Das Attentat

Ein Mann, eine Waffe, ein düsterer Traum von einer besseren Welt: Was tun, wenn der Held selbst das Böse in sich spürt? Dampfmann geht einfach mal los.

An einem vernebelten Montag im März kam Dampfmann in die Stadt. War er denn nicht ein verzauberter Prinz? Das wusste er natürlich. Er hatte beschlossen, den Bürgermeister zu töten. In der Tasche trug er die greise Pumpgun seiner Oma. Vorbestraft war er nicht. Noch nicht. Es hätte aber auch keinem einfallen dürfen, solchen Zirkus zu machen wegen Kleinigkeiten. Er hatte schon einem Postboten ein Auge demoliert wegen nichts, und gut war es. Seitdem wanderte der Postbote einäugig und grimmig durch die Welt und sang dumm vor Gefängnissen.

Vor dem Rathaus stieg Dampfmann aus der U-Bahn. Er atmete tief durch. Sollte er nicht lieber vorher noch einmal die Waffe testen? Zwar hatte er schon im Wald auf Kürbisse geschossen, und die Waffe hatte keine Fehlfunktion gehabt, die Kerne waren nur so durch den Wald geflitzt, husch und zack und auf die Blätter und auf die Rehe, und der Saft war von den Ahornbäumchen getropft, dass Dampfmann ganz gerührt gewesen war. Aber der Schädel des Bürgermeisters war kein Kürbis und keine Melone nicht. Er war vielmehr – das Haupt der Extremlinken des ganzen Landes!!!!!! Da galt es auf Nummer sicher zu gehen!

In der scheinbaren Anonymität des U-Bahnaufgangs zog er die Pumpgun unter seinem lehmbeschmierten Staubmantel hervor. Kurzerhand legte er auf den Fahrplanaushang an, lud durch und drückte ab. Buuummmm! machte es. Eine alte Frau drehte sich erschrocken um. Ihr kleiner Pudel wedelte mit dem Schweifchen und kläffte, als sei er mit dem Einschreiten der Pumpgun nicht einverstanden. Ein Penner blickte auf und röhrte trunken. Dampfmann zuckte die Schultern. Solche armen Menschen gab es überall. Man musste sich auch für sie einsetzen. War denn nicht die EU schuld? Gewiss. Er überprüfte die Wirkung des Schusses. Keine einzige Verbindung war mehr ohne Schwierigkeiten zu lesen. Zufrieden nickte Dampfmann. Da würde der Schädel des Linkslinken keine Chance haben. So wie es ihm prophezeit worden war.

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Er betrachtete sich im Spiegel, der neben dem Fotoautomaten hing. Kannte er denn jemanden, der schöner war als er? So jemanden gab es nicht. Das hatte er alles dem gesunden Leben zu verdanken, mit viel Obst. Jetzt nur nicht auf den Spiegel schießen! Das bedeutete Pech! Den Portier ballerte Dampfmann als Ersten um. Der war so ein Alter, Langsamer, dem man ansah, dass er schon oft unschuldige Bürger gepiesackt hatte, die nichts anderes wollten als nach dem nächsten Trinkwasserbrunnen fragen. Er sah, wie der langsame Portier niedersackte und sich in seinem eigenen Blutmorast rieb. Ja, da half kein Zetern mehr! Jetzt hatte es sich ausgepiesackt! Und das war erst der Anfang! Dampfmann jubilierte.

Er stürmte in die Halle. Keiner da. Hatte es sich herumgesprochen, dass Dampfmann in der Stadt war? Die Spione wussten vieles. Man musste vorsichtig sein. Aber nein, da kam schon wieder einer, und die Pumpgun lachte und freute sich und wählte weise Worte. Buuummm! machte es auch wieder, als Dampfmann auf irgendeine blöde Referentin stieß. Überall im Stiegenhaus tropfte die rote Sauce. Es sah ärger aus als zu Hause am Schlachttag. Er betrat ein spezielles Zimmer, wo gewaschen und gebügelt wurde. Vermutlich ein Geheimkämmerlein des Bürgermeisters. Dampfmann spuckte sein Kaugummi immer feste in den Wäschekorb.

Dampfmann begann sich gut zu fühlen. »Hurraaa!!« und »Ich komme!!!« ausrufend, stürmte er in den ersten Stock. Dort begegnete er dem ehemaligen Vizebürgermeister. Den ließ er laufen. Komischerweise musste Dampfmann in diesen so wichtigen Sekunden seines Lebens immer an das vermaledeite Hühnerauge denken, das ihn plagte, seit er denken konnte, und gegen das er keine Chance hatte, dem er nie würde davonlaufen können. Im zweiten Stock kam eine alte Schnepfe dran, die Dampfmann aus dem Fernsehen kannte. Hatte sie ihn nicht dumm ange-sehen, als wollte sie etwas gegen seinen Hut sagen? Ja war sie etwa nicht eine von den Frechen gewesen? Immer schon. Schon die Frisur. Am Abend würde er aus den Nachrichten erfahren, wen er da eingeschläfert hatte.

Buuummm! und wieder Buuummm! erklang das Lied der Gerechtigkeit, auch im zweiten Stock da und dort, und dann im dritten Stock. Hui, da knallte es noch besser, weil die Fenster geschlossen waren und der Hall so schön erklingen konnte. Im Nu tanzte Dampfmann. Als Dampfmann endlich vor dem Bürgermeister stand, verließ ihn der Mut. »Das ist doch niemals kein Linkslinker!«, dachte er, als er den kleinen Dickling erblickte. »Das ist nur eine Marionette.« Er schoss ihm in die Füße. Mit der U-Bahn fuhr er unwillkürlich nach Hause. In den Nachrichten sagten sie, ein Bauer werde verdächtigt. Die Mutter kochte ihm Topfentascherln. Plötzlich ging er schlafen. Er schlief hundert Jahre.

Finden Sie Gefallen am Bösen? Dann lesen Sie hier Tanja Dückers »Das Märchen von Hannes und Greta«.

Fotos: Daniel Sannwald, Model: Sebastian Sauve, Malerei: James Trimmer