"Die Idee der Freiheit kann ihre eigene Tyrannei entwickeln"

Schriftstellerin Miranda July über Unabhängigkeit, frühe Erfolge und ein zerissenes T-Shirt, ohne das sie nicht einschlafen kann.

"Früher trug ich Kleider so, dass sie ihrer ursprünglichen Definition nicht mehr ganz gerecht wurden: Meine Strumpfhose über den Schuhen und einen alten
ausgeleierten Badeanzug wie ein Kleid"


SZ-Magazin: Bevor wir darüber sprechen, wie Sie geworden sind, was Sie sind, wollen wir wissen: Wer sind Sie?
Miranda July: Miranda ist ein bisschen unberechenbar, aber eine sehr treue Freundin und eigentlich ziemlich bodenständig. Sie hat ein schlechtes Gedächtnis und keinen Orientierungssinn – eine Folge sehr intensiver Konzentration auf eine Sache; es findet dann keine andere Wirklichkeit mehr statt.

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Wollten Sie Karriere machen oder hat es sich einfach so ergeben?
Schon als Teenager wollte ich arbeiten, eher aus einem tiefen Bedürfnis heraus als aufgrund eines Plans. Mit 16 habe ich mein erstes Stück geschrieben und selbst inszeniert. Ab diesem Moment war ich versessen darauf, genau das zu tun, was ich jetzt mache. Sie drehen Filme, schreiben Bücher, komponieren Musik.
Genau. Jede Entscheidung – das College abzubrechen, in L. A., einer Stadt mit günstigen Mieten, zu leben – diente nur dem Ziel, völlig frei zu sein und all die Dinge tun zu können, die ich machen wollte. Das war nicht immer sehr angenehm – die Idee der Freiheit kann ihre eigene Tyrannei entwickeln –, aber am Ende ist tatsächlich so etwas wie eine Karriere dabei herausgekommen.

Was hat Sie zu der Künstlerin gemacht, die Sie heute sind?
Als kleines Mädchen habe ich die verschlungenen Welten der Puppenhäuser geliebt, die Bücher Die kleine Prinzessin und Der geheime Garten, das Musical Annie – all diese Mädchensachen haben meine Fantasie beflügelt und später sogar meine Arbeit beeinflusst. Als ich älter wurde, fand ich Patti Smith und Cindy Sherman toll, und natürlich Punk: Rebellion, die täglich stattfindet – das war eine gute Idee. Ich wurde in meinem Leben ermutigt und auch vernachlässigt, ich wurde behindert aber auch gefördert. Ich bin eine Kämpferin, deshalb spornen mich Widrigkeiten an.

Und im Privaten, was hat Sie da geprägt?
Ich unterscheide nicht zwischen meinem Leben als Künstlerin und meinem Privatleben. Letztlich bin ich zum großen Teil von meinen Freunden, von Künstlern und Musikern geformt worden. Und von meinem Mann, Mike Mills. Nicht nur die Arbeiten dieser Leute haben mich beeinflusst, sondern auch die Art, wie sie mit mir sprechen, wie sie ihre Wohnungen einrichten, wie sie kochen, wie sie sich anziehen. Auf diese Dinge muss man schauen, dann begreift man jemanden.

Glauben Sie an Zufall oder Schicksal?
Ich bin eine Anhängerin des Schicksals, von Zufällen, die keine Zufälle sind,
und von schicksalhaften Begegnungen, deren Bedeutung erst später ans Tageslicht kommt.

Was hat Ihr Leben am meisten beeinflusst?

Dass ich in Berkeley in Kalifornien aufgewachsen bin, hat mehr mit mir gemacht, als mir lange bewusst war. Als Teenager will man immer radikal sein. Wenn man aber an einem Ort wie Berkeley aufwächst, an dem schon in der Vergangenheit so viel Radikales passiert ist, ist das eine sehr spezielle Zwickmühle: Man muss viel Mut beim Denken beweisen, um noch ungewöhnlicher zu sein als all die anderen schrägen Typen.

Gibt es etwas, was Sie noch nie in Ihrem Leben verändert haben?
Ich schlafe immer mit einem alten, zerrissenen T-Shirt in der Hand.

Warum?
Keine Ahnung. Ich hab schon so geschlafen, bevor ich denken konnte. Warum haben Kinder diese Kuscheldecken? Um sich geborgen zu fühlen? Ich vermute, ich hab mich nie geborgen genug gefühlt, um es sein zu lassen. Es ist wie rauchen, nur weniger lässig.

Gibt es etwas in Ihrem Leben, was Sie gern ändern würden?
Ich wäre gern ein klein bisschen lockerer.

Und können Sie sich etwas vorstellen, was Ihr Leben komplett verändern würde?
Ein Kind.

Sie haben sich für dieses Modeheft fotografieren lassen. Was hat Ihren Stil beeinflusst?

Früher spürte ich mich selbst und meinen Stil eigentlich nur, wenn ich Kleider trug, die ihrer ursprünglichen Definition nicht ganz gerecht wurden.

Ein Beispiel, bitte.
Meine Strumpfhose trug ich über den Schuhen und einen alten ausgeleierten Badeanzug wie ein Kleid. Ich würde mich eigentlich immer noch gern so kleiden, aber jetzt steck ich meine Fan-tasie eher in die kleinen, leiseren Details. Ich bin ganz versessen auf »Hals-Dinge«: Kragen und Halskrausen. Im Moment trage ich zwei weiße Spitzenstoffe übereinander, am Hals gehalten von einer schwarzen rechteckigen Brosche.

Würden Sie an Ihrem Äußeren manchmal gern was ändern, die Nase, die Brüste, ein paar Kilo mehr oder weniger zum Beispiel?
Na ja, man versucht doch eher die Aufmerksamkeit der Leute nicht auf diese Dinge zu lenken, oder? Lassen Sie es mich mal so sagen: Ich war nie eines von den Mädchen, die allein durch ihr Aussehen sehr weit gekommen sind.

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Miranda July, 36, preisgekrönte US-Schriftstellerin, Regisseurin und Künstlerin, zeigte 2009 auf der Biennale in Venedig ihren Skulpturengarten »Eleven Heavy Things«.

Fotos: Heide Foley, Sabina McGrew