»Sie geben keine Interviews mehr?« – »Nur noch dieses hier«

Vicco von Bülow über sein Lebenswerk, den Kern seiner Komik, die Zumutungen des Alters, Spannfedermuffen und die Frage, wie viele knollennasige Männchen er wohl insgesamt gezeichnet hat.

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SZ-Magazin: Herr von Bülow, in Umfragen zu den beliebtesten Schauspielern und Entertainern landen Sie oft auf Platz eins. Sie gelten als einer der bekanntesten Deutschen überhaupt. Wollen Sie versuchen, Ihre Popularität zu erklären?
Vicco von Bülow: Nein.

Sie stehen kurz vor der Seligsprechung. Man geht sehr respektvoll mit Ihnen um...
...manchmal vertraut man mir sogar familiäre Details aus dem Leben in Mannheim an, auch Näheres von der verheirateten Tochter in Gelsenkirchen.

Und was sagen Sie dann?
Ich bedanke mich für so viel freundliche Zuwendung und sage alles, was ich über Mannheim und Gelsenkirchen weiß.

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Wenn Sie fliegen, macht der Pilot gern die Durchsage: »Auf der linken Seite sehen Sie Kassel«, das stammt aus einem Sketch über Flugreisen.
Ja, ich darf dann im Cockpit sitzen und werde mit den wichtigsten flugtechnischen Handgriffen vertraut gemacht. Dabei gerät das Flugzeug gelegentlich in Schräglage. Irgendwann werde ich wohl auch mal den Steuerknüppel übernehmen müssen. Sicherer wäre es, wenn ich während des Fluges bei meinen Kreuzworträtseln bliebe.

Fühlen Sie sich beobachtet?
Merkwürdig war es schon, als ich mal ein neues Bett benötigte und es ausprobieren musste. Da lag ich nun, der ganze Laden stand um mich rum und jeder konnte den Text auswendig.

Hatte das Bett wenigstens Spannfedermuffen?
Das sind Ausgeburten meiner hemmungslosen Fantasie.

Aber damit haben Sie die deutsche Sprache geprägt...
Ach was?!
 

...mit eben genau diesen kleinen Füllseln. Ohne Sie kein gedehntes »Moooment«, kein »Ach was?!«. Ist Ihnen die Wirkung Ihrer Sprache auf die Ihres Publikums bewusst?
Es hat mich überrascht. Diese Worte stehen einfach in einem ungehörigen Zusammenhang. Wenn jemand bemerkt: »Ihre Frau ist sympathisch« und der Ehemann sagt: »Ach was!?«, wirkt das verblüffend.

Sie haben auch die Beamten- und Politikersprache populär gemacht.
Eine Politesse, die sich mit einem Autofahrer über das Funktionieren eines Parkautomaten auseinander setzt, bricht unter der verdrallten Autorität ihrer eigenen Fachsprache zusammen. Da kommt dann auch leider Schadenfreude ins Spiel. Außerdem hat die deutsche Sprache wundervolle Substantive, die im Rahmen einer Liebeserklärung enorme Wirkung haben: Auslegeware oder Sitzgruppe beispielsweise.

Kommt man hier hinter das Geheimnis der Loriot-Komik?
Keine Ahnung, ob es da ein Geheimnis gibt. Ich habe einfach immer nur getan, was mir Spaß macht. Als ich zum Beispiel anfing, Zeichentrickfilme zu drehen, wollte ich nicht die übliche Masche wiederholen. Das zappelige Tempo gefiel mir nicht. Ich sah den Reiz des Zeichentrickfilms in einer ungewohnten Langsamkeit, in seiner Nähe zur Realität.

Die Herren im Bad wären als richtiger Film nicht lustig?
Überhaupt nicht. Andersherum wäre die Geschichte vom Lottogewinner im Zeichentrick viel weniger absurd und die Nudel an der Lippe ist überhaupt nur im Realfilm denkbar. Mit der Entscheidung für eine falsche Technik kann man jede Wirkung verkorksen.

Vieles in Ihren Filmen und Fernsehsendungen wirkt sehr choreografiert, berechnet.
Das mag sein. Bei der Geschichte mit dem Mann und der Kalbshaxe Florida muss das quälende Gefühl entstehen, es sei eine Maschinerie gegen ihn in Bewegung, der er nicht entkommen kann.

Warum geht bei Ihnen so oft etwas zu Bruch?
Zerstörung, Misslingen, Destruktion ist Teil jeder Komik, egal ob nun in Worten oder Taten.

Welche Szene ist Ihrer Meinung nach die populärste?
Vielleicht das Frühstücksei, es berührt ein Thema, das mir immer sehr am Herzen lag: die Kommunikationsstörung.

Sind Sie in dieser Angelegenheit auf Seiten des Mannes?
Ausnahmsweise. Denn meist stört mich das Gehabe meiner Geschlechtsgenossen.

Ach ja... zwei nackte Herren zwängen sich in eine Badewanne und jeder beharrt auf seiner überlegenen Stellung im Berufsleben.
Was ist daran übertrieben?

Es gibt Millionen Menschen, die ständig Ihre Sketche nacherzählen. Überall trifft man auf Leute, die Sie zitieren. Stört Sie das?
Nö.

Wir sind ein Volk von Loriot-Klonen und Sie sind schuld.
Ich bitte um Vergebung.

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Zu Ihren populärsten Figuren gehörten Wum und Wendelin. War Wendelin schwul?
Ach nein, er sprach nur so nasal, weil er einen Rüssel hatte.

Aber er wirkte schon sehr weiblich.
Er war wohl noch vor der Pubertät, da kann man das nicht so genau unterscheiden.

Ihre Figuren gehören immer dem Mittelstand an. Ihr Publikum auch?
Die Klassenunterschiede spielen in Deutschland keine große Rolle, schon gar nicht im Hinblick auf meine Überlegungen.

Sind Sie einverstanden, wenn man sagt, Ihre Figuren seien im Durchschnitt gebildeter, anspruchsvoller und sprachlich besser geschult als Ihre Zuschauer?
Auf welches Glatteis wollen Sie mich denn mit dieser Frage locken? Richtig ist, dass ich mir mit der Sprache große Mühe gebe.

Dasselbe gilt für passende Namen. Wie kommt man auf gute Namen?
Das ist sehr mühevoll. Komik im Verhalten von Menschen entwickelt sich aus Normalität. Heitere Fantasienamen schieben die Situation auf eine ganz andere, unwirkliche Ebene. Der große humoristische Stilist Thomas Mann machte mich immer etwas ratlos mit den Herren Kuckuck, Pepperkorn und Grünlich.

Wenn also der Regisseur in Ihrem »Das ist Ihr Leben«-Sketch nicht Ted Braun, sondern Albert Kuckuck hieße, wäre die Szene nicht so komisch?
Es hätte die Sache erwürgt.

Wir sprechen also von vollkommen normalen Namen, über die plötzlich jeder lacht: Herr Striebel, Herr Moosbach, Herr Vogel beim Skatspielen. Herr Müller-Lüdenscheidt, Herr Dr. Klöbner, Herr Lohse in Pappa Ante Portas.
Diese Namen sind von solidem bürgerlichen Klang und sorgen für die Glaubwürdigkeit der Geschichte.

Wussten Sie, dass es in Köln ein Lokal gibt, das nach Herrn Hallmackenreuther benannt ist?
Ach nee. Und was gibt es da?

Man kann gut frühstücken. Wie viel Zeit nehmen Sie sich für Namen?
Mehr als mir lieb ist. Eine Idee für einen Sketch kommt schneller als die Namen der Personen, die darin auftreten.

In dem Film Die Sunny-Boys nach dem Bühnenstück von Neil Simon sagt Walter Matthau zu seinem Neffen auf die Frage, welche Worte komisch sind: »Worte mit ›P‹ sind komisch, Worte mit ›K‹ sind komisch. ›Pickel‹ sind komisch. Nicht wenn man sie hat, aber wenn man sie sagt.« Haben Sie nach solchen Regeln gearbeitet?
Mit Pickeln nicht.

Die von Ihnen gespielten Figuren sprechen das »S« manchmal so merkwürdig.
Weil ich einen »S«-Fehler habe.

Verzeihung.
Bitte. Ich teile dieses Schicksal mit den meisten Berlinern.

Wie beobachten Sie den Wandel der Sprache? Sind Sie in Sorge?
Die Anglisierung unserer Sprache steigert sich allmählich in eine monströse Lächerlichkeit. Deutsch wird uncool. Gleichzeitig blamieren wir uns mit Worthülsen wie »Ich erwarte mir« oder »Ich gehe davon aus«.

Leiden Sie darunter?
Ziemlich. Ich wollte mal einen Brief in einen Kasten werfen, auf dem stand, dass er um zehn Uhr dreißig geleert werde. Er war aber schon geleert und es war erst zehn. Als ich am nächsten Tage den Postbeamten um eine Erklärung bat, sagte er: »Ich bin davon ausgegangen, dass keiner mehr kommt.«

Manche Ihrer Szenen haben mehrere Ebenen der Komik. Der Herr mit der Nudel ist ja nicht nur wegen der Nudel komisch...
Es liegt wohl auch an der schockähnlichen Sprachlosigkeit der Partnerin. Der penetrante Liebhaber wird ebenso durch sie wie durch die Nudel dekuvriert.

Stimmt der Satz: Die Hölle sind immer die anderen?
Na ja, manchmal ist man sich auch selbst der Deibel...

Sie hatten viel Glück in der Auswahl Ihrer Schauspieler.
Evelyn Hamann ist wirklich wunderbar, auch Ingeborg Heydorn.

Oder Heinz Meier, der Mann mit dem Schnurrbart. Er ist immer entweder schlecht gelaunt oder das perfekte Opfer.
Ein großartiger Schauspieler. Diese Genervtheit im Skat-Sketch und das Hilflose des Lottogewinners kann niemand so spielen wie er.

Es wurde sicher viel gelacht beim Drehen.
Nein, gar nicht.

Das glauben wir Ihnen nicht.
Ist aber so. Wenn die Kamera läuft, ist jeder im Team mit seiner Arbeit und sich selbst beschäftigt. Außerdem drehten wir jeden Take durchschnittlich 15-mal. Lachen ist da eher hinderlich.

Verliert man dabei nicht die Sicherheit, dass die Szene auch wirklich komisch ist?
Eine tragische Szene zu drehen ist jedenfalls einfacher. Komik funktioniert nur bei perfektem Timing und exaktem Rhythmus. Die Entscheidung, ob etwas komisch ist oder nicht, ist in den Monaten vorher am Schreibtisch gefallen. Wenn einem beim Drehen Zweifel kommen, ist man erledigt. Und wenn man nach Abschluss der Dreharbeiten am Schneidetisch einen unabänderlichen Fehler entdeckt, möchte man aus dem Leben scheiden.

Wie oft haben Sie den Sketch mit dem schiefen Bild gedreht, bis er perfekt war?
Das war extrem schwierig. Wir mussten die Sache beim ersten Mal im Kasten haben, weil wir keine Zeit hatten, das ruinierte Zimmer ein zweites Mal aufzubauen. Tatsächlich haben wir dann nur einen einzigen Take gebraucht, mit mehreren Kameras aus verschiedenen Positionen. Die Szene war übrigens nicht ungefährlich. Durch den Sturz auf den Tisch hätte mich ein schwerer Leuchter fast enthauptet. Ein Finale von fraglichem Unterhaltungswert.

Waren Sie ein fröhliches Kind?
Nicht besonders. Ich war still und schüchtern.

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Hatten Sie eine schöne Kindheit?
Nach dem frühen Tod der Mutter verlebte ich die Kindheit bei meiner Großmutter in Berlin. Sie war von einer Engelsgeduld im Beantworten meiner Fragen, vermittelte mir unversehens die Grundlagen einer nützlichen, altmodischen Allgemeinbildung und führte mich am Klavier durch die Opern von Mozart bis Puccini. Davon zehre ich noch heute.

Sie kommen aus einer Soldatenfamilie. Was haben Sie im Krieg gemacht?
Ich machte mit 17 das Notabitur, begann als Panzergrenadier eine Offizierslaufbahn, wurde Oberleutnant und verbrachte drei Jahre in Russland.

Warum wollten Sie Soldat werden?
Es war eine Familientradition und wurde seit Jahrhunderten nicht in Frage gestellt.

Waren Sie ein guter Soldat?
Nicht gut genug, sonst hätte ich am 20. Juli 1944 zum Widerstand gehört. Aber für den schauerlichen deutschen Beitrag zur Weltgeschichte werde ich mich schämen bis an mein Lebensende.

Was machten Sie nach dem Krieg?
Nichts. Oder doch...ich verdiente mir meine Lebensmittelkarten als Holzfäller. Ein Jahr lang. Dann folgte ich dem Rat meines ungeduldigen Vaters und begann ein Studium an der Hamburger Landeskunstschule.

War das nicht eine Überwindung für Ihren Vater?
Nein. Er war ein Mann ohne Vorurteile. Er erkannte einen künstlerischen Beruf für seinen Sohn als richtig, obwohl er selbst, abgesehen von einer Neigung zum Vortragen klassischer Balladen, nicht musisch veranlagt war. Mit dem Tage der Währungsreform 1949 erhielt jeder Bürger vierzig Mark der neuen Währung. Mein Vater kaufte von dem Geld einen Zauberkasten.

Für Sie?
Nein, für sich. Er kaufte sich einen Zauberkasten und reiste zu mir nach Hamburg, um meine Freundin und mich mit einer magischen Vorstellung zu verblüffen. In meinem Acht-Quadratmeter-Zimmer steigerte sich diese Darbietung dann zwischen guter Absicht und missratenen Effekten zu einem Desaster von schier wahnsinniger Komik. Die vierzig Mark hätten nicht besser angelegt sein können. Und aus der Freundin wurde meine Frau, mit der ich noch immer verheiratet bin. Als mein Vater im Sterben lag, saß ich bei ihm und begann einen Satz mit den Worten: »Ich kann mir nicht vorstellen...« und machte eine Pause. In diese Pause hinein sagte mein Vater: »Du brauchst dir nicht vorstellen, ich kenn dir ja schon.« Ich habe ihn sehr geliebt.

Durch Ihr Studium wurde aus einem Leutnant ein Künstler. Viel größer könnte der Bruch nicht sein. Wann haben Sie das Komische als Berufsmöglichkeit entdeckt?
1949. Ziemlich am Schluss des Studiums. Auf einer Party lernte ich eine Sekretärin vom Stern kennen, die mir die sensationelle Mitteilung machte, diese Illustrierte würde fünfzig Mark für eine witzige Zeichnung bezahlen. So wurde ich Cartoonist. Meine erste Serie hieß Auf den Hund gekommen. Leider hat Henri Nannen sie nach nur sieben Folgen eingestellt, weil die Abonnenten protestierten. Ich habe dann Reinhold das Nashorn auf den Weg gebracht. Nannen sagte, er wolle es nur haben, wenn mir mindestens vier Episoden dazu einfielen. Die Serie lief dann 17 Jahre.

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Haben Sie am Anfang Ihrer Karriere kämpfen müssen?
Kaum. Nur die Buchverlage hielten sich sehr zurück. Auch Rowohlt wollte mich nicht, was man sich dort später vorwarf. Ich hörte dann von einem gewissen Daniel Keel, der in Zürich einen Einmann-Verlag gegründet und bis dahin nur ein Buch herausgebracht hatte. Und der nahm mich. Das war der Diogenes Verlag, der jetzt gerade fünfzigsten Geburtstag hat.

Schon damals spielte der Text zu Ihren Zeichnungen eine große Rolle.
Eher waren es Zeichnungen zu Texten. Ich habe jedenfalls immer versucht, das eine vom anderen abhängig zu machen.

1968 schrieben Sie in das Vorwort Ihres Buches Loriots großer Ratgeber: »Nach etwa zwanzig Lehrjahren sah ich mich nun im Stande, ein kleines Männchen zu zeichnen, das mich bis heute ernährt.« Womit fangen Sie an, wenn Sie das Knollennasenmännchen zeichnen?
Mit den Haaren. Nicht mit der Nase.

Wie viele waren das wohl so im Lauf der Jahre?
Keine Ahnung...na, vielleicht so 20 000.

Diese Figur hat etwas sehr Melancholisches. Selbst Frauen ha-ben immer diese steife Oberlippe und sind nie wirklich hübsch.
Wer ist schon wirklich hübsch? Jeder Karikaturist neigt zu melancholischen Figuren. Sie haben was Tröstliches.

Täuscht uns der Eindruck oder sparen Sie das Sexuelle aus?
Da ist Ihnen wohl etwas entgangen...

Was?
Darauf müssen Sie ohne meine Hilfe kommen.

Das Knollennasenmännchen ist typisch deutsch.
Ist das ein Kompliment? Es trägt einen Stresemann und hat eine gewisse Würde, die es gelegentlich verliert. Vielleicht ist das deutsch.

Zu Ihrer Welt gehören auch Möpse und Buchsbäumchen. Alles ist eher altmodisch.
Ja, das ist es. Wenn ich Autos zeichnete, waren es die Automobile aus meiner Kindheit, Türen hatten immer Füllungen, die Möbel stammten aus der Gründerzeit. Auch meine Figuren passten nie in die Epoche, in der ich sie gezeichnet habe. Das waren die vertrauten Eindrücke der Kindheit im Schutz der Großmutter. Ich bin sehr geprägt von diesen Resten bürgerlicher Romantik. Das hat sich im Lauf der Jahre als Vorteil erwiesen: Unzeitgemäßes hält sich länger.

Woher wissen Sie, was komisch ist?
Aus Erfahrung. Aber es gibt auch Regeln. Jerry Lewis hat viele davon aufgestellt. Eine lautet: Wenn du als Entertainer auf die Bühne gehst, musst du als Allererstes eine sehr gute Geschichte erzählen. Und dann zwanzig Sekunden später noch so eine. Von da an kannst du alle zwanzig Sekunden machen, was du willst. Das Publikum wird im selben Rhythmus weiterlachen. Aber über den Zusammenhang von Komik und Rhythmus sprachen wir schon. Sie brauchen nur Harald Schmidt zu beobachten. Der hat das im kleinen Finger.

Wie vermeidet man es, Dinge zu tun, die nicht komisch sind? Sie müssen es wissen, Sie hatten nie einen Flop.
Man muss sehr rigoros sein und mehr wegschmeißen, als man verwendet. Mir fällt das nicht schwer, manche Texte lese ich einem Mitarbeiter oder meiner Frau vor. Wenn sie nicht reagieren, schreibe ich es um oder werfe es weg. Aber das liegt nun hinter mir.

Leider.
Nein. Nicht leider. Ich habe immer, wenn ich meinte, eine Sache nicht mehr besser machen zu können, damit aufgehört. Das war so mit dem Zeichnen und auch mit dem Fernsehen.

Sie hatten doch sicher hoch dotierte Angebote von den Privatsendern?
Schon, aber die wollten zwölfmal im Jahr eine Sendung und das geht nicht. Nicht auf gleich bleibendem Niveau.

Sie hätten steinreich werden können.
Es tut mir Leid, dass ich Sie enttäuschen muss, aber ich blieb immer bei dem, was mir Spaß machte.

Sind Sie eigentlich noch Loriot?
Viele nennen mich so. Aber inzwischen hat sich auch mein richtiger Name rumgesprochen.

Das hat wohl auch damit zu tun, dass Sie sich als Loriot rar machen. Wie ist denn der Ruhestand so?
Er fängt irgendwie nicht an. Ich versuche das meiste abzusagen, aber manchmal kann und will ich den Kopf nicht aus der Schlinge ziehen.

Sie geben keine Interviews mehr?
Nur noch dieses hier.

Warum?
Es ist nicht abendfüllend, über sich selbst zu reden. Außerdem ist noch viel anderes zu tun.

Was denn?
Ich moderiere Konzerte, verwalte das Getane, beantworte Briefe, mache Ordnung für die Nachkommen und kümmere mich um meine Familie. Gelegentlich fahren wir auch in unsere kleine Berliner Wohnung, gehen in die Oper, ins Theater und natürlich ins Kino.

Was sehen Sie sich an?
Zuletzt Italienisch für Anfänger und den hinreißenden deutschen Film Bella Martha von Sandra Nettelbeck.

Gibt es so etwas wie Altersweisheit?
Kaum. Die Jahre vergehen fast zu schnell, um aus Erfahrungen zu lernen. Wenn man jung ist, teilt man die Menschen in zwei unveränderliche Gruppen: Alte und Junge. Und wenn man alt ist, teilt man sie in Kranke und Gesunde. Erst sehr spät lehrt die Erfahrung, dass man keiner Gruppe entkommt.

Seit wann glauben Sie zu altern?
Die Erkenntnis, alt zu sein, kommt nicht allmählich. Sie überfällt einen ganz plötzlich. Man wacht eines Morgens auf und stellt fest: So, jetzt bist du alt. Ein Anlass zu staunen.

Oder zur Besorgnis?
Karl Valentin sagte, man liest jeden Tag die Traueranzeigen, damit man weiß, wer noch lebt. Eine gewisse Ängstlichkeit macht sich breit, die Ungewissheit über die Fortdauer der Gesundheit.

Dafür müssen Sie wenigstens nicht mehr arbeiten.
Das Alter ist nicht der erwartete beschauliche Ausklang. Die Genussfähigkeit nimmt nicht zu, der Wein schmeckt nicht besser. Ja ja, man kann den Enkeln Märchen vorlesen und lange spazieren gehen. Aber das Getriebe ist nun mal seine 250000 Kilometer gelaufen und sollte ausgetauscht werden. Auch die kleinen Übel gehen einem langsam auf die Nerven.

Was sind das für Übel?
Ächzendes Verlassen des Taxis, Zögern bei der letzten Treppenstufe, Unauffindbarkeit des zweiten Mantelärmels, zu Hilfe eilende junge Damen...Altern ist schon eine Zumutung.

Können Sie sich erinnern, wann genau Sie das Gefühl hatten, nun alt zu sein?
Nee, nicht genau, ich war so um die siebzig. Da ärgerte mich meine Vergesslichkeit. Die findet man nur eine Weile komisch.

Über diesen Punkt sind Sie hinaus.
Allerdings, Namen, Daten und Filmtitel sind in entscheidenden Momenten wie weggeblasen. Man entwickelt im Laufe der Jahre zwar eine gewisse Geschicklichkeit zur Umschreibung von Dingen oder Personen, aber das hilft nicht, wenn man diese Tricks auch noch vergisst.

Das geht uns allen so. Ihr Publikum hätte dafür Verständnis.
Das tröstet mich.

Sie haben vor knapp dreißig Jahren schon ältere Herren gespielt. Von heute aus beurteilt: Waren Sie gut?
Ich fürchte, ja. Das habe ich von meinem Vater. Er hat mit Wonne zu Hause alte Männer parodiert. Als er selber alt wurde, machte er das immer noch und spielte mit siebzig einen Neunzigjährigen. Ich lebe inzwischen mit dem Vorteil, mich nicht mehr verstellen zu müssen, um mich wie ein alter Mann zu bewegen.

Ist es nicht eine Gnade, sich nicht verstellen zu müssen? Keiner erwartet von Ihnen, dass Sie jünger auftreten oder gar eine junge Freundin haben.
Ich bemerke sehr wohl, mit welchem Geschick Sie versuchen, mich bei Laune zu halten.

Kann man lernen, mit dem Altern umzugehen?
Notgedrungen. Ein gewisser Fleiß ist angebracht.

Gibt es am Altwerden denn gar nichts Schönes?
Man weiß endlich das Notwendige vom Überflüssigen zu unterscheiden. Auch das globale, gemeinsame Altern hat was sehr Beruhigendes.

Sie sind wohlhabend, werden geliebt; Ihre Familie ist wohlauf, Sie sind Ehrenbürger von Münsing und Brandenburg. Es gibt für Sie keinen Anlass zur Beschwerde.
Dafür bin ich auch sehr dankbar und freue mich über jeden Tag, an dem ich noch erwache.

Gibt es Momente, wo Sie aufwachen und nicht mehr wollen?
Sie meinen diese zeitgemäße, weit verbreitete Morgenmelancholie? Die ist nach zehn Minuten vorbei.

Denken Sie dann über den Tod nach?
Na, das ist vielleicht ein heiteres Interview!

Sie kommen aus einer großen Familie. Hilft das?
Wie man's nimmt. Zwölf meiner Altvorderen hängen bei mir an der Wand und lassen mich nicht aus den Augen.

Haben Sie Angst vor dem Tod?
Die Vorstellung einer längeren Krankheit will mir nicht gefallen...

Was empfinden Sie dabei, dass in sämtlichen Redaktionen Deutschlands Ihr Nachruf in der Schublade liegt?
So sehr ich auch in mich hineinlausche: Ich empfinde nichts.

Was kommt nach dem Tod?
Der Himmel, hoffe ich. Ich habe mir meinen Kinderglauben an den lieben Gott bewahrt.

Wissen Sie, was auf Ihrem Grabstein stehen soll?
Zweckmäßig wäre es, wenn der Name darauf stünde.

Haben Sie den Eindruck, sich mit dem Alter zu verändern?
Man glaubt, die offensichtlich unveränderte innere Jugendlichkeit sei auch äußerlich noch erkennbar. Irrtum!

Sind Sie besorgt um Ihre Gesundheit?
Natürlich. Wegen meiner gelegentlichen Auftritte. Es ist unerfreulich, wenn das Publikum den Atem anhält vor Angst, der greise Künstler könne auf der Bühne stolpern oder in Ohnmacht fallen.

Tun Sie was dagegen?
Vor einiger Zeit ging ich mal zu einem Check-up ins Krankenhaus. Ich meldete mich unter einem falschen Namen an, damit die Presse mir nicht auf die Pelle rückt. Ich lag mit einem alten Mann im Zimmer, der beharrlich schwieg. Nach drei Tagen sagte er: »Wissen Sie, wie Sie aussehen?« Und ich: »Wie denn?« Er: »Wie der Dings aus dem Fernsehen.« - »Wer?« - »Na, der Fuchsberger.«

Halten Sie sich fit, treiben Sie Sport?
Ich sage mir Hamlet-Monologe auf, die ich noch aus der Schulzeit kann. Aber das wollten Sie wohl nicht hören. Ich glaube, dass mir das Leben weniger gefiele, wenn ich es durch tägliches, stundenlanges Training zu verlängern trachtete. Allerdings ist diese Methode nur mit Vorsicht weiterzuempfehlen.

Sind Sie altersmilde oder altersstreng?
Sie meinen altersstarr? Dieser Starrsinn ist nicht nur negativ. Für einen alten Mann gibt es keinen Grund, mit der eigenen Meinung hinter dem Berg zu halten. Das wirkt vielleicht manchmal unbeweglich, ist aber ein Zeichen von Freiheit. Auch die Vorliebe für feste Rituale macht zwar den Eindruck von Starrheit, aber damit kann ich leben.

Kann man sich bei Ihnen gar nicht vorstellen.
Doch. Ich beharre darauf, Günther Jauch und Wer wird Millionär? zu sehen.

Wie weit kommen Sie denn da?
Die Leiter meines Erfolges ist beschämend kurz. Manchmal fliege ich nach der 500-Euro-Frage raus, weil ich den Namen einer Popgruppe nicht weiß. Weiter oben wird es für mich dann leichter.

Und was ist mit der Altersmilde?
Ich habe eine ziemliche Schafsgeduld.

Bereuen Sie etwas?
Leider weiß ich, dass ich nun nicht mehr gutmachen kann, was ich bereue.

Zum Beispiel?
Mir wäre lieb, wenn ich am Ende unseres Gespräches noch Geheimnisse hätte.

Würden Sie gern noch etwas ganz Außergewöhnliches tun? In den Weltraum fliegen und die Erde von oben ansehen oder so etwas?
Nicht geschenkt.

Haben Sie mal die Befürchtung gehabt zu scheitern?
Oh ja - 1979, kurz bevor ich für einen Sketch die Berliner Philharmoniker dirigierte.

Für einen Musikliebhaber muss das ein Traum sein.
Das war es. Aber auch ein Albtraum.

Warum?
Da sitzen ja nicht irgendwelche Leute, sondern 120 Spitzenprofis. Und es ist ein Unterschied, ob Sie zu Hause im Wohnzimmer eine CD dirigieren oder im Konzertsaal die Berliner Philharmoniker. Ich ging also zur Probe und merkte unterwegs, wie ich beklommener und beklommener wurde. Ich zog mich aufs Pult und dachte, du bist vollkommen verrückt, dich in so eine Situation zu bringen.

Und wie war es dann?
Ich war zutiefst überrascht, als auf mein Zeichen tatsächlich Beethoven zu hören war. Als ich meine Sinne wieder einigermaßen gesammelt hatte, klopfte ich ab und sagte zum Konzertmeister: »Ich habe den Eindruck, wir sind ein bisschen zu langsam.« Darauf er: »Dann dirigieren Sie doch schneller.« - »Was denn, Sie richten sich wirklich nach mir?« Da blieb dann nur noch die Flucht nach vorn. Ich werde es nie vergessen.

Was fasziniert Sie so an Richard Wagner?
Das ist schwer zu beschreiben. Ich war etwa Mitte dreißig, als mich der Tristanakkord traf wie ein elektrischer Schlag. Er eröffnete mir eine neue musikalische Welt, die seither zu meinem Leben gehört.

Aber Ihre Verehrung hinderte Sie nicht daran, den Ring von 18 Stunden auf einen Abend zu kürzen und humoristisch zu kommentieren.
Sie glauben nicht, wie viele Wagnerianer und Wagner-Gegner sich überzeugen ließen.

Ihre Arbeit war nie politisch.
Sie war nie parteipolitisch.

Hatten Sie Angst, es sich mit Teilen Ihres Publikums zu verderben?
Nein, aber ich halte künstlerische Popularität für ein unfaires Wahlkampfmittel. Künstler überzeugen ja nicht durch bessere Argumente, sondern durch ihren Bekanntheitsgrad.

Sie stellten einen Teil Ihres Vermögens für wohltätige und kulturelle Hilfe zur Verfügung. Was bedeutet Ihnen das?
Ich gebe nur etwas von dem zurück, was ich dem Wohlwollen der Öffentlichkeit zu verdanken habe.

Sie waren auch in der DDR ein großer Star. Fanden die Sie nicht bourgeois?
Sie wussten, dass ich immer um Ausgleich bemüht war. Man lud mich nach Ostberlin, Weimar und Rostock zu Ausstellungen ein, meine Bücher wurden dort verlegt, und wir haben meinen ersten Film Ödipussi im Osten uraufgeführt.

In der DDR?
Ja. In Ostberlin war die Premiere um 16 Uhr und erst abends im Westen. Im Ostberliner Kino sagte ich dem Publikum, ich müsse mich schon sehr wundern, wie viele Genossen um diese Zeit im Kino sitzen, statt am Sozialismus zu arbeiten. Bei aller Tragik der Verhältnisse hatte es einen großen Reiz, die Mauer zu unterlaufen. Es hat mich immer schockiert, dass es eine westdeutsche Generation gab, für die das geteilte Deutschland vollkommen selbstverständlich war, ohne jede Neugier nach drüben – von Sehnsucht ganz zu schweigen.

Fühlen Sie sich als Preuße?
Ja, gewiss. Ich bin zwar seit 45 Jahren glücklicher Oberbayer, aber in Preußen geboren und aufgewachsen wie meine Vorfahren. Und dabei wollen wir es nun auch bewenden lassen. Mir wird ganz elend bei dem Gedanken an die verbiesterten Diskussionen um dieses verschwundene, erstaunliche Land.

Fotos: dpa