Wie könnt ihr uns das nur antun?

Ein ganz besonderer Liebeskummer: Wenn ein Teenager sich von seiner ersten Freundin trennt, kann der Abschiedsschmerz echt hart sein. Für seine Eltern.

Bei uns zu Hause geht es im Moment hoch her. Mein Sohn hat sich von seiner ersten Freundin getrennt, ein Drama mit allem, was dazugehört: Herzschmerz, Tränen, das elende Gefühl der Zurückweisung. Genau genommen kommt er eigentlich ganz gut klar, aber ich leide wie ein Hund. Ich lerne gerade auf die harte Tour, dass es sich – ähnlich wie bei einem Haustier, das nur ein paar Jahre lebt – unbedingt empfiehlt, nicht zu viele Gefühle für die Freundin oder den Freund des eigenen Kindes zu entwickeln.

Vor zwei Jahren trat Ella in unser Leben. Jakob war gerade 14, als sich ihre Blicke an einem kalten Wintertag trafen. Wie schon zuvor bei der Erziehung meines Sohnes traf mich auch diese Entwicklung völlig unvorbereitet: Gerade hatte er sich noch in seine Spielsachen vergraben, nun rannte er dämlich grinsend durch die Gegend und gab mit seinen Knutschflecken an.

Anfangs nahm es mich ganz schön mit, dass Jakob nicht mehr mein kleiner Junge sein sollte. Die Freundin war der unübersehbare Beweis, dass er aufwuchs und eines Tages sein Zuhause verlassen würde. Im ersten Augenblick hatte ich nur einen Wunsch: diese Entwicklung wenigstens ein bisschen hinauszuzögern.

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Offensichtlich bin ich nicht allein. Eine Studie unter 2000 Eltern ergab, dass fast die Hälfte Schwierigkeiten hat, sich damit abzufinden, dass ihr eigener Nachwuchs plötzlich fremdgeht. Bei einem Fünftel der befragten Eltern war das Unbehagen gegenüber dem Freund oder der Freundin so groß, dass sie versuchten, das frische Glück zu sabotieren. Sie scheint also weit verbreitet zu sein, diese Abneigung gegen die minderjährigen Verführerinnen und Schürzenjäger, die Eltern der Zuneigung ihrer Kinder berauben. Aber was, wenn das Gegenteil der Fall ist?

Als Jakob zum ersten Mal ankündigte, Ella nach Hause mitzubringen, brach bei uns Panik aus. Ich war so neugierig und aufgeregt, als hätte ich ein Blind Date. Ganz abgesehen davon, ob sie gut genug für unseren Sohn sein würde, fragte ich mich, was sie mit mir anstellen würde, mit uns, mit unserem Zuhause? Ich begann also aufzuräumen, zu putzen, Vasen mit Blumen aufzustellen und warf mich in Schale, als stünde ein Staatsbesuch an. Alle waren bereit, sich von ihrer besten Seite zu zeigen, selbst Jakobs kleiner Bruder Max, auf den wir vorher allerdings ordentlich eingewirkt hatten.

Meine Sorgen erwiesen sich als unberechtigt: Die potenzielle Bedrohung des Haussegens entpuppte sich als Traum von einem durch und durch liebenswürdigen Teenager: schüchternes Kichern, dramatischer Lidstrich, charmant, höflich. Wie mein Sohn war auch ich hin und weg von Ella.

Bald stellten wir allerdings fest, dass die neue Freundin einen tiefen Einschnitt in unseren Alltag bedeutete. Es gibt keine vergleichbare Situation, in der man einem Menschen, mit dem man nicht blutsverwandt ist, sein ganzes Familienleben offenlegt. Aber wir gewöhnten uns an die erzwungene Nähe und auch Ella stieg bald routiniert über die im Eingang liegenden verdreckten Schuhe, um mich im Morgenmantel anzutreffen, beim Schlichten irgendeines Streits.

Die Beziehung der beiden wurde enger, bald waren sie unzertrennlich. Selbst als in der Schule wichtige Prüfungen anstanden, mussten wir uns deswegen aber keine großen Sorgen machen: Ella ging auf eine andere Schule als Jakob, ihr wurde dort sehr viel abverlangt. Umso besser, dachten wir, vielleicht stachelt sie auch unseren Sohn an, der sich für unsere Begriffe etwas zu sehr für seine PlayStation begeisterte. Ella war schlau und hübsch; mein Mann und ich beeindruckte es gleichermaßen, dass unser Jakob auf sie so eine Anziehungskraft ausübte.

Und ich freute mich, dass es endlich noch ein weibliches Wesen in unserem Haus gab, wo selbst die Katze männlich ist. Ella und ich verstanden uns auf Anhieb, und wenn Jakob mal wieder nicht das Gemüse auf seinem Teller essen wollte oder sich trotz Hitze weigerte, kurze Hosen anzuziehen, rollten wir beide mit den Augen. Ihr individueller Modegeschmack, ihr Haar, das sie mal schwarz, mal orange färbte – ein erfrischender Gegensatz zum Jeans-mit-Kapuzenshirt-Einheitslook unseres Sohns. Ich überließ ihr meinen erstklassigen Haarglätter, dafür durfte ich ihren Lockenstab benutzen. Ihr blauer Lidschatten war der Hit auf meiner Achtzigerjahre-Party, mein etwas grenzwertiger, tief-roter Lippenstift war eine willkommene Bereicherung für ihr Schminktäschchen. Ich lernte alles über die wundersame Welt der Haarverlängerung und des Fingernageldesigns und ließ sie an meiner Begeisterung für Schmuck teilhaben. Kurz: Ich genoss die angenehmen Seiten, die das Leben mit einem Mädchen im Teenageralter mit sich bringt, ohne die Ängste ausstehen zu müssen, die einen als Mutter vielleicht umtreiben.

Ella begleitete die Jungs zu Auswärtsspielen ihres Lieblingsfußballteams, sie war dabei, wenn wir in den Sommerferien Galerien und Ausstellungen besuchten. Wann immer es passte, buchten wir für sie im Theater oder im Restaurant mit. Beim Klamottenkaufen mit Jakob war ihr positiver Einfluss von unschätzbarem Wert, ich gab diese mehr als lästige Aufgabe gern an sie weiter. Zu Hause hatte sie bald ihren Platz am Esstisch, und wenn wir samstagabends auf der Couch vor dem Fernseher saßen, quetschte sie sich dazwischen.

Nur Max, damals elf, verwirrte dieses Treiben. Nach sechs Monaten fragte er mich vorsichtig: »Ist Ella jetzt die Freundin von Jakob?« Er erinnerte sich nämlich daran, dass sein Bruder geschworen hatte, niemals eine Freundin zu wollen. Und registrierte nun – mit strengem Blick –, dass Jakob und Ella sich küssten. Ich kann gut nachvollziehen, wie eine neue Freundin, ein neuer Freund die Dynamik innerhalb einer Familie durcheinanderwirbelt und sich die übrigen Geschwister zurückgesetzt fühlen. Aber Ella drängte sich nie zwischen die beiden Jungs, schon aufgrund der fast vier Jahre Altersunterschied entstand nie so etwas wie eine Konkurrenzsituation. Die Beziehung zwischen Max und Ella war herzlich, im Vergnügungspark opferte sie sich sogar und stieg mit Max in das Karussell mit den schwingenden Booten, die um einen speienden Tintenfisch kreisen. Dafür sind wir ihr auf ewig dankbar.

So wurde aus einer vierköpfigen eine fünfköpfige Familie, sehr zu meiner Freude: In den Jahren zuvor waren nach und nach die Großeltern gestorben und unsere Familie war immer nur geschrumpft. Als wir unter dem Weihnachtsbaum die Geschenke überreichten, stellte ich mir einen Moment lang vor, welche Feste wohl noch auf uns zukommen würden. Nach und nach lernte Ella auch alle Tanten und Onkel von Jakob kennen, Cousins und Cousinen, unsere besten Freunde und deren Angehörige. Jeder mochte sie. Schon klar, niemand wünscht seinem Kind ernsthaft, dass es schon mit 14 seinen Partner fürs Leben findet. Aber wenn ich meinen Freunden sagte, dass ich mir Ella sehr gut als Schwiegertochter und Mutter meiner Enkel vorstellen könnte, war das kein Scherz.

Dann aber, anderthalb Jahre später, es war Herbst und die Bäume warfen gerade ihre Blätter ab, endete die Liebe der beiden ebenso unerwartet, wie sie begonnen hatte. Ich weiß bis heute nicht genau, warum, und ich mag auch nicht nachbohren. Aber was ich genau weiß: dass ich mich seitdem sehr leer fühle. Ihre verrückten Schuhe liegen nicht mehr im Flur und meinen Haarglätter benützt nun wieder niemand außer mir. Meinem Mann geht es ähnlich, er werde keine Freundin von Jakob oder Max mehr zum Fußball mitnehmen, hadert er, jedenfalls vorerst.

Das alles klingt vielleicht idiotisch für Eltern mit größeren Kindern, die sich daran gewöhnt haben, dass Freunde und Freundinnen kommen und gehen. Dem entgegne ich, dass wir Ella nicht nur unser Haus geöffnet haben, sondern auch unsere Herzen. Sie ist Teil unseres Lebens geworden. Immerhin hat Ella gesagt, wir könnten Freunde bleiben, genauer gesagt sie und Jakob. Und ich muss sehen, wie ich damit zurechtkomme.

Copyright: The Guardian, 2013

Illustration: Rafael Alvarez