»Erziehungsratgeber? In diesen Büchern steht nichts, was meine Mutter nicht besser wüsste«

Und wenn die Kinder aufdrehen, muss man eben lernen, damit umzugehen. Der Schauspieler Matt Damon weiß, wovon er redet - er hat vier Töchter.

SZ-Magazin: Herr Damon, lassen Sie uns über Erziehung sprechen - Sie sind auf dem Gebiet Experte.
Matt Damon: Kein Experte, eher ein Mann mit einer gewissen Erfahrung.

Sie und Ihre Frau Luciana Bozán Barroso haben vier Töchter. Wissen Sie alle Geburtstage?
Alexia stammt aus Lucianas vorheriger Beziehung, sie ist jetzt zwölf, Isabella wird im Juni fünf, Gia im August drei und Stella kam im Oktober zur Welt.

Werden Sie in diesem Rhythmus weitermachen?
Nein, wir hören jetzt erst mal auf. Wir sind sehr glücklich, unser Leben ist ausgefüllt. Vier ist die perfekte Zahl.

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War diese Familie geplant?
So was kann man nicht planen. Lucianas Schwestern haben Kinder, mein Bruder ebenfalls. Unsere Familien lieben Kinder, überall laufen welche herum, da machen ein paar mehr keinen Unterschied aus. Bei uns ist jeder willkommen. Aber ich sage auch: Vier sind genug.

Vor Kurzem sind Sie von Miami nach Manhattan gezogen.
Im September.

Wegen der besseren Schulen?
Die Schulen waren ein Grund, Florida zu verlassen, aber noch wichtiger ist der Alltag außerhalb der Schulen. In Miami oder Los Angeles führen Leute wie ich ein trostloses Leben in abgeschotteten Siedlungen. Man steigt zu Hause ins Auto, und irgendwo anders steigt man wieder aus und verschanzt sich hinter Mauern. Ich will meine Kinder nicht vom echten Leben isolieren, nur weil ich prominent bin. In New York können wir auf der Straße spazieren und sind Teil unseres Viertels. Meine Kinder können ja nichts dafür, dass ich ihr Vater bin, also möchte ich ihnen ermöglichen, jeden Tag Menschen aller Rassen und Klassen zu treffen.

Wichtige Frage für alle New Yorker Eltern: Hat jedes Kind sein eigenes Zimmer? Tatsächlich war das ein Thema, weil wir nicht mehr so viel Platz haben wie in Miami. Alexia hat ihr Zimmer, Gia und Isabella teilen sich eines, und Stella schläft noch bei uns.

Ihre Mutter machte eine glänzende Karriere als Professorin für Pädagogik. Eine Hilfe?

Ihre Generation war geprägt von den Ideen der Hippies, sie hat sich auf gewaltfreie Konfliktlösung spezialisiert. Uns erzog sie sehr liberal. Wenn wir in der Schule schlechte Noten hatten, beschwerte sie sich bei den Lehrern, sie würden uns unterfordern.

Und rät sie Ihnen heute, es genauso zu machen?

Nein, sie lässt uns machen. Natürlich profitieren wir von ihrem Wissen. Sie hat ihr gesamtes Leben der Pädagogik gewidmet, hat Lehrer ausgebildet. Sie weiß auf jede Frage eine kluge Antwort. Mit ihr haben wir zum Beispiel auch unseren Umzug nach New York besprochen.

Wohnt sie auch in New York?

Nein, in Boston.

Wie lautete Ihre letzte Frage an sie? Wir hatten erst gestern eine Auseinandersetzung - es ging um die Frage, welche Schule Alexia besuchen soll.

Was schlägt Ihre Mutter vor?

Ach, das ist eine lange Geschichte. Zu kompliziert.

Das amerikanische Schulsystem ist ja auch kompliziert. Es bringt jeden an den Rand des Nervenzusammenbruchs.

Wenn Sie einen Pädagogen sehen wollen, aus dessen Ohren Rauch aufsteigt, dann fragen Sie ihn nach dem Zustand der Schulen im Land und was Obamas Leute derzeit damit anstellen.

Obama ist mal wieder Schuld?
Er lässt sich beraten von Geschäftsleuten, die keine Ahnung von Bildung haben. Es ist Obamas Markenzeichen, auf die falschen Leute zu hören. Was in der Bildung umso schlimmer ist, weil sein Vorgänger verheerende Schäden hinterlassen hat. Obama lenkt das System genau in die falsche Richtung.

Was macht er falsch?
Es wird jetzt viel über einheitliche Tests diskutiert, aber die Idee, mit den Ergebnissen dieser Tests die Schulen gegeneinander auszuspielen, um angeblich deren Qualität zu verbessern, ist Quatsch. Sehen Sie, in diesem System ist das Budget für Schulen an den Notenschnitt der Schüler gebunden. Wenn eine Schule ihren Schnitt verbessert, bekommt sie also mehr Geld, umgekehrt kürzt der Staat das Budget, sobald die Ergebnisse nachlassen. Jeder Lehrer kann Ihnen beschreiben, was in den letzten Jahren passiert ist: Um bessere Ergebnisse zu erzielen, manipulieren die Schulen die Tests. Ist doch klar. Wenn mein Gehalt von den Noten der Schüler abhängt, werde ich dafür sorgen, dass sie gute Zensuren bekommen. Das System fordert weder die Intelligenz noch fördert es die Talente der Kinder, sondern trainiert die Fähigkeit, standardisierte Fragebögen auszufüllen. Von selbstständigem und kritischem Denken keine Spur. Schade für die amerikanischen Kinder.

Aber jemand wie Sie kann sich ja ohne Weiteres eine Privatschule leisten.
Das ist doch keine Lösung! Ich hatte eine wunderbare Ausbildung an einer öffentlichen Schule, von dort ging ich nach Harvard und hatte keine Probleme mit den Anforderungen. Ich wünschte, dieses System würde noch existieren für meine Kinder, ich wünschte, ich könnte sie einfach bei uns im Viertel zur Schule bringen. Leider kann ich das nicht mit gutem Gewissen tun. Wir bewegen uns mit voller Geschwindigkeit in die falsche Richtung. Wenn ich darüber rede, werde ich wütend.

In New York sind die Eltern besonders frustriert: Erst kam heraus, dass die Schulnoten massiv manipuliert wurden und die Kinder gar nicht so schlau sind wie gedacht. Dann ernannte Bürgermeister Bloomberg Cathie Black zur Schulsenatorin.

Der absolute Wahnsinn. Die Frau war Managerin beim Fernsehen, ist Multimillionärin, hat noch nie im Bildungssektor gearbeitet! Eine öffentliche Schule hat sie noch nie von innen gesehen, sie selbst und ihre Kinder besuchten Privatschulen.

Tragisch.
Ein Freund von mir arbeitet ehrenamtlich an einer öffentlichen Schule in Harlem, die sich das Gebäude mit einer Charterschule teilt, also …

… einer öffentlichen Schule, die mit privatem Geld gefördert wird.
Ja. Obamas Leute preisen Charterschulen als die Lösung der Probleme. Alle Pädagogen laufen Sturm gegen dieses Konzept. Das klassische Beispiel von der Schule meines Freundes: Die Charterschule produziert keinen besseren Notenschnitt, die Kinder erzielen später keine besseren Ergebnisse am College. Aber sie haben die besten Computer und feinste Möbel, und zu Thanksgiving hatte die Charterschule in der Lobby einen Tresen aufgebaut, wo Truthahn an die Schüler verteilt wurde. Die Kinder der öffentlichen Schule gingen vorbei und bekamen nichts ab.

Das ist Amerika.
Neulich stand ich mit meiner Ältesten an der Straße und wartete auf ein Taxi, um sie zur Schule zu bringen. Da hielt der Fahrer eines Freundes und bot an, uns zur Schule zu fahren. Er erzählte, dass er an sechs Tagen pro Woche zwölf Stunden arbeitet, aber seinem Sohn keine Ausbildung finanzieren kann. Nun will er auswandern.

Können Sie das verstehen?
Natürlich! Die Geschichte hat mich wütend gemacht, denn sie zeigt, dass dieses Land niemandem mehr eine Chance gibt. Aber die gute Nachricht ist, dass Obama mir die Steuern um drei Prozent gekürzt hat.

Glückwunsch.
Glaubt wirklich jemand, dass ich mit dem Geld ein Unternehmen gründe und Arbeitsplätze schaffe? Würde Obama diese drei Prozent Steuern von Großverdienern wie mir nehmen und an die Schulen verteilen, könnten wir den Lehrern wenigstens würdige Gehälter zahlen!

»Manchmal muss Papa eben auch Geld verdienen«

Zurück zur Familie: Gibt es Tätigkeiten, die Sie als Vater verweigern?
Nein. Nie. Ohne anderen Vätern nahetreten zu wollen, aber ich konnte nie verstehen, wie jemand nicht die Windeln des eigenen Kindes wechseln will. Aus Ekel? Man kann sich doch nicht vor einem Baby ekeln.

Haben Sie überhaupt Zeit dafür?
Ein großes Glück in meinem Beruf: Wenn ich nicht arbeite, habe ich den ganzen Tag Zeit. Nachdem wir Ende Mai den neuen Film der Coen-Brüder, True Grit, abgedreht hatten, habe ich mir bis Anfang Dezember freigenommen. Jetzt musste ich nach Chicago für einen kleinen Job, und meine Kinder konnten nicht verstehen, was los war. »Was soll das?«, haben sie gefragt. Tja, manchmal muss Papa eben auch Geld verdienen.

Aber wenn Sie einen Film drehen, sind Sie lang unterwegs, manchmal Monate.
Nein, wir haben eine Zwei-Wochen-Regel. Ich bin nie länger weg von zu Hause als 14 Tage. Und falls ich den Drehort nicht verlassen kann, kommt die Familie mich besuchen. Ich hatte den Januar jetzt frei, danach muss ich länger nach Los Angeles, wo mich meine fünf Damen besuchen werden.

Ihr Leben als berühmter Mensch führt sicher noch zu anderen Problemen. Wie erklärt man einer Dreijährigen, dass Papas Gesicht auf jedem Bus zu sehen ist?
Das Problem mit meiner Prominenz ist ein Grund, warum wir nach New York gezogen sind. Es ist ein Klischee, aber es stimmt: Hier hat jeder alles gesehen, niemand ist beeindruckt, wenn ihm Matt Damon mit seinen Töchtern begegnet. Auch in der Schule: Die anderen Eltern und die Lehrer haben keine Ehrfurcht vor mir und behandeln meine Kinder wie jeden anderen Klassenkameraden.

Sind Sie da sicher?
Die Zwölfjährige versteht natürlich schon, was geschieht. Sie hat einige meiner Filme gesehen, fragt mich aus, sie nimmt wahr, wenn sich Leute nach mir umdrehen. Aber die Jüngeren haben wirklich davon profitiert, dass wir nach New York gezogen sind. Es kommt hier fast nie vor, dass Fremde auf uns zustürmen und kreischen: »Mein Gott, Sie sind doch Matt Damon!« Höchstens Touristen. Dann wundern sich die Kinder natürlich und fragen: »Papa, kennst du diese Leute?«

Wie ist das Leben, wenn man von Paparazzi verfolgt wird?
Wir leben oberhalb der 72. Straße, da treffen wir normalerweise keine Paparazzi, weil dort zu wenige Prominente wohnen. Die Fotografen treiben sich downtown herum, wo sie Gwyneth oder Beyoncé zu finden hoffen. Wir werden selten abgeschossen, unsere Probleme sind Bagatellen im Vergleich zu den Qualen, die Angelina und Brad erleben, sobald sie das Haus verlassen. Keine Ahnung, wie die das aushalten.

Tauschen Sie sich mit den beiden aus über Erziehungsfragen?
Wenn wir uns sehen, reden wir immer über die Kinder.

Wie bringen Sie ein Baby zum Schlafen?
Ich drücke es fest an meine Brust, gehe langsam durch den Raum und singe ein Lied. Schlechte Angewohnheit, denn wenn sich das Baby an den Luxus gewöhnt, kann es bald nicht mehr allein einschlafen, und dann müssen Sie irgendwann ein zwei Jahre altes Kind in den Schlaf wiegen. Aber mir macht es Spaß, und den Babys gefällt es auch.

Lesen Sie Erziehungsratgeber?

In diesen Büchern steht nichts, was meine Mutter nicht besser wüsste. Die wichtigsten Dinge bespreche ich mit meiner Frau. Oder mit anderen Eltern.

… die meistens alle Ratgeber gelesen haben.
Genau.

Was halten Sie als Vater vom System »Bestrafen und Belohnen«?
Ich halte von solchen Richtlinien gar nichts.

Warum?

Ich glaube, man muss versuchen, Kindern erst mal zu erklären, wie die Welt funktioniert. Das geht nicht mit einem primitiven Konzept: »Wenn du brav bist, kaufe ich dir ein neues Spielzeug.« Man muss an den Verstand appellieren, den Kindern die Zusammenhänge erklären, so, dass sie ethische Grundsätze entwickeln können, nach denen sie irgendwann eigene Entscheidungen treffen. Das ist vielleicht nicht immer einfach, aber langfristig zahlt es sich aus.

Inwiefern?

Sobald die Kinder das Haus verlassen, müssen sie selber entscheiden - und das können sie nur, wenn sie kritisch denken und andere respektieren.

Das klingt wie Sehnsucht nach einer perfekten Welt.

Nein, perfekt sollen die Kinder gar nicht sein, aber wenn der Präsident sagt, er müsse demnächst dieses oder jenes Land bombardieren, dann sollen sie nicht einfach nur sagen: Wunderbar, wann geht es los, Herr Präsident?

Foto: dpa, AP