Als unser Herrgott mal wieder auf Erden wandelte, da begegnete ihm ein Soldat. Der fragte sogleich nach dem Woher und Wohin, und bevor unser Herr Jesus noch antworten konnte, nötigte ihn der Soldat, sich mit ihm auf eine zerbombte Mauer zu setzen, zog ein kariertes Schnupftuch und einen Kanten Brot aus der Tasche, breitete das Tuch auf der Mauer aus, brach das Brot in zwei Hälften und reichte dem Herrn die eine davon.
»So wollen wir es von nun an immer halten. Lass uns zusammen weiterziehen, Kamerad, und alles, was der eine findet oder erwirbt, das teilt er mit seinem Bruder. Denn Brüder sind wir in der Armut, ich bin der Bruder Lustig und du der Bruder Gemach.« Das war dem Herrn Jesus recht, er schlug in die ausgestreckte Hand ein, und sie zogen zusammen weiter. Wie sie eine Stunde gegangen waren, warf Bruder Lustig einen begehrlichen Blick auf die Flasche, die aus der Jutetasche des Herrn herauslugte, und sagte: »He, Kamerad, nun bist du an der Reihe, den Wirt zu geben. Ein Schluck Wein wäre mir gerade recht.«
»Ich kann dir davon nicht geben«, sagte der Herr, »denn es ist kein Wein, den ich bei mir trage, sondern das Wasser des Lebens.« Nun kamen sie an einem Bauernhaus vorbei und hörten darin gewaltig klagen. Sie traten ein und fanden ein junges Mädchen, schön von Angesicht, aber mit verbrannten Armen und Beinen und so tot, wie jemand nur tot sein konnte. Die Eltern heulten und jammerten laut. »Es ist noch nicht verloren«, sagte Jesus. »Bringt mir den größten Kessel, den ihr habt, füllt ihn mit kochendem Wasser, bringt mir scharfe Messer und Sägen, und lasst mich die Nacht über allein.« Die Eltern brachten den Kessel und das Wasser, entzündeten darunter ein Feuer und verließen das Haus.
»Lass uns warten, bis es dunkel ist«, flüsterte Bruder Lustig dem Herrn ins Ohr, »dann nehmen wir der Hübschen ihr Kreuz vom Hals, es ist ganz aus Silber, und machen uns aus dem Staub.« Aber der Herr Jesus antwortete ihm nicht, sondern setzte die Säge an und sägte der Toten den linken Oberarm ab, dann den rechten, die Beine und schließlich den Kopf. »Kamerad, was tust du?«, rief Bruder Lustig. »Ich bin ja dafür, dass jeder sein Vergnügen haben darf, aber hier trennen sich unsere Gewohnheiten.« »Nimm die Arme und Beine, und wirf sie in den Kessel«, sagte Jesus und ließ selber den Kopf hineinplumpsen. Bruder Lustig tat, wie ihm geheißen, und zuletzt hoben sie gemeinsam den Rumpf an, wuchteten ihn in den Kessel und ließen alles fröhlich kochen.
»Das ist ein Geruch«, sagte Bruder Lustig, »dass ich für den Rest meines Lebens keine Fleischsuppe mehr werde essen können. Das aber macht ja auch nichts, da man uns morgen früh sowieso aufhängt. So viel ist mal sicher.« Alle Stunde sah der Herr Jesus in den Topf, was die Einlage machte, und als alles Fleisch sich gelöst hatte, stieß er den Kessel um, dass sich die ganze Brühe über den Raum verteilte. »Herrgott noch mal«, rief Bruder Lustig und schob mit dem Fuß einen Oberarmknochen zur Seite, »Kamerad, treib es nicht zu bunt.« Unter allerlei Flüchen half er dem Herrn Jesus, das Gebein zusammenzusuchen, und Jesus legte jeden Knochen an seinen Platz, bis vor ihnen auf dem Boden das ganze Skelett des toten Mädchens lag, der Atlas im Dreher steckte, die Schenkelknochen in den Hüftschalen lagen und nicht einmal ein Fingerknöchelchen fehlte. Sodann entkorkte der Herrgott seine Flasche mit dem Wasser des Lebens, sprengte reichlich davon über die Knochen und sprach:
»Jungfer, ich sage dir, kehre zurück und erhebe dich.«
Da überzogen sich die Knochen auf einmal mit Fleisch und Sehnen, ein Anblick, der dem Bruder Lustig die Haare zu Berge stehen ließ. Doch dann überzog sich das Fleisch auch sogleich mit Haut, die Wangen füllten sich mit Blut, der Brustkorb hob und senkte sich, und dann schlug die Bauerstochter die Augen auf.
»Geschafft! Was bist du nur für ein Teufelskerl, Kamerad«, rief Bruder Lustig. Er stieß die Fensterläden auf, dass die Sonne hereinschien, und sah noch einmal in den umgestürzten Kessel, aber darin war nur ein Rest klarsten Wassers. Nun kamen die Eltern herein und schlossen unter Tränen ihre Tochter in die Arme. Sie wollten dem Herrgott ein Lamm schenken, aber der Herr wollte es nicht nehmen. »Heda, Kamerad«, rief Bruder Lustig, »du kannst das Lamm nicht einfach zurückweisen, denn die Hälfte davon gehört mir.« Und damit hob er das Lamm auf seine Schultern, und so zogen sie weiter. Nach einer Weile wurde es beschwerlich, das Lamm zu tragen. Also machten sie Rast, und der Herrgott trug dem Bruder Lustig auf, es zu braten. »Ich gehe mir die Füße vertreten und bin zur rechten Zeit zurück. Iss nicht, bevor ich wieder da bin.«
Bruder Lustig steckte das Lamm auf einen Ast und hängte es über ein Feuer. Während er nun den Spieß drehte und auf den Herrn wartete, fielen immer wieder die Eingeweide aus dem Lamm und sahen auch schon recht gar aus. Das Gekröse zählt nicht, dachte Bruder Lustig, und verschlang nacheinander das Herz und die Leber. Als das Lamm nun fertig gegrillt war, kam der Herrgott zurück und verlangte nichts zu essen außer der Leber. Bruder Lustig nahm eine Gabel und stocherte eifrig in dem Braten herum. »Ach, wie dumm wir sind«, rief er plötzlich lachend, »ein Lamm hat doch gar keine Leber. Da kann ich lange suchen.« »Aber gewiss doch«, sagte der Herr, »ein jedes Tier hat eine Leber.« »Aber gewiss doch nicht«, rief Bruder Lustig. »Ein Lamm hat keine Leber, ein Pferd kann nicht kotzen, auch nicht direkt vor der Apotheke, und wenn du mir nicht glaubst, such doch selbst.«
Da setzte sich der Herrgott hin und wollte nichts von dem Lamm essen, bis er erführe, wohin die Leber gekommen sei, und der Bruder Lustig musste es sich allein schmecken lassen und am Ende das restliche Fleisch in seinen Tornister packen. So zogen sie weiter und kamen an einen Fluss. »Geh du voran«, sagte Bruder Lustig zum Herrn, und der Herr schritt, ohne zu zögern, durch die Furt, und sie reichte ihm nur bis zum Knie. Bruder Lustig ging ihm nach, aber das Wasser wurde größer und stieg ihm bis an den Hals. »Hilf mir heraus«, rief er. »Erst will ich wissen, wer die Leber gegessen hat«, sagte Jesus. »Schnell, deine Hand«, rief Bruder Lustig, »ich kann nicht schwimmen.«
Das Wasser reichte ihm jetzt schon bis an den Mund. »Sag mir, wer die Leber genommen hat.« »Kannst du dir keinen besseren Zeitpunkt aussuchen, um wieder mit deiner Scheiß-Leber anzufangen? Ich war es nicht, und jetzt gib mir die Hand.« Da zog ihn der Herr heraus.
Nicht weit, und sie kamen an eine Kreuzung. »Hier trennen sich unsere Wege«, sagte der Herr, »ich mag nicht mit einem Lügner gehen.« »Das musst du selber wissen. Wenn du denkst, ich würde dich wegen einer dämlichen kleinen Leber anlügen, dann tust du mir leid. Ich war’s nicht, kapiert?« Weil Bruder Lustig aber in seinen nassen Kleidern zu niesen anfing, nahm der Herr eine kleine PET-Flasche vom Wegrand und füllte sie mit dem Wasser des Lebens. Davon sollte der Soldat stündlich einen Tropfen auf die Zunge nehmen.
Wie der Bruder Lustig nun so allein weiterwanderte, hielt auf einmal ein Kleinbus mit einem Filmteam darin neben ihm. »Seid ihr der Wunderheiler, der Tote zum Leben erwecken kann?« »Gewiss, das bin ich«, sagte Bruder Lustig schnell. Da schob man ihn in den Kleinbus und verfrachtete ihn in die nächste Stadt zum Haus des berühmten Fußballspielers, dessen Tochter gerade gestorben war. Die Frau des Fußballspielers ließ ihn herein, aber das Filmteam musste draußen bleiben. »Leise«, sagte sie, »mein Mann darf dich nicht hören.« Bruder Lustig ließ sich in die Küche führen und verlangte die größten Töpfe, die es gab, füllte sie mit Wasser und stellte sie auf den Herd. Dann trug er die Tochter in die Küche, legte sie auf den Küchentisch und schloss sich mit ihr ein. Er schnitt und sägte, in einen Topf warf er die Arme, in einen ein Bein und in einen den Kopf. Seine Hände zitterten dabei, und er erinnerte sich an Dinge, die er früher einmal getan hatte. Aber am Ende waren doch alle Knochen blank, und er konnte sie aus den Töpfen nehmen und auf dem Fußboden neu sortieren und das Wasser des Lebens darübersprengen.
»Na los, Mädel, steh auf.« Nichts geschah. Bruder Lustig schüttelte die letzten Tropfen aus der PET-Flasche. »Steh auf«, sage ich. »Hörst du nicht! Steh auf, du Schlampe!« Schweißtropfen traten auf seine Stirn. Und überall der fürchterliche Geruch von gekochtem Fleisch. Da klopfte es an der Tür. »Ich bin noch nicht fertig.« »Lass mich ein«, sagte die Stimme des Herrn. Bruder Lustig öffnete die Tür einen Spalt, und der Herr Jesus kam herein. »Was versuchst du da, du Unverstand? Hast ja nicht einmal genau hingeschaut.«
Er ging zu dem Gerippe und legte jeden zweiten Knochen woandershin. Und wie es schon hell wurde, war er gerade fertig, sprengte sein Wasser über die Knochen und tat seinen Spruch, und kurz darauf stand die Tochter des berühmten Fußballers wieder ganz und gesund vor ihnen. Aber bevor das Fernsehteam hereingelassen wurde, war der Herrgott bereits durch die Hintertür verschwunden und hatte Bruder Lustig mit sich gezogen. Diesmal aber nahm er für seine Doktorei einen Beutel voll Gold an. Als sie an eine Kreuzung kamen, sagte der Bruder Lustig: »Lass uns teilen, Kamerad.« Der Herr Jesus öffnete den Beutel und teilte das Gold in drei gleich große Haufen.
»Für wen ist der dritte Teil?«, fragte Bruder Lustig, während er sein Drittel einstrich. »Du willst mich wohl über den Tisch ziehen?« »Nun, der dritte Teil ist für den, der die Leber gegessen hat.« »Das war ich«, rief Bruder Lustig und strich schnell das Gold ein, und der Herr seufzte tief.
Mehr starke Männer gibt es bei Thomas Gsellas »Der verfluchte Hinterseer« und in Michael Krügers »Der Mann, der Tiere mehr liebte als die Menschen«.
Fotos: Daniel Sannwald, Model: Sebastian Sauve