SZ-Magazin: Obwohl sexuelle Übergriffe vor allem aus dem engen Umfeld kommen, konzentriert sich die Angst vieler Eltern bis heute auf den »bösen Unbekannten«: Kinder werden gewarnt, nicht bei Fremden ins Auto zu steigen, tragen Smartwatches mit GPS-Funktion, aus Angst vor Entführung. Dabei sind nur drei Prozent der Täter tatsächlich Fremde. Woher kommt diese verfälschte Wahrnehmung?
Lagota Lavoyer: Es ist einfacher, vor dem fremden Mann zu warnen, als sich damit zu beschäftigen, dass solche Fälle hauptsächlich in der eigenen Familie, im Bekanntenkreis, in Kita, Schule oder Sportverein passieren. In meinen Kursen höre ich immer wieder, dass Eltern versichern, ihren Kindern in jedem Fall zu glauben. Wenn die beschuldigte Person dann aber der eigene Mann oder Bruder ist, wird doch gezweifelt. Prävention wird nicht gelingen, wenn wir den Großteil der Fälle sexualisierter Gewalt an Kindern ausklammern, indem wir nur vor ominösen fremden Tätern warnen. Das entspricht einfach nicht der realen Bedrohung. Deshalb habe ich mein Buch geschrieben. Ich möchte den Betroffenen Worte für diese Sprachlosigkeit geben und aufzeigen, dass wir Kinder auch vor Übergriffen im engsten Umfeld schützen können. Das schulden wir den Kindern.
»Viele schämen sich oder haben Angst vor den Konsequenzen«
97 Prozent aller sexueller Übergriffe auf Kinder finden im nahen Umfeld statt. Agota Lavoyer, Expertin für Prävention von sexualisierter Gewalt, erklärt, woran Eltern erkennen können, dass ihr Kind betroffen ist, und wie Prävention früh und angstfrei gelingen kann.