Karl-Heinz Hornung hat noch nie in seinem Leben einen alleinerziehenden Vater gesehen – da ist er plötzlich selber einer. Seine Frau zieht zu ihrem Geliebten. Er steht da mit den beiden Kindern. Als die Mutter die beiden zu sich holen will, beginnt er zu kämpfen. Auch, um seine Exfrau zu besiegen. Er gewinnt vor Gericht. Und kämpft seither weiter. Gegen die Angst, die Kinder doch wieder zu verlieren. Gegen die Wut. Es gibt Momente, in denen fürchtet Hornung, sein Werk könnte zusammenkrachen wie ein Turm Bauklötze.
An jenem Montagmorgen zum Beispiel, als in seinem Geldbeutel plötzlich vier Hunderteuroscheine steckten. Fabius, damals zehn, wand sich ein bisschen, dann gestand er: Ja, er hatte das Geld geklaut. Bei seiner Mutter. Dort lag es auf dem Küchentisch und war für ein Pferd gedacht, das sich die Mama und ihr Freund kaufen wollten. Zum ersten Mal ging Hornung zu einem Erziehungsberater. Der Mann beruhigte ihn, sein Sohn habe ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl. Für Hornung war das ein Schuss vor den Bug. Er nahm sich vor, die Kinder ab sofort nichts mehr von seinen finanziellen Sorgen spüren zu lassen. Eigentlich ist inzwischen ja alles in guten Bahnen, findet er, und es gibt Wochen, da schläft seine Wut. Er, 45, Melanie, 16, Fabius, 11: ein Team, sagt er. Vater und Kinder, die zusammen durch dick und dünn gehen, seit die Mutter die Familie vor fünf Jahren verließ. Was sie alles durchgemacht haben – Brechdurchfälle, Türenknallen, verschossene Elfmeter, Diäten, den plötzlichen Tod der Oma. Melanie hat jetzt eine Lehrstelle als Hotelfachfrau in Aussicht. Fabius ist der Liebling der Nachbarn, weil er so niedlich aussieht und immer freundlich grüßt. In Seibranz, dem 600-Einwohner-Dorf mitten in Oberschwaben, in dem Hornung wohnt, gibt es ganz andere Rabauken, oft aus vollständigen Familien. Er ist stolz.
Seine Kinder haben kein Drogenproblem, sie halten sich an Verabredungen. »Ehrlichkeit«, sagt Hornung, »ist bei uns das A und O.« Er sitzt in der Küche, um ihn herum ist alles ordentlich und gewischt – von ihm selbst, nicht etwa von einer Putzfrau, wie er klarstellt –, die beiden Kinder kommen herein, geben die Hand, sie lächeln höflich, hinter der grau melierten Sofagarnitur steht für den Abend ein Korb mit Bügelwäsche bereit, den Karl-Heinz sich nach der Tagesschau vornehmen will. Ein sportlicher Mann, der in jedem Verein sofort in den Vorstand gewählt wird, früher hat er sich im Fußballclub engagiert, jetzt ist er Elternbeiratsvorsitzender. Wenn er anfängt zu erzählen, dann ist er kaum noch zu stoppen. Er beschreibt seinen Kartoffelauflauf – den mit vorgekochten Kartoffeln. Erzählt, mit welchen Finten er seine Kinder dazu brachte, die Spülmaschine zu bedienen und in ihrem eigenen Bett zu schlafen. Man hat den Eindruck: Karl-Heinz, ein Zukunftsmodell. Wenn auch ein eher unfreiwilliges.
Während sich Ursula von der Leyen abmüht, den deutschen Vater mit Elterngeld näher zu seinen Kindern zu schieben, ist der Kaufmann Karl-Heinz Hornung längst so nah an seinen Kindern – mehr geht kaum. Er lacht. Er freut sich über die Etikettierung: er, der Löwenvater. Seine Exfrau: die Rabenmutter. Damals, vor fünf Jahren ging alles ganz schnell. Er dachte noch, in guter oberschwäbischer Ehe zu leben, doch seine Frau hatte längst die Nase voll von vielen langweiligen Fernsehabenden und unfruchtbaren Gesprächen – und einen Geliebten. Halb zog sie aus, halb warf er sie raus. Der einzige Halt, der ihm blieb, waren die Kinder. Als seine Frau die beiden, damals elf und sechs, zu sich in die neue Wohnung holen wollte, nahm er sich einen Rechtsanwalt.
Bis zur Verhandlung dauerte es ein halbes Jahr. Er bewies sich als Superdaddy, seine Exfrau sah die Kinder kaum. Er sagt: weil sie nicht wollte. Sie sagt: weil er sie nicht ließ. Melanie gab den Ausschlag, damals. Sie machte Terror, wenn sie bei der Mutter und ihrem neuen Mann zu Besuch war. Der Vater, der wütete und weinte, tat ihr leid. Für sie war die Mutter schuld. Dem Familienrichter sagte sie während der Verhandlung, dass sie unbedingt da bleiben wolle, wo sie wohnte. Dass der Papa sehr gut mit ihr und Fabius klarkomme. Und dass der Mutter ihr neuer Mann sowieso viel wichtiger sei – einen Satz, den sie heute ein bisschen bereut. Sie weiß nicht mehr genau, wie es damals war. Aber sie findet, dass sich ihre Mutter heute viel Mühe gibt, wenn ihre Kinder bei ihr sind. Karl-Heinz Hornung und seine geschiedene Frau reden nicht mehr miteinander. Man kann sagen: kein Wort.
Wenn er die Kinder an jedem zweiten Freitag abliefert, dann darf er nicht ins Haus. Wenn sie ihn in der Stadt trifft, schaut sie weg. Sobald er an die Mutter der Kinder denkt, zucken für einen Moment seine Brauen zusammen, zwischen den Augen bildet sich eine senkrechte Falte. Witwer sein, denkt er manchmal, das wäre einfacher. Immer wieder bietet die Mutter den Kindern an, sie könnten doch zu ihr ziehen. Zückt ihre Trümpfe: die Pferde; die viele Zeit, die sie hat, um sich um ihre Kinder zu kümmern. Melanie stellt sich taub. Sie hält sich an diesem Satz fest: »Ich ziehe doch nicht auf einen Bauernhof.«
Aber Fabius kommt in einen Konflikt. Er sitzt jetzt kerzengerade am Küchentisch, umklammert seine Tasse mit Pfefferminztee, ein zarter Junge mit großen, blauen Augen, seine Stimme bebt ein bisschen. »Ich will lieber bei meiner Mama wohnen. Aber ich kann den Papa und die Melanie nicht allein lassen.« Klein sieht er aus, verloren. Er vermeidet es, seinen Vater anzusehen. Beim Papa, sagt er, ist er jeden Nachmittag allein. Seine Mutter hat versprochen, wenn sie und ihr Freund mit ihm lernen würden, dann könnte er die Realschule schaffen. Jetzt geht er in die Hauptschule. Hornung hat manchmal das Gefühl, dieser Druck zwingt ihn in die Knie. Er hat den vollen Job. Und die Kinder. Seine Exfrau, glaubt er, wartet wie die Spinne im Netz darauf, dass sich ihre Beute irgendwann ganz von selber verfängt. Dass Karl-Heinz kapituliert. »Ich weiß ja, dass ich nicht alles perfekt hinkriege«, sagt er. Wenn er abends heimkommt, macht er Abendbrot. Und hofft, dass die Hausaufgaben erledigt sind.
Männer und Frauen staunen, wenn sie hören: Karl-Heinz Hornung arbeitet acht Stunden im Büro und ist gegen 17 Uhr zurück. Dann jagt er in den Supermarkt. Zu Hause wäscht und bügelt er, näht je nach Saison bunte Flecken auf Faschingskleider, bereitet Schulmusicals vor, hört Englischvokabeln ab. Abends geht er in der Woche nur noch ganz selten aus. Nur der Donnerstagabend ist ihm heilig: Stammtisch der alten Herren vom Fußball. Früher hat er mitgekickt, seit er die Kinder hat, kommt er nur noch zum Stammtisch. Das Handy liegt immer neben seinem Bierglas – »falls zu Hause was ist«. Natürlich kann er hier nicht mit seinen Alltagssorgen landen. Hier wird nicht darüber beraten, ob Melanies Pailletten-Shirt in den Feinwaschgang gehört oder warum seine Salatsoße nach nichts schmeckt. Hornung macht eine wegwerfende Handbewegung: Er ist froh, dass es an seinem Stammtisch um so simple Dinge geht wie die Bundespolitik.
Die Männer um ihn herum leben ja, wie Hornung sich das ursprünglich auch vorgestellt hat – in einer Welt mit einer scharfen Trennlinie zwischen Männerthemen und Frauenthemen. Manchmal wird gespottet. Neulich, als an einem Hemd ein Knopf lose baumelte, klopften sich die anderen auf die Schenkel und wieherten: »Das soll der Karl-Heinz machen, der kann’s.« Böse gemeint ist das nie, da ist sich Hornung sicher: »Die haben Respekt vor dem Spagat, den ich leiste.«
Außer sich selbst kennt Karl-Heinz Hornung keinen einzigen der rund 340 000 alleinerziehenden Väter, die es laut Statistischem Bundesamt gibt. Dass diese Familienform nach Einschätzung des Verbandes alleinerziehender Mütter und Väter stärker anwächst als jede andere Familienform, davon hat er noch nichts gemerkt. In seinem Dorf nicht, in der Kurstadt Bad Wurzach, der nächsten größeren Stadt, auch nicht. Da sind ihm zwar schon viele Geschiedene begegnet, aber noch nie hat er einen Mann getroffen, der allein seine Kinder großzieht. In Bad Wurzach gibt es eine Gruppe »alleinerziehender Mütter«, die sonntags zusammen frühstücken. Anfangs, als er noch ziemlich unerfahren mit seiner neuen Rolle war, rief Hornung dort an und fragte, ob er eigentlich auch kommen könne. »Besser nicht«, war die Antwort, »das kann ich nicht empfehlen – wir sind ja lauter Frauen, und meistens ziehen wir über die Männer her. Da würdest du dich wahrscheinlich nicht wohlfühlen.« Karl-Heinz verging die Lust sofort. Und er fühlte sich so allein mit seiner Situation wie noch nie.
Etwas unter 2000 Euro verdient Hornung netto, so viel wie der Großteil alleinerziehender Väter in Deutschland. Verglichen mit den Frauen steht er damit ganz gut da – die Mehrheit der 2 236 000 alleinerziehenden Mütter kriegt 900 bis 1500 Euro raus. Hornung muss trotzdem immer spitz rechnen, Urlaub ist nicht drin. Dafür hat der Bauelemente-Fachverkäufer in seiner Firma einen netten Chef und Kollegen, die auch mal für ihn einspringen. Alles Väter mit Frauen, die ihnen den Rücken frei halten. Eine Tagesmutter wäre ideal, sagt Hornung, aber die kann er sich nicht leisten. Dreimal die Woche kommt eine Nachbarin zum Kochen, Kosten: 150 Euro im Monat, das ist die Obergrenze.
Finanziell gibt es keinen Spielraum. Mathenachhilfe für Melanie? Karl-Heinz Hornung musste am Samstagvormittag zusätzlich arbeiten. Wenn sein Sohn im September zwölf wird, dann fallen 170 Euro weg – der Vorschuss, den das Jugendamt für Kinder unter zwölf Jahren zahlt, wenn ein Elternteil keinen Unterhalt beisteuert. Vor den Kindern spricht er nicht darüber, wie ungerecht er das findet – schon gar nicht seit der Sache mit den vier Hunderteuroscheinen. Wenn sie nicht zuhören, dann schon. Schnell. Mit gepresster Stimme. Seine Finger trommeln auf die Tischplatte, als wollte er seine Rede mit dem passenden Klangteppich unterlegen: Seine Exfrau arbeitet halbtags in einer Saunalandschaft – ganztags, sagt sie, geht nicht, da würde ihre Haut mit Schuppenflechte reagieren.
Das Jugendamt hat ihr zuerst auferlegt, einen Zusatzjob zu suchen, doch die Sache verlief sich im Sande. Sie verdient jetzt weniger als 890 Euro – den gesetzlichen Selbstbehalt. Seit der Trennung lebt sie mit einem Arzt zusammen. Sie leisten sich Pferde, aber sie sagt, sie kann sich für die Kinder keinen Unterhalt leisten. Hornung hält das für einen Trick. Vor Gericht klagen will er nicht, das will er den Kindern nicht zumuten, obwohl ihm nach der Düsseldorfer Tabelle, einer Unterhaltsleitlinie, mindestens 538 Euro zustehen würden. »Sonst hört man solche Geschichten immer nur von Männern, die ihre Familie im Stich gelassen haben. Müttern traut man das gar nicht zu«, empört er sich.
Für den Ravensburger Rechtsanwalt Eberhard Briel, der am Oberlandesgericht in Stuttgart Familiensachen vertritt, passt das ins Bild. Immer wieder ärgert er sich über die Entscheidungen. Jugendämter und Gerichte machen den Vätern viel eher Druck, Unterhalt zu bezahlen, als den Müttern, hat er beobachtet. Eine eigentlich unverständliche Beißhemmung, findet er – »aber das alte Rollenverständnis, dass der Mann fürs Geldverdienen zuständig ist, sitzt tief«.
Die ersten Jahre sprang seine Mutter ein, die oben im selben Haus wohnte. Seit sie vor zwei Jahren starb, hat Hornung oft gedacht: Wie verdammt schwierig es ist, alles allein machen zu müssen. Kein Pendant in der Erziehung zu haben. Niemanden, mit dem man ausführlich über die Kinder reden kann. Niemanden in Reichweite, der sich genauso zuständig fühlt wie er.
Mit Fabius gibt es keine Probleme – der Junge passt sich an, er hält sein Zimmer in Ordnung, lenkt bei Streit sofort ein, Fabius ist immer anzumerken, dass er den Vater nicht belasten will. Mit Melanie ist alles ein bisschen kompliziert geworden. Sie geht auf Distanz. Sie verzieht sich in ihr Zimmer. Melanie findet ihren Vater jetzt manchmal peinlich: diesen Kinnbart, der aussieht wie ein Ausrufezeichen. Die blonde Freundin, die er seit einer Weile hat, mit der er auf Traumpaar macht. Plötzlich gibt es Grenzen, die es früher nicht gab. Früher konnte man immer ganz schnell wieder zusammenfinden: Karl-Heinz hat sich abends neben Melanie ins Bett gelegt, mit ihr ein bisschen herumgeblödelt, das war ein Ritual. Heute geht das nicht mehr. »Pubertät«, sagt er, zieht die Augenbrauen hoch, »was weiß ein Mann von Pubertät bei Mädchen?«
Neulich hörte Hornung es tief in der Nacht am Fenster der Tochter klopfen, die Balkontür ging auf, die Balkontür ging zu – er ließ ein bisschen Zeit verstreichen, dann schlich er den Flur entlang und zog leise Melanies Zimmertür auf. Herrenbesuch, tatsächlich! Aber Entwarnung. Der junge Mann lag auf dem Boden, er hatte seinen Bus verpasst. Am nächsten Tag gab es Krach. Melanie musste versprechen, künftig zu fragen, ob jemand bei ihr übernachten darf. Und außerdem dachte er: »Jetzt ist es Zeit, über Verhütung zu reden.« Bei der Tochter war er da an der falschen Adresse. »Mit dir doch nicht – über so was rede ich mit der Mama«, regte Melanie sich auf. Immer wieder versucht er, Melanie seinen Standpunkt zu erklären – jetzt wieder: »Du kannst über so was ja ruhig mit der Mama reden«, sagt er. Melanie: »Eben. Und?« Er: »Aber ich will wissen, was ihr geredet habt oder ob sie mit dir beim Frauenarzt war.« Melanie: »Das musst du überhaupt nicht wissen.« Er: »Doch, ich habe die Verantwortung. Ich bin zuständig, dass nichts passiert.« Melanie stöhnt »Vergiss es« – und tippt auf ihrem Handy herum.
Es ist ja nicht so, dass in Hornungs Leben keine Frauen mehr vorkommen – aber es sind eben nicht die Mütter seiner Kinder. Sofort nach der Trennung war ihm klar, dass er auf keinen Fall länger allein bleiben will. Wenn Karl-Heinz Hornung zum Beispiel in der Pilsbar Frauen trifft, die in Bad Wurzach zur Mutter-Kind-Kur sind, dann kann er mit seiner Situation gut punkten. Frauen kriegen verklärte Blicke, wenn sie alleinerziehende Väter treffen, hat er festgestellt. Die Gespräche laufen fast immer nach demselben Muster. Sie: »Bist du verheiratet?« Er: »Nö, geschieden.« – »Kinder?« – »Ja, zwei.« Sie: »Kannst du die Kinder regelmäßig sehen?« Er – voller Vorfreude auf die nun garantiert folgende Reaktion: »Ja, jeden Morgen und jeden Abend!« Dann sie: »Was, die Kinder leben bei dir? Toll! Das kriegst du hin?« »In der Hinsicht bin ich fein raus als alleinerziehender Mann – viel feiner als eine alleinerziehende Frau«, sagt er und grinst.
Schon nach wenigen Monaten brachte Hornung seine erste Freundin mit. Eine, die sofort die Mutterrolle übernehmen wollte. Sie ging den dreien auf die Nerven, besonders Melanie, die feine Antennen hat, wenn heile Familie markiert wird, wo einfach keine heile Familie mehr ist. Er kam zum Ergebnis: »Ich suche keine Kinderfrau und keine, die uns den Haushalt macht. Sie muss menschlich passen.« Nummer zwei war eine Frau, die menschlich perfekt zu Melanie passte, vor allem die schicken Schuhe und künstlichen Fingernägel fand das Mädchen cool. Karl-Heinz war nicht wirklich verliebt. Er trennte sich – Melanie war außer sich vor Empörung. Sie tobte, ihr Vater solle verdammt noch mal nicht so fies und so egoistisch sein.
Das war der Zeitpunkt, als Hornung sich mit den Kindern an den Tisch im Wohnzimmer setzte und klarstellte, dass die beiden für ihn zwar immer an erster Stelle stehen. Dass er aber trotzdem ein Recht auf seine eigenen Bedürfnisse habe. Ab sofort wolle er im Übrigen auch nicht mehr jeden Morgen mit Kindern im Bett aufwachen. Sie kamen trotzdem immer wieder angeschlurft. Da schleppte er eine der beiden Matratzen aus seinem Bett in den Keller. Zwei-, dreimal warfen sich Melanie und Fabius auf den Lattenrost; dann kamen sie nicht mehr. Das ist das eine Beispiel seiner – wie er sagt »eher männlichen« – Erziehungsideen. Das andere: Niemand machte Anstalten, die Spül-maschine ein- und auszuräumen. Hornung ließ den Berg ungewaschener Teller und Tassen wachsen, bis die Küche stank. Mit Erfolg. Er freut sich: »Die zwei haben eingesehen, dass sich so was nicht von selbst macht. Jetzt machen sie’s.«
Vor zwei Jahren traf er Sabine. Geschieden, kinderlos, berufstätig. Jedes zweite Wochenende, wenn seine Kinder bei der Mutter sind, ist Karl-Heinz jetzt bei Sabine. Eine Beziehung mit Perspektive. Sie mischt sich in die Erziehung ein, was Melanie zum Kotzen, Hornung als entlastend empfindet. Sabine ist dagegen, dass es auf Melanies Garagenparty Alkohol gibt – deshalb gab es nur alkoholfreies Bier, ärgert sich Melanie. Sabine ist für sie ein Eindringling in die Dreiergemeinschaft. So wie auf der anderen Seite, bei der Mutter, der Arzt stört, der darauf pocht, dass die Kinder beim Essen nicht die Ellenbogen auf den Tisch stützen. Früher sei der Papa insgesamt viel lockerer gewesen. Auch verlässlicher, findet sie: Als Fabius vor Kurzem, nach einem Wochenende auf dem Bauernhof, mal wieder andeutete, er wolle zur Mutter ziehen, da rief Hornung im Zorn, dann werde er eben auch wegziehen – zu Sabine. Melanie war so empört, dass sie die Tür zudonnerte und den ganzen Abend nicht mehr zum Vorschein kam. »Sollen sie doch alle wegziehen«, sagt sie jetzt trotzig, »aber wo soll ich dann eigentlich hin?«
Neulich waren Melanie und Fabius, Sabine und Karl-Heinz in der Stadt. Termin beim Fotografen. Karl-Heinz wünschte sich ein richtiges Familienbild, eins fürs Wohnzimmer. Als sie durch die Straßen schlenderten, Hand in Hand und anscheinend sehr vergnügt, kam zufällig die Mutter der Kinder im Auto um die Ecke. Dass sie sehen konnte, wie gut ihr Mann sein Leben hinkriegt – »ich bin ehrlich: das war eine Genugtuung«, freut sich Hornung. Das Foto hängt jetzt gerahmt im Wohnzimmer. Alle lächeln darauf. Melanie schenkt dem Bild nur einen kurzen Blick. »Leider verlogen«, seufzt sie, ihr Handy klingelt, sie ruft hinein: »Hi, was geht?«, sie kichert, scheucht mit einer Hand den kleinen Bruder weg, der wissen will, wer dran ist. Dem Mädchen ist anzumerken: Der ganze Familienkram, meine Güte… allmählich gibt es Wichtigeres, zum Glück.