Dieser Tage hat eine entfernte Bekannte aus der Karibik ein Video einer gewissen »Blossom« gepostet: 7 simple, clever life hacks for smart and clever gals. Darin zum Beispiel folgender Tipp: Du nimmst die Boxershort von deinem Freund, klappst sie in der Mitte zusammen, schnippelst so zu sagen den Bürzel raus und schwupp, umgedreht und übern Kopf gestülpt, wird ein fesches Jogging-Bustier daraus! In das du, Achtung supertrickreich, vorn in die ehemalige Schrittöffnung dein Smartphone reinschieben kannst! Und was tun mit dem ausgeleierten langärmeligen Pulli? Ärmel runterziehen, hinterm Rücken kreuzen, über der Brust festklammern und hui, über die Schultern gleiten lassen, jetzt noch bisschen Schminke auftragen – mit Haarklammer-Eyeliner-Trick und pink-türkis-weißem Fingernagel-Marmorierungs-Trick – und schon bist du die Beauty-Queen!
Ich staune. Welch blühende Phantasie diese »Blossom« hat! Und so viel Zeit, sich all diese Sachen und Schnitte auszudenken! Oder auch Not? Denn, denke ich und führe mir die Banlieus und Boudinvilles der Karibik vor Augen, wo meine Bekannte lebt: Es kann sich eben nicht jede Frau eben mal ein Jogging-Bustier leisten, ein neues ärmelloses Kleid oder blaue Strähnchen (einfach eine Strähne zwischen eine Lidschattendose klappen und ratsch, isse blau!). Abgefahren, was wir von den Improvisationskünstlerinnen dieser Welt noch lernen können, denke ich!
Keine halbe Stunde später twittert eine Freundin vom »Gefühl absoluter Überlegenheit«, wenn sie in Listen mit »genialen Lifehacks« Dinge entdecke, die sie schon immer mache; wie zum Beispiel zwei runde Wurstscheiben so auf einem viereckigen Toastbrot platzieren, dass nichts überhängt.
What? The hack?
Kennen Sie das auch? Sie leben so vor sich hin. Schnappen hie und da Informationen auf und mitunter ganz schön viele, gleichzeitig auf x-Kanälen, Facebook, Twitter, Nachrichtenportale, Emails, Zeitungen, Fernsehen, Radio, Freunde, Bekannte, nahe und entfernte. Und haben das Gefühl, recht gut informiert zu sein, eventuell sogar überdurchschnittlich, quasi wie eine Info-Elite. Obwohl ich auf Eliten eigentlich gar nicht stehe und daher gern alle Informationen umgehend teilen möchte. Beinahe hätte ich auch die »7 simple, clever life hacks for smart and clever gals« weiter in die Welt geschossen, der Cursor ruhte schon auf dem Go.
Doch dann öffnet sich unversehens eine Tür in deinem Bewusstsein. Du lugst dahinter und merkst, da liegt eine ganze Welt aus Lifehacks. Lifehacks für die Schule, Lifehacks für Klorollen, Lifehacks für Kondome, Lifehacks für Männer, Lifehacks von UDSSR-Kindern, Lifehacks für Arme, Lifehacks für Hunde. Ein Paralleluniversum, mit Trilliarden von Informationen, Zeitvertreiben, Followern und Fans. Und diese riesengroße Bubble war dir bislang vollkommen verborgen. Und dann raffst du auch noch, dass »Blossom« gar keine Frau ist, sondern die wohl erfolgreichste Hack-Seite aller Zeiten. Über 300 Millionen Menschen, das muss man sich mal vorstellen, haben dort dieses Jahr ein Video übers Unterhosen-Falten gesehen. Und schon fast 200 Millionen das, wo man aus einer ausgeleierten Unterhose ein Jogging-Bustier macht. Ich bin beschämt, meine Unwissenheit ist mir peinlich.
Also gehe ich zu meinem Sohn. Mal testen, ob ich wirklich seit zwölf Jahren hinterm Mond lebe, 2005 wurde, das lerne ich bei Wikipedia, der Lifehack erfunden. Mein Sohn, als ich ihm, vor Begeisterung glucksend, ein Video zeige, mit lauter irren Tricks, Kerzenständer aus Kartoffeln bauen, eine Gruppe Tomaten auf einmal durchschneiden, mit einer viereckigen Plastikdose Schnee zu Blöcken formen und kennst du den, wo man sich die Kopfhörer so mit dem Kabel von hinten oben nach vorne rum um die Ohren schlingen und baumeln lassen kann?
Mein Sohn, 14, verdreht die Augen und seufzt: MAMA! Das ist gleichbedeutend mit: Dein Ernst jetzt? Hast du den Schuss nicht gehört?
Ich gehe zu meinem Freund, der bis heute nicht weiß, wie er Itunes auf seinem Computer bedienen könnte; man fragt ja gern die Richtigen. Er wirft einen Blick auf die Lifehacks von UdSSR-Kindern und winkt kopfschüttelnd ab. Er hat als Jugendlicher in Moskau gelebt und könnte heute noch, im Schlaf, aus Schwefelhölzern und Schrauben eine Mörsergranate für Kinder bauen.
Ich fühle mich sehr dumm. Also gehe ich zu meinem Vater. Der hat hundertpro noch nie von Lifehacks gehört. Schau mal, was es im Netz alles gibt, ts ts: So zum Beispiel kannst du eine Klopapierrolle in ein Einweckglas stecken, außen rum Reis aufschütten und innen rein die Geldscheine stecken. Oder hier: In der Wildnis beim Wandern die Trinkflasche vergessen, aber, klar doch, Kondome dabei? - Kondom in den Bach halten, Wasser auffangen, zuknoten und in eine Socke stecken, blupp, kann sogar auf den Felsboden fallen ohne zu platzen! Und da: Eier zu Stangen kochen und die Himbeerbisquitrolle mit einem Bindfaden in einwandfreie Scheiben teilen!
Mein Vater lächelt mich müde an und sagt: Das habe ich schon mit zwölf gemacht! Das war anno '48.
Es könnte, an den Gedanken klammere ich mich, immer noch Zufall sein. Also frage ich meinen Redakteur, vorsichtig, ob ich was über Lifehacks schreiben darf - oder ob ihm das Thema schon zum Hals raushängt? Ja, sagt er. Kannst höchstens schreiben, dass es sich für die Blossoms und die anderen jetzt echt ausgehackt hat.
Foto: Screenshot/First Media Blossom