Simon Rattle, Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, hat nicht nur den aufregendsten und begehrtesten Job in der Klassikwelt, er hat auch fünf Kinder und eine Frau, die Starsopranistin ist. Es ist also gar nicht so leicht, sich mit ihm in Ruhe zu unterhalten, und deshalb schlägt er vor, das Gespräch doch im Flugzeug zu führen. Das Orchester fliegt nach Röros in Norwegen, um sein jährliches Europakonzert zu spielen, da habe man zwischen Start und Landung ein bisschen Zeit. Als er ein paar Tage später die Chartermaschine betritt, hat er einen Roman seines Lieblingsautors Haruki Murakami in der Hand, er wolle nach dem Gespräch noch ein bisschen lesen. Als das Flugzeug zwei Stunden später in Röros aufsetzt, wird er das Buch nicht mal aufgeschlagen haben.
Stardirigenten sind faszinierend, aber oft auch ziemliche Diven und Machos. Ältere Männer, die es gewohnt sind, im Mittelpunkt zu stehen, Macht zu haben, Karrieren ermöglichen und zerstören zu können. Simon Rattle ist nur faszinierend. Ohne jede Eitelkeit erzählt er rührend von seiner autistischen Schwester, die dieses Jahr gestorben ist, einem gemeinsamen Abendessen mit Angela Merkel, seinem Kollegen Daniel Barenboim und dass der einfach nicht nachvollziehen könne, dass Rattle immer so nett zu seinen Musikern sei. Auf die Frage, ob er ein Wunderkind gewesen sei – immerhin hat er zwei Klassen übersprungen und mit 16 seine erste Sinfonie dirigiert –, sagt er: »Nein, ich war kein Wunderkind.« Woher er das wisse? »Ganz einfach, weil ich welche kennen gelernt habe.«
Seit 2002 leitet Simon Rattle die Berliner Philharmoniker. Nächstes Jahr wird er zum London Symphony Orchestra wechseln und 2018 die Leitung der Berliner endgültig an Kiril Petrenko abgeben. Eine Ära wird zu Ende gehen. Sechzehn Jahre Deutschland. Sechzehn Jahre Berlin. Sechzehn erfolgreiche und bereichernde Jahre - für ihn, das Orchester, das Publikum. Zeit also, ihm ein paar vorletzte Fragen zu stellen, um herauszufinden, wie ihn diese Zeit geprägt und verändert hat. Rattle bestellt sich ein Lachssandwich, reißt die Folie runter und isst und spricht gleichzeitig: über sein Orchester (»eine Ansammlung faszinierender, höchstbegabter Menschen«), Richard Wagner (»Den Tristan habe ich mit Eimer neben mir dirigiert, um mich jederzeit übergeben zu können«), Donald Trump (»Ich wäre nicht fähig, für ihn Musik zu machen«) und sein Haus in Berlin (»Es könnte der Palast aus Pelléas und Mélisande sein, das Ding hat sogar Zinnen«).
Einen Tag nach dem Europakonzert geht es zurück nach Berlin. Gemeinsam wartet man am Rollfeld. Es ist ziemlich kalt. Dann, ganz vorsichtig, die Frage: Ob man vielleicht, der Hinflug sei ja wirklich interessant gewesen, noch ein bisschen plaudern könne, über die neuen Beethoven-Aufnahmen zum Beispiel und seine Faszination für Robert Schumann? »But sure«, sagt er, steigt ein und wartet auf die nächste Frage.
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