Total verbohrt

In Österreich buddelt ein Mann seit 50 Jahren einen Stollen in einen Berg hinein. Warum? Es ist sein Hobby.

Hätte es damals, 1958, schon billige Kühlschränke gegeben, wäre Michael Altmann das alles nicht passiert. Am Fuße des Kürnbergs bei Linz wollte er eine Schenke eröffnen: ein paar Bierbänke, kühle Getränke. Also schlug er einen Lagerraum in den Sandstein, denn in so einer Kühlkammer steigt die Temperatur auch im Hochsommer nicht über neun Grad. Doch dann, als der Raum schließlich fertig war, buddelte Michael Altmann einfach weiter.

Rund tausend Tonnen Sandstein hat er bis heute aus dem Kürnberg geschlagen, 180 Meter Stollen in mehr als fünfzig Jahren, anfangs nur mit einer Spitzhacke. »An guten Tagen kam ich etwa zwanzig Zentimeter weit«, erzählt er, während er durch den Raum führt, mit dem alles angefangen hat: etwa drei auf zwölf Meter groß, düster, feucht, muffige Luft.

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Altmann, mittlerweile 77, graues Haar, sieht man das Höhlengraben an: Seine Arme sind kräftig, sein Bauch ist flach, sein Rücken gekrümmt. Im Dorf nennen ihn die Leute nur »den Muck.«

Zunächst legte er sich damals noch einen Grund zurecht, warum er weitergraben wollte: Ein Rutengänger hatte ihm prophezeit, dass er auf Wasser stoßen werde. Einen Grund brauchte er: Die Schenke hat er nie eröffnet, weil ihm das Bezirksamt die Genehmigung versagt hat.

Tagsüber fuhr Michael Altmann Taxi in Linz, abends grub er seinen Stollen: Pfeilgerade führt der Gang in die Tiefe, so steil wie eine Passstraße, nur fünfzig Zentimeter breit und einsfünfzig hoch. Die Wände hat Altmann mit Beton ausgekleidet, damit ihm die Decke nicht auf den Kopf fällt. Er grub auf eigenes Risiko. Eine Bewilligung brauchte er nicht. Das Bergbauamt sah Fälle wie seinen nicht vor und die örtliche Baubehörde interessiert sich nur für Bauten über dem Boden. Den Schutt transportierte Altmann in den ersten Jahren mit der Schubkarre ab und verschenkte ihn an Häuslebauer. Wurde seine Spitzhacke stumpf, feuerte er einen kleinen Ofen an und legte die Spitze in die Glut, um sie anschließend wieder zu schärfen. Wenn es gar nicht mehr weiterging, besorgte er sich Sprengstoff, sogenannten Donarit, der im Bergbau verwendet wird – Altmann hatte bei der Feuerwehr die Sprengprüfung abgelegt und durfte den Sprengstoff deshalb kaufen.

Michael Altmanns Leben teilte sich damals immer mehr in ein Unten und ein Oben. Oben, über der Erde, verlief es in den geregelten Bahnen einer Nachkriegsbiografie. Er trat der Feuerwehr bei, heiratete und übernahm mit seiner Frau 1965 ein Wirtshaus. Unten spielte der Kürnberg weiter sein Spiel mit ihm. Statt Wasser spuckte er Haifischzähne, Muscheln oder Knochen aus. Vor allem aber gab er Altmann das wohlige Gefühl von Sicherheit. Nie habe er Angst gehabt, wenn er allein und im schwachen Licht seiner Kerze gegraben habe, nie, sagt Altmann energisch, während er immer tiefer den engen Gang entlangführt. Im Gegenteil. Als 1962 der atomare Ernstfall drohte, habe er, Kriegskind, am Eingang zwei Stahltüren montiert und Rationen für 14 Tage angelegt. Der Stollen war fortan sein Bunker.

»Man kann das Höhlengraben als Sehnsucht nach dem geborgenen Mutterleib deuten.«

Michael Altmann ist nicht der Einzige seiner Generation, den es in die Tiefe gezogen hat, der über Jahrzehnte einen Stollen ohne jeden Sinn und Zweck angelegt hat. Zur etwa gleichen Zeit grub ein junger Mann in der Schweiz hinter seinem Haus nach Wasser, fand welches, und hörte trotzdem nicht auf, sondern trieb einen Stollen von 220 Meter Länge ins Gestein; in London begann ein Mann unter seiner 20-Zimmer-Villa zu graben, bis sein Tunnelsystem die Statik der Nachbarhäuser gefährdete; und der amerikanische Künstler Ra Paulette lässt sich noch heute ziellos grabend durch Sandsteinberge treiben.

»Psychoanalytisch lässt sich das relativ einfach erklären«, sagt Anton Tölk, Psychiater an der Linzer Nervenklinik. »Man kann das Höhlengraben als Sehnsucht nach dem geborgenen Mutterleib deuten. Die Höhle umfasst und gibt Schutz.« Sie sei in ihrer Undurchschaubarkeit aber auch verführerisch wie ein Labyrinth. Beim Graben setze dann eine kontemplative Befriedigung ein. Man wolle nicht mehr aufhören. »Der Sinn kommt dabei allein aus der Befriedigung. Solange man gräbt, lebt man, weil es mit dem Graben immer weitergeht«, sagt Tölk.

Und so war es auch bei Michael Altmann: Irgendwann stieß er tatsächlich auf eine Wasserader, doch nach einer Pause von ein paar Wochen nahm er die Spitzhacke wieder in die Hand. »Im Stollen hatte ich meine Ruhe«, sagt er. Man solle ihn nicht falsch verstehen: Er sei ein geselliger Mensch. Aber als Wirt lerne man viele Menschen zweimal kennen. Einmal ohne und ein zweites Mal mit Alkohol. »Der Stollen war dann wie ein Kloster. Keine Musik, kein Radio, keine Gäste, keine Stimmen, nichts.«

Das Paradoxe an Michael Altmann ist, dass seine Mittel umso brachialer wurden, je verspielter sein Ziel geriet. Altmann führt in eine Nische im Stollen und zeigt eine mannshohe Riesenbohrmaschine. Er hat sie gebaut, um den zweiten Stollenarm in Angriff zu nehmen, einen ebenfalls gänzlich sinnlosen. Die Maschine sieht aus wie ein Monster aus Alteisen, mit Scheibenbohrern so groß wie Pizzateller.

Der Stollenarm, den er damit grub, ist gewunden und gewölbt wie ein Darm – oder eben ein Mutterleib. Die Decke ist hoch, man fühlt sich gut aufgehoben, obwohl die Wände hier nicht gesichert sind, sondern nur wie die einer festgeklopften Sandburg aussehen. Mehrere Elektromotoren verheizte Altmann beim Bohren im Gestein. Manchmal fuhr ihm wegen der Feuchtigkeit der Strom in die Glieder. Ein Freund, einst U-Boot-Maschinist bei der Marine, half ihm ab und an mit der Seilwinde, die er sich inzwischen angeschafft hatte. Als das Steineschleppen mit den Jahren auf die Hüfte zu drücken begann, kaufte Altmanns Frau ihm ein Raupenfahrzeug, eine Art Hubwagen. Es war ihr einziger Beitrag zum Stollen. Ansonsten ließ sie ihren Mann machen und schwieg zu seinem Hobby. Nur wenn er um Mitternacht noch immer nicht zu Hause war, kam sie runter und sagte, dass es nun aber Zeit sei. Seit er 1995 in Rente gegangen war, verbrachte er ganze Tage in seiner Höhle. Bis er 2008 ein letztes Mal auf Granit biss.

Er hätte wieder sprengen müssen. Doch er war inzwischen ein betagter Mann mit operierter Hüfte. Also malte er, statt zu sprengen, die Ausfräsungen mit Sternen aus, die sich nun im Grundwasser auf dem Stollenboden spiegeln.
Altmann führt zurück zum Eingang, nimmt langsam Stufe um Stufe, die er in den Sandsteinboden geschlagen hat. Würde er weiter graben, wenn er noch mal zwanzig wäre? »Na freilich!«, sagt er. Und was? »Ideen hätte ich genug.« Ja, zum Beispiel? »Etwas kommt einem immer in den Sinn.« Die Frage nach dem Ziel, man braucht sie einem Höhlengräber wie ihm nicht zu stellen.

Fotos: Paul Kranzler