Oben auf dem Zauberberg scheinen alle Menschen gleich: Andächtig sitzen sie an den Tischchen der Wellnessklinik »Lanserhof,« löffeln Base-Tee, zählen jeden einzelnen Bissen ihres trockenen Getreidekringels und genießen den Blick auf die Tiroler Berge. Unten im Tal schauen die Innsbrucker und die Klatschjournalisten hoch und rätseln, welche Superreichen wohl gerade abgestiegen sind, um die Gifte des Luxuslebens loszuwerden. Irgendwas verrät sie immer. Bei Roman Abramowitsch zum Beispiel ist es der gigantische Privatjet, den er während der Darmkur in diesem Sommer weithin sichtbar auf dem Flughafen Kranebitten rumstehen ließ. Auch Susanne Klatten wurde wieder entdeckt, ebenso Mick Flick, der Milliardenerbe. Ihre Bekanntheit holt sie immer ein – dabei haben sie doch auch dafür bezahlt, mal nicht auf ihren Vermögensstand, sondern höchstens auf ihren Cholesterinspiegel reduziert zu werden.
Arme Milliardäre. Sie haben es sowieso nicht leicht: Sie müssen immense Verantwortung schultern – für ihre Firmen, die Fonds, für die ganze globalisierte Wirtschaft. Ohne ihre Stiftungen würden Bildung, Wissenschaft und Benefizwesen arm aussehen. Aber wehe, wenn es an der Börse kracht oder die Menschen da draußen einem der Talkshow-Plauderer der Linkspartei zu lange zuhören – dann sollen sie wieder an allem schuld sein. Eine Studie der Universität Berkeley hat erforscht, woher dieses Missverständnis rührt: Arme Menschen glauben stets, ihre Situation sei äußeren Umständen geschuldet, Wohlhabende halten die eigene Fortüne in der Regel für einen persönlichen Erfolg.
»Viele Probleme der Gesellschaft werden auf Reiche projiziert«, sagt Thomas Druyen, Professor und Reichtumsforscher an der Sigmund Freud Privat Universität Wien. »Dabei ist reich nicht gleich reich, es ist eine Charakterfrage, wie sich Vermögen auf die Psyche seines Besitzers auswirkt.« Druyen unterscheidet dabei zwei Arten: »Die einen gehen ostentativ mit den Zeichen ihres Reichtums um – die anderen wissen dagegen um die Verantwortung, die sie damit haben.«
Doch was helfen dem gütigen Vermögenden all die philanthropischen Taten, wenn zugleich reiche Töchter wie Petra und Tamara Ecclestone aus der Presse winken? Neben den Hotelerbinnen Paris und Nicky Hilton und den prunksüchtigen Kardashian-Schwestern gelten sie als verhaltensauffälligste Milliardärsbrut. Von ihrem Vater, dem Formel-1-Boss, werden sie drei Milliarden Euro erben. Die 22-jährige Petra sorgte eben in der Millionärsszene von Los Angeles für Staunen, weil sie sich schon mal 57 Millionen Euro borgte, um ein Luxusanwesen für 59 Millionen zu kaufen. Andere reiche Kinder sind den Wohlstand so gewöhnt, dass sie sich darüber einfach lustig machen: Bill Gates erzählte in einem Interview, dass seine Kinder ihn regelmäßig mit den bissigen Zeilen des Billionaire Song aufziehen: »I wanna be a billionaire so fricking bad, buy all of the things I never had.«
In gewissen Kreisen ist der schamlose Umgang mit der Prosperität Konzept. Und das in diesen Zeiten: In London stehen Straßenzüge in Flammen, Jugendliche in Spanien, Griechenland und Chile liefern sich Schlachten, in Berlin vergeht keine Nacht ohne brennende Limousinen – dass man jetzt vielleicht das Herumspritzen mit Jahrgangschampagner vorübergehend einstellen sollte, hat sich in der Szene der Superreichen nur zum Teil herumgesprochen.
»Hätte ich geahnt, wie sich diese Klasse entwickelt, ich wäre nicht so leidenschaftlich für den Kapitalismus eingetreten, wie ich es getan habe«, sagt Taki Theodoracopulos, Autor bei Vanity Fair. Vor allem die Gattung der Nouveaux Riches des 21. Jahrhunderts missfällt ihm gewaltig: »Früher orientierten sich Leute, die zu Geld gekommen waren, an den alten Oberschichten, imitierten deren Gewohnheiten und Geschmack – heute wollen sie wie Hollywoodstars sein, kaufen grauenvolle Luxusmarken und schaffen es kaum, einen Satz ohne das Wort ›Fuck‹ zu bilden.«
Prompt beginnen manche Vertreter der Old-Money-Generation sich zu wehren. Besonders in Deutschland wächst der Unmut. Ein deutscher Multimillionär klagte im Frühjahr gegen die Veröffentlichung seines Namens in der Reichen-Rangliste des Manager Magazins. Und als der Regisseur Volker Lösch in einem Revolutionsstück am Hamburger Schauspielhaus die Anschriften von 28 Millionären der Stadt von grimmigen Hartz-IV-Empfängern verlesen ließ, ging es auch sofort vor Gericht.
Viele Vermögende fühlen sich von ihren Staaten im Stich gelassen. »Sie kennen keine Heimat mehr«, sagt Taki Theodoracopulos, »und ziehen in eine Parallelwelt um.« Der Wall Street Journal-Redakteur Robert Frank hat diesen Kosmos, der alles unterhalb der Beletage ausblendet, »Richistan« genannt: Herkömmliche Staaten werden angesichts internationaler Firmenkonstrukte und Wohnsitze obsolet. Eine altertümliche Organisationsform für Leute, die Steuern bezahlen und auf Rentenkassen angewiesen sind. »Der beste Platz zum Leben ist Hongkong«, erklärte der amerikanische Logistik-Milliardär William Connor II neulich bei einer Rallye in Neu-Delhi seinen Gästen. Er habe errechnen lassen, dass von keiner Großstadt aus alle wichtigen Städte der Welt so günstig zu erreichen seien wie von Hongkong.
Waren die Inder nicht gerade noch Kolonie?
Also doch alles ganz einfach für die Superreichen? Eben nicht. Denn die guten Verbindungen nutzen ja auch andere. Zum Beispiel die neureichen Asiaten. Dass mit denen alles schwieriger wird, konnte man vor Kurzem erfahren, wenn man das Glück hatte, als Gast bei einer Tischkonversation im Millionärsasyl »Marbella Club« an der spanischen Costa del Sol zuzuhören. Da saß also eine in die Jahre gekommene Runde von Nouveaux Riches, plauderte über dies und das – und sorgte sich doch vor allem um zwei Dinge: das schlechte Verhalten des Nachwuchses und das schlechte Verhalten der neuen Millionärskollegen aus Indien, China und dem arabischen Raum. Dem ersten Problem begegnet man mit pragmatischer Härte. In der Runde saß die Besitzerin einer Kaufhauskette, die erzählte, sie habe ihre Kinder per Notar verpflichtet, alle sechs Monate einen negativen Drogentest vorzulegen. Nur dann gebe es später das Erbe. Für das Problem Nummer zwei, den Kulturschock, den die Neureichen vom asiatischen Kontinent ausgelöst haben, gibt es leider keine so einfachen Methoden.
»In St. Moritz und Gstaad haben fast alle guten Boutiquen ihr Sortiment auf abartig vergoldete und pelzverbrämte Kollektionsteile umgestellt, weil die dem Geschmack der Oligarchen-Ehefrauen entgegenkommen«, ereiferte sich eine der europäischen Millionärinnen im »Marbella Club«. Groteske Dinge wusste man auch von den Chinesen zu berichten, etwa von dem schwerreichen Minenbesitzer Sun Ximing, der wegen seines abergläubischen Hangs zur Ziffer 8 seine Yacht genau 88 Fuß lang bauen ließ. Oder von der Restaurantkönigin He Yongzhi, die es nicht nur geschafft hat, eine der reichsten Frauen Chinas zu werden, sondern gleichermaßen dankbare Kommunistin zu bleiben. Einem Reporter verriet sie, dass es auch aus Sicht der Volksrepublik »ruhmvoll sei, reich zu werden«. Da schüttelte die Runde in Marbella heftig mit den Köpfen. Der Hang zu Ideologien gilt Reichen des Okzidents als besonders suspekt.
»Die verschiedenen Kulturen ergeben verschiedene Verhaltensmuster«, sagt Thomas Druyen aus Wien, »die Reichen aus den Emiraten führen stets ihre Kultur mit sich und gehen im Ausland kaum auf ihre Umgebung ein. Chinesische Reiche zeigen Ignoranz gegenüber anderen Kulturen – wenn sie sich an etwas anpassen, dann nur, weil es geschäftlich von Vorteil ist.« Immerhin, die Russen und Inder integrieren sich zunehmend in die Sitten der westlichen Upperclass: »Russische Oligarchen wissen um ihren zweifelhaften Ruf und versuchen jetzt ein positiveres Image aufzubauen, etwa indem sie englische Fußballclubs kaufen.«
Wladislaw Doronin, dem das Supermodel Naomi Campbell demnächst das »Da«-Wort geben will, ist so einer. Früher entzog sich der Moskauer Baulöwe, geschätzte zwei Milliarden schwer, der Öffentlichkeit. Heute gilt er als kultivierter Auftraggeber von Avantgarde-Architekten wie Zaha Hadid und finanziert gerade eine deutsche Ausgabe des US-Magazins Interview.
Währenddessen tun sich vor allem die Engländer etwas schwer mit den Aufsteigern aus Indien. Waren die nicht gerade noch Kolonie? Und jetzt passen sie sich so gut an? Thomas Druyen, der Vermögensforscher, spricht vom Glücksgefühl der indischen Millionäre, sich mit ehemaligen Kolonialherren auf Augenhöhe zu wissen. Aber da mag der Inder Ratan Tata englische Traditionskonzerne wie Land Rover oder Jaguar mit seinem Geld gerettet haben – bei der britischen Oberschicht stößt er damit auf wenig Dankbarkeit. Auch Megha Mittal, Schwiegertochter eines Stahlkönigs, die den deutschen Konzern Escada aus der Insolvenz erlöste, soll bloße Skepsis geerntet haben, als sie der Designabteilung persönliche Ideen zukommen ließ.
Aber es gibt auch erfreuliche Meldungen. Thomas Druyen ist regelrecht gut gelaunt, wenn er in seine Statistiken schaut, denn die Superreichen machen ja manches richtig; sie haben zum Beispiel in den vergangenen Jahren viel Geld in gemeinnützige Stiftungen investiert, ob das Warren Buffet war, Liliane Bettencourt, die L’Oréal-Erbin, oder der Chef von Peugeot-Citroën, Philippe Varin: Sie alle spenden, um Armen zu helfen oder die Schuldenkrise zu bekämpfen. »Sie leben einen positiven Egoismus, der nicht nur dem Erhalt ihres Besitzes, sondern auch der Allgemeinheit dient«, sagt Thomas Druyen. Kann aber auch etwas anderes bedeuten: dass die Superreichen angesichts des Versagens der politischen Klasse wieder selbst mitreden wollen. Die konservative Tea-Party-Bewegung der USA, die von vielen Reichen befeuert wird, könnte ein Hinweis darauf sein. Nicht umsonst liest man dort wieder bevorzugt Ayn Rands Roman Atlas shrugged aus den Fünfzigern, in dem die Welt zugrunde geht, weil die Superreichen streiken. Eine Neuauflage in Deutsch ist gerade in Arbeit. »Zuletzt mussten viele Milliardäre erkennen, dass eine ernsthafte Finanzkrise selbst ihr eigenes Vermögen in Gefahr bringen kann«, erklärt Druyen den neuen Hang zum politischen Einfluss, »und nichts ist ein stärkeres Motiv als die Angst, den eigenen Reichtum zu verlieren.«
Aber noch ist es ja nicht so weit. Roman Abramowitsch sorgt sich in diesem Sommer vielleicht um sein Gewicht, aber nicht die Spur um sein Vermögen. Blutwerte und Cholesterinspiegel sind nach drei Wochen »Lanserhof« in Ordnung, jetzt kann er sich seinen wirklichen Problemen widmen: Den Hafenbehörden von Antibes an der Côte d’Azur ist seine Jacht Eclipse mit 162,5 Metern zu lang. Daraufhin haben die Bürokraten dem schwimmenden Schmuckstück, das über ein Raketenabwehrsystem und ein bordeigenes Mini-U-Boot verfügt, die Anlegeerlaubnis verweigert. Ziemlich unpraktisch. Aber nun, so richtig ärgern wird sich Abramowitsch darüber nicht, dafür ist die Freude über einen feinen Unterschied viel zu groß: Sein Schiff ist um großartige fünfzig Zentimeter länger als das des Emirs von Dubai.
Illustration: Smetek