Die Welt mit Untertiteln

Das Geheimnis von "Augmented Reality" - und wie Sie damit Lieblingsorte der Redaktion in Berlin, Hamburg und München entdecken.


(Foto: Realität mit Untertiteln bietet der Kanal "SZ-Magazin-Lieblingsorte" der kostenlosen App Junaio, die Sie im App-Store Ihres iPhones oder im Android-Market herunterladen können. In München, Berlin und Hamburg sehen Sie damit über das Display Ihres Smartphones Lieblingsorte der Redaktion.)

Wer folgenden Satz sagte, galt bis vor Kurzem als Schwindler oder esoterischer Spinner: »Da draußen gibt es Dinge, die ihr nicht sehen könnt – ich aber schon.« Heute reicht ein Handy mit Internetverbindung und Kamera, und der Satz stimmt. Die Technologie, die Menschen mit Handys zu Hellsehern macht, heißt »Augmented Reality«, zu Deutsch »Erweiterte Wirklichkeit«. Sie lässt auf dem Bildschirm des Telefons die Wegbeschreibung zu einer neuen Bar über der Straße schweben. Oder blendet auf dem Weg zur U-Bahn einen Hinweis auf den Asphalt, dass man sich nicht so beeilen muss, weil der Zug acht Minuten später kommt. Der Alltag wird untertitelt wie ein fremdsprachiger Film. Und sehen kann das jeder, der ein neueres Internethandy dabei hat.

Wie funktioniert Augmented Reality?
Man braucht ein Smartphone (also ein Handy mit großem Display, Internet und Kamera) und ein kostenloses Programm, das man sich im App Store von Apple oder für Handys anderer Hersteller im Android Market herunterlädt. Wenn man das Telefon dann in die Luft hält, als würde man ein Foto machen, erscheint auf dem Bildschirm nicht nur die Welt durch den Sucher der Handykamera – man sieht auch Informationen, die hier und jetzt wichtig sind. Das Telefon erkennt durch Kamera, Standort und eingebauten Kompass, wo man ist, sammelt Informationen über diesen Ort aus dem Internet und legt sie wie eine Folie zwischen Welt und Blickfeld.

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Statt also auf einer kleinen Handytastatur einzutippen, wo man ist und was man sucht, genügt es, das Handy an dem Ort in die Luft zu halten, über den man gern mehr wissen würde. Bei vielen neueren Smartphones ist ein Programm namens Layar bereits installiert – mit rund zwei Millionen Nutzern eine der beliebtesten Anwendungen für Augmented Reality auf dem Handy. Andere Programme wie Junaio oder Wikitude funktionieren ähnlich und sind ebenfalls gratis.

Was kann man sehen?
Im Moment vor allem Informationen über die Umgebung: Restauranttipps mit Kritiken von Gästen. Oder wo der nächste Geldautomat ist. Welche Wohnungen sind in der Gegend frei, und was kosten sie? Lustig sind Spiele, in denen man virtuelle Schmetterlinge fangen oder digitale Zombies durchs Büro jagen kann.

Weil aber Augmented Reality erst beginnt, sehr beliebt zu werden, sind große Teile der Stadt noch ein leeres, weites Feld. Hier könnte alles entstehen, etwa eine Werbetafel, ein virtuelles Casino oder ein Museum. So haben Programmierer in Berlin die Mauer wieder aufgebaut – als virtuelles Modell in Originalgröße, das nur sichtbar ist, wenn man sein Handy auf die Stellen richtet, wo früher die Mauer stand (im Programm Layar unter »Berliner Mauer« zu finden).

Fliegende Buchstaben

Noch in der Testphase befindet sich ein Programm namens "Hoppala Augmentation", mit dem man riesige, dreidimensionale Wörter in die Landschaft setzen kann, die dann im Raum stehen – wie das in Bronze gegossene Love von Robert Indiana. Auch Werbung gibt es schon: Die Plattenfirma der Rolling Stones stattet Fans mit virtuellen Postern aus, die man an jeder Wand hinterlassen kann: Eine Karte zeigt an, wo andere ihr Plakat hingeklebt haben, und Leute, die ihr Handy auf diese Wände richten, können es sehen (das Programm heißt »Exile on Your Street«, ebenfalls bei Layar).

Ein ähnliches Prinzip verfolgt die Eisfirma Ben & Jerry’s in den USA: Wer sein Handy auf den Deckel ihres Schokoladeneises richtet, sieht einen Kakaobaum aus dem Logo wachsen. Um das auch in Deutschland zu sehen, muss man nach »Moo Vision« auf YouTube suchen. Der Handyhersteller Nokia bietet in seinem eigenen App Store Ovi das bisher größte Augmented-Reality-Spiel mit dem Namen Conspiracy For Good an: Eine vierwöchige Schnitzeljagd durch London, bei der Teilnehmer mit ihren Mobiltelefonen Rätsel lösen müssen, die in Graffiti an Hauswänden versteckt sind.

Wie könnte die Zukunft aussehen?
Technisch lassen sich auch Gesichter schon erkennen – ein Blick durch das Handy könnte zeigen, ob der attraktive Mensch am Nachbartisch bei Facebook den Status »Single« angegeben hat oder grölend bei einem Saufgelage fotografiert wurde.

Aber ein Programm, mit dem man Informationen über fremde Menschen in Echtzeit bekommen kann, hat sich noch nicht durchgesetzt – Datenschutz. Sonst ist in dieser digitalen Zwischenwelt noch fast alles möglich, worüber sich auch Rechtsschützer schon Gedanken machen: Was passiert zum Beispiel, wenn man ein riesiges (aber nur durch das Handy sichtbares) »Stoppt Seehofer«-Plakat quer über den Bayerischen Landtag hängen würde? Im Juli hatten Umweltaktivisten bereits ein Programm geschrieben, das Bilder der sprudelnden Ölquelle im Golf von Mexiko zeigt, wenn man durch sein Handy auf eine BP-Tankstelle schaut. Passiert ist ihnen nichts. Der Ölkonzern hat momentan größere Sorgen, als sich um eine Welt zu kümmern, die nicht jeder sehen kann.