Ende Juni 2023, ein Donnerstagabend. Zwanzig Minuten noch, dann wird Eva Menassse mit einem Vortrag die Jahrestagung des Einstein Forums in Potsdam eröffnen. Titel: »Everything and Nothing. Communication in the Digital Age«. Aber noch ist es nicht so weit, noch sitzt sie in der Abendsonne und plaudert mit der amerikanischen Philosophin Susan Neiman. Es geht um einen Essay über Antisemitismus, den Menasse für die Zeit geschrieben hat, schließlich über die verheerende Situation im Westjordanland, die ständigen Übergriffe der Siedler, als Menasses Magen auf einmal Geräusche macht. »Soll ich noch was essen?«, murmelt sie, kramt eine trockene Scheibe Brot aus ihrer Handtasche, beißt ein Stück ab, kaut darauf herum. »Glutenfrei«, sagt sie, ohne dass jemand danach gefragt hätte. Sie wirkt nervös, wie vor einer Prüfung, am Handgelenk die goldene Uhr ihres Vaters, der voriges Jahr gestorben ist. Die Zeiger stehen auf fünf vor sieben. »Ich scheiß mich gleich ein«, sagt sie. Menasse kommt aus Wien, da redet man so, erst recht als Schriftstellerin.
Die Ruhestörerin
Als Schriftstellerin ist Eva Menasse bedeutend, als Intellektuelle furchtlos, unbequem – und in keinem der üblichen Lager. Unterwegs mit einer großen Demokratin, die leidenschaftlich betreibt, was andere nur beschwören: frei denken.