Kinder, Entwarnung! Mutti hat doch nicht getanzt. Sie war zu doof dafür. Fliegt nach Zypern, weil sie gehört hat, dass dort ewig Party sein soll. In Clubs, ab Mitternacht bis zum nächsten Morgen – und sie mittendrin zwischen zuckenden und schwitzenden Körpern, yeah, yeah, yeah! Ja, so hat sie sich das vorgestellt. Selber schuld.
Ich ins Flugzeug, Landung in Larnaka, Fahrt nach Ayia Napa. Und was war los? Nichts. Also, eigentlich war viel los, das Flugzeug voll, die
Hotels voll, Strand voll, alles voll. Nur: keine Party, bloß Polonaise beim Sambaabend im Hotel. Das Hotel immerhin – wenigstens da lag ich richtig – stand am richtigen Ort, in Ayia Napa, dem Party-Mekka, in das sommers das Partyvolk einfällt, vor allem das aus England und vor allem an den Wochenenden, aber natürlich sind auch Deutsche da, Schweizer, Schweden, Russen; doch unter Sommer versteht das Partyvolk Juli und August, vielleicht noch ein wenig Juni und September, jedoch sicher nicht Oktober – so wie ich. Im Oktober kommen die älteren Semester, die kulturinteressierten, jene, die historische Stätten besuchen, baden und froh sind, dass es nicht mehr 40 Grad hat wie im Juli, sondern nur noch 28. Und viele Familien sind da mit kleinen Kindern, die die günstigeren Preise außerhalb der Schulferien nutzen. Und ich. Ich meine, ich bin sicher im Oktober bei der Polonaise im Hotel weniger aufgefallen als im Juli im »Gas Club« oder im »Carwash« oder im »P’zazz« bei der Clubtour. Aber ob mich das tröstet? Was ich auch im Juli und August nicht hätte sehen können: dass Ayia Napa bis in die Siebzigerjahre ein Fischerdorf war, in dem sechs oder sieben
Familien wohnten. Davon, Kinder, merkt man nichts mehr, egal um welche Jahreszeit. Heute fallen allein im Sommer Zehntausende feierwillige Briten und Skaninavier ein. Morgens, wenn die letzten Clubs schließen, chillen sie am Strand, dem Nissi Beach, einem wunderbaren Sandstrand, der der schönste der ganzen Insel sein soll.
Was man dagegen im Juli und August sehen könnte: Viele junge Briten, die sich zwischen 22 Uhr und Mitternacht auf dem Hauptplatz treffen, auf dem und um den herum sich über 200 Bars und Clubs drängeln. Wobei es keine Bars am Strand oder Partys unter freiem Himmel gibt. Dafür ein venezianisches Kloster, das einzige alte Bauwerk des Ortes.
Was man im Oktober sieht: Familien, Hotels, freundliche Einheimische und die international übliche Ausgabe eines beliebten Strandortes mit Tex-Mex-Lokalen, griechischen, thailändischen, chinesischen, italienischen Lokalen, Fastfoodketten, Souvenirshops, halt: Souvenirhallen ist das treffendere Wort, Luftmatratzen- und Badeölkioske.
Ich möchte nun nicht direkt sagen, dass ich statt zu feiern etwas viel mehr meinem Alter Ensprechendes gemacht, nämlich mir zwei der drei historischen Stätten Zyperns angesehen habe, die zum Weltkulturerbe auserkoren wurden, aber es stimmt trotzdem: die Ruinen von Paphos und die bemalten Kirchen im Gebiet von Tróodos. Sehr interessant, ja. Und wenn ich im nächsten Juli wiederkomme und ihr seht da eine – wie soll ich sagen – ältere Frau, die mitten unter euch zuckt und tanzt, zeigt ruhig auf mich, ihr wisst ja jetzt, dass ich es bin. Ich winke dann zurück.
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Mit 14 verschlang Susanne Schneider Johannes Mario Simmels Roman "Niemand ist eine Insel". Diesen Satz spricht Sylvia Moran, die große Diva des internationalen Films, bei einer glamourösen Wohltätigkeitsgala in Monte Carlo. Ein paar Jahre später wird sie wegen Mordes angeklagt ... Auf Zypern träumte Susanne Schneider davon, auf so einen Plot zu stoßen - vergebens.
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Übernachten Hotel Alion Beach, Kryo Nero Ave., Ayia Napa, DZ ab 110 Euro, Tel. 00357/23/72 29 00, www.alion.com; Adams Beach, Nissi Ave., DZ ab 140 Euro, Tel. 23 84 00 00, www.adams.com.cy. Essen Taverna Napa, Ayia Napa – 15 Democratias St., sehr gutes einheimisches Essen, nur abends geöffnet; Meze probieren, die zypriotische Spezialität, den spanischen Tapas ähnlich.
Unbedingt die Ausgrabungen von Choirokoitia besuchen: Es ist die größte jungsteinzeitliche Siedlung Zyperns und eine der drei Stätten, die zum Weltkulturerbe der Insel gehören, nicht weit von Ayia Napa.
Olivier Kugler (Illustration)