Wer sich bei den Modenschauen manchmal fragt, wer diese Entwürfe denn wirklich anziehen soll – die Designer selbst tun das offensichtlich nicht. Wenn sie nach der Show kurz auf den Laufsteg huschen, um ihren Applaus in Empfang zu nehmen, tragen die meisten von ihnen Jeans und T-Shirt oder etwas ähnlich Schlichtes. Die Kunden sollen sich demnach ordentlich mal etwas trauen und als Mann ein rotes Spitzenleibchen ohne irgendwas drunter tragen, wie es der neue Gucci-Designer Alessandro Michele bei den Männerschauen im Januar zeigte – und er selbst erschien danach mit zerknautschter Hose und dickem Wollpullover. Das ist nicht fair!, will man spontan rufen. Wie ihr uns, so auch euch!
Aber warum kleiden sich die wichtigsten Modeschöpfer selbst so unspektakulär? Um nicht wie ihr größter Fan, ihr eigenes Maskottchen daherzukommen? Das war mal anders: Als John Galliano für Dior entwarf, genoss er am Schluss stets den größten Auftritt. Bei einer seiner letzten Schauen erschien er in einer Rauchwolke als Marlon-Brando-Verschnitt. Auch Marc Jacobs trat am Ende der spektakulären Inszenierungen für Louis Vuitton stets wie der Zirkusdirektor passend zum gezeigten Modethema verkleidet auf.
Aber die Zeit der Diven scheint vorbei zu sein. Heute üben sich die Designer in demonstrativer Bescheidenheit und tragen »casual«. Als wollten sie sagen: Wir sind schließlich zum Arbeiten hier. Und das sind sie. Die Mode ist ja mehr als je zuvor ein Geschäft; statt wie früher zwei Kollektionen pro Jahr entwerfen die meisten Modemacher heute vier bis acht. Wer sich so viel damit beschäftigt, andere Menschen fantasievoll zu kleiden, will sich selbst nicht auch noch aufwändig ausstaffieren. Oder wie es der Shootingstar Jonathan Anderson kürzlich formulierte: »Wenn ich stundenlang in der Küche stehe und für Freunde koche, bin ich doch hinterher auch schon satt.«
Quellen: Gucci AW15/16; Dolce&Gabbana AW 16/15; Givenchy AW 15/16; Mary Katrantzou Summer 15; Gareth Pugh AW 15/16; J.W. Anderson AW 15/16;Alexander McQueen AW14/15; Raf Simons AW15/16; Fotos: Axel Siebmann/acces (15)