Brief, den sie mir mal geschrieben hat – sie ist letztes Jahr gestorben –, solche Dinge sind ein Stück Heimat in der Fremde.
Nach einer Reise gehe ich gern zum Odeonsplatz, setze mich in die Feldherrnhalle und schaue hinunter zum Siegestor – in solchen Momenten merke ich, wie verwurzelt ich hier bin. Wirklich klar geworden ist mir das, als ich mal zwei Monate am Stück in Japan war. Ich liebe die japanische Kultur, aber zum ersten Mal war ich nur beruflich dort, die Mentalität im japanischen Geschäftsleben war mir so fremd – ich hatte Heimweh und wollte plötzlich unbedingt eine Breze. Heimat ist doch dort, wo die Kindheitserinnerungen sind, die Freunde, die Familie. Auch wenn ich noch jung bin und andere das langweilig finden – ich spüre, dass ich mein Leben in München verbringen will.
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Alice Sara Ott
Pianistin, 22 Jahre, wuchs mit einem deutschen Vater und einer japanischen Mutter in München auf. Schon als Kind gewann sie Musikwettbewerbe wie zum Beispiel Jugend musiziert. Ott studierte am Salzburger Mozarteum und wird im Oktober mit dem ECHO Klassik als »Nachwuchskünstlerin des Jahres« ausgezeichnet. Davor erscheint ihre CD mit den Klavierkonzerten Nr. 1 von Tschaikowsky und Liszt in Zusammenarbeit mit den Münchner Philharmonikern.
Michael Manke
Michael Manke
Am Anfang fand ich es nicht gut, dass wir nach Australien gezogen sind. Meine Mutter hat uns ein bisschen reingelegt: Sie sagte, wir bleiben für drei Monate, lange Sommerferien. Dann wurden es vier Monate, dann ein Jahr und schließlich zehn Jahre. Ich war elf, als wir dort ankamen, konnte kaum Englisch, meine Eltern lebten getrennt und mein Vater blieb in Deutschland. Ich war einfach traurig. Nur in den Sommerferien und an Weihnachten haben mein Bruder und ich ihn besucht. Den Grund, warum wir weggegangen sind, habe ich nie richtig verstanden. In Australien sind wir ständig umgezogen – ich hab sicher in 15 verschiedenen Häusern gewohnt.
Heimat ist für mich kein bestimmter Ort – ich kann mich überall anpassen. In den letzten Wochen habe ich in Los Angeles einem Fotografen assistiert – dort hab ich mich sofort wohlgefühlt. Ich finde schnell Menschen, die ich mag, das macht es mir leichter. Natürlich gibt es Menschen, die mir wichtiger sind als andere: Als ich in Schwabing in der Grundschule war, hatte ich einen Freund, den Pablo. Wir hatten zehn Jahre lang überhaupt keinen Kontakt, und vor ein paar Wochen hab ich ihm geschrieben, dass ich wieder in München bin. Es ist verrückt: Über all die Jahre haben wir uns fast parallel entwickelt. Er fotografiert auch, macht auch elektronische Musik.
An vertrauten Orten anzukommen löst bei mir ein Gefühl von Zuhausesein aus. Zum Beispiel wenn ich in Australien vom Flughafen abgeholt werde, von meiner Mutter, meinem Bruder oder von Freunden. Auch Kälte verbinde ich mit Heimat. Ich bin immer im Hochsommer in Australien weggeflogen und in München im Winter gelandet. Mein Vater hat am Tegernsee gelebt und die Landstraße vom Flughafen München zum Tegernsee raus, diese Voralpenlandschaft, der dunkle See, der manchmal ganz zugefroren war – ich mochte das sehr, ich liebe den Winter in Deutschland. Und wie schön, dass man hier so viele andere Länder in der Nähe hat. In Australien hat man nur Australien.
Was mich allerdings in Deutschland ein bisschen stört, ist, was die Menschen essen – ich hab noch nie im Leben Fleisch gegessen. Nicht, dass ich ständig zum Weißwurstfrühstück eingeladen werde, aber mich vegan zu ernähren, ist hier nicht so leicht wie zum Beispiel in L. A. Dort sind alle auf dem Gesundheitstrip.
Ich möchte nun irgendwo mal länger bleiben und mir eine Existenz als Fotograf aufbauen. In Australien hab ich die letzten drei Jahre schon mal ein ziemlich sesshaftes Leben geführt, ich habe mit meiner Freundin zusammengewohnt; wir hatten sogar eine Katze – so richtig erwachsen, dabei war ich erst 18. Es war gut, mal so zu leben, aber mir ist klar geworden, dass ich das momentan nicht mehr möchte.
Jetzt bleibe ich erst mal in München, nächstes Jahr will ich nach Berlin und dort mit Freunden eine WG gründen. Im April geht eigentlich mein Rückflug nach Sydney, weil ich mich auf ein Datum festlegen musste und das ist der spätestmögliche Termin. Wer weiß – vielleicht lasse ihn einfach verfallen.
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Michael MankeFotograf, 20 Jahre, ist im Alter von elf Jahren mit seiner Mutter und seinem Bruder nach Australien ausgewandert und hat dort die letzten zehn Jahre gelebt. Er studierte in Brisbane Fotografie und ist seit Kurzem wieder auf Wohnungssuche in Deutschland.
Foto: Anja Frers