Es ist kaum möglich, an einem Globus einfach vorbeizugehen. Man will genau hinsehen, ihn anfassen, ihn drehen. Sich darüber wundern, dass gegenüber von Deutschland wirklich der Pazifik liegt und dass man im Westen ankommt, wenn man lange genug in den Osten reist.
»Globen faszinieren nun einmal die Menschen«, sagt James Bissell-Thomas. Das ist ja auch sein Geschäftsmodell. Seit 1999 produziert Bissell-Thomas in seiner Firma Greaves & Thomas auf der Isle of Wight vor der Südküste Englands Globen von Hand. Die Auftragsbücher sind voll. 300 Globen mit Durchmessern zwischen fünf Zentimetern und 1,5 Metern bauen Bissell-Thomas und seine vier Mitarbeiter pro Jahr. Auf besonders aufwendige Exemplare müssen Kunden bis zu 18 Monate warten. Die Preise liegen zwischen gut 160 Euro für einen regulären Globus mit moderner Karte und mehr als 28 000 Euro für Spezialanfertigungen, wie das historische Exemplar mit sogar rund zwei Metern Durchmesser, den eine australische Schule kürzlich für ihre Aula bestellte.
Die Werkstätten von Greaves & Thomas sind 200 Quadratmeter groß, ziemlich chaotisch und ein wenig verstaubt. Die Manufaktur stellt auch moderne Globen her, etwa mit hervorstehendem Höhenprofil, sodass sich die Gebirgszüge der Anden mit den Fingerkuppen ertasten lassen. Hauptsächlich produziert sie aber Nachbauten historischer Globen. Darunter sind zum Beispiel Kopien des weltweit ältesten noch erhaltenen Globus, des sogenannten Erdapfels, den der Deutsche Martin Behaim 1493 fertigstellte und auf dem weder Amerika noch der Pazifik noch Australien existieren.
Tatsächlich dachte, entgegen einer heute in Verschwörungstheoretikerkreisen kursierenden Meinung, auch im finstersten Mittelalter kein Mensch, dass die Erde eine Scheibe sei. Schon Platon hatte die Kugelgestalt der Welt beschrieben. Und um das Jahr 150 vor unserer Zeitrechnung stellte der griechische Philosoph Krates von Mallos wohl das erste Modell der Erdkugel her.
Für einen historischen Globus formen die Mitarbeiter von Greaves & Thomas zwei Halbkugeln aus Gips und Wasser, lassen sie zwei Wochen lang trocknen und verbinden sie dann mit einem Spezialkleber. Anschließend klebt James Bissell-Thomas persönlich die meistens auf 24 schmalen Segmenten ausgedruckte Karte auf. Eine Koloristin bemalt das Papier von Hand mit Wasserfarbe, zum Abschluss wird die Oberfläche mit mehreren Schichten Acryl- und Schellack versiegelt, was ihm eine wächserne und dadurch alt wirkende Optik verleiht. Ein Globus des italienischen Kartografen Vincenzo Coronelli zeigt Ende des 17. Jahrhunderts nicht nur die Kontinente, sondern bietet auch 600 Erklärungen und Zeichnungen, denen zum Beispiel zu entnehmen ist, wo damals welche Königshäuser herrschten.
Als James Bissell-Thomas 1988 mit dem Bau seines ersten Globus begann, hatte die letzte britische Globuswerkstatt gerade ihr Geschäft aufgegeben. Übrig blieben Massenhersteller, die günstige Kunststoffgloben produzierten, hauptsächlich für Schulklassen. »Ich wollte die traditionelle Herstellung wiederbeleben«, sagt Bissell-Thomas, der nach seinem Kunststudium bereits Retro-Objekte wie Hutboxen nachgebaut hatte. Und natürlich verdient er auch hier sein Geld mit Nostalgie. Viele der Kunden kaufen einen Globus, weil sie einst einen im Kinderzimmer stehen hatten, weil sie noch einmal das Gefühl erleben wollen, mit dem Finger um den gesamten Erdball zu reisen.
Es geht aber nicht allein um Sentimentalität - auch praktische Gründe sprechen für einen Globus. Mit den Karten und Fotos von Google kann man sich in jede Stadt der Welt zoomen und das Aussehen von Briefkästen in Lagos mit dem Aussehen von Briefkästen in New York vergleichen. Was in diesen Details aber verlorengeht, ist der Überblick. Wo in Nigeria liegt eigentlich Lagos? Und wo in Afrika liegt Nigeria? Ein Globus zeigt die Welt von weit oben. Er bietet Abstand und Distanz. Er stellt dar, wie übersichtlich die Welt ist, die vielen Menschen immer verwirrender erscheint. James Bissell-Thomas sagt: »Ein Globus verkörpert Vollkommenheit.«
Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass die Menschheit bei allem Streit doch auf einem einzigen Planeten zusammenlebt - also irgendwie miteinander auskommen muss. Ein Globus zeigt das große oder vielmehr das kleine Ganze.
Fotos: Severin Wohlleben