Das wäre doch echt toll, wenn man sich bei wirklich wichtigen Lebensentscheidungen – sagen wir, bei der Partnersuche, der Wahl des besten Hobbies oder des richtigen Weines zum Filet Mignon – nicht mehr nur auf den eigenen, fehlbaren Geschmack verlassen müsste. Denn bekanntlich gehen diese Entscheidungen oft genug spektakulär schief. Vielversprechende Beziehungen enden in bitteren Tränen, beim Fußball verletzt man sich das Kreuzband, und der 50-Euro-Wein mit dem kunstvollen Etikett erweist sich als teurer Essig – hätte man diese Katastrophen nicht vielleicht vorhersehen können?
Doch, hätte man! Zumindest in Amerika gibt es dazu professionelle Schützenhilfe. Dutzende von Firmen bieten inzwischen eine ganze Batterie von Gentests an, die in fast allen Lebenslagen mit einem Blick in das genetische Potenzial helfen wollen. Das 100-Millionen-Dollar Startup Helix im Silicon Valley ist bereit, so lese ich erleichtert, mir bei diesen schwierigen Alltagsentscheidungen unter die Arme zu greifen. Helix beschreibt sich als »Marktplatz für DNA-gepowerte Produkte, die dir und deiner Familie helfen, ein gesünderes, glücklicheres und stärkeres Leben zu führen.« Gesünder? Glücklicher? Stärker? Toll!
Für 80 Dollar können Amerikaner bei Helix eine Speichelprobe einsenden, Helix analysiert einen kleinen Teil des Genoms, und der Kunde kann dann anschließend, ähnlich wie beim App Store, die Gentests auswählen, die ihn interessieren (jeweils gegen eine extra Gebühr natürlich).
Auch in Deutschland werden Gentests eingesetzt, um zum Beispiel mit Speichelproben einen Mörder zu identifizieren, das Risiko für Brustkrebs oder die Wirksamkeit spezieller Medikamente zu bestimmen, aber in Amerika bieten Online-Plattformen DNA-Tests für den Hausgebrauch an. Seit diesem Frühjahr sind die Tests der bekanntesten Firma, 23andme, dafür zugelassen, ganz ohne Arztbesuch oder medizinische Beratung (wie sie in Deutschland zwingend vorgeschrieben ist). Damit können die modernen Wahrsager ein erhöhtes Risiko für Dutzende Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson erkunden. Auch mehrere amerikanische Krankenversicherungen bieten die Gentests für vererbbare Krankheiten an. Das kann im Einzelfall schon sinnvoll sein. Es gibt tatsächlich Menschen, die mit Hilfe von Gentests ihrer Krankenkasse genetische Marker entdecken, die auf bestimmte Krankheiten, zum Beispiel Stoffwechselerkrankungen, schließen lassen. Andererseits üben inzwischen amerikanische Firmen Druck auf ihre Mitarbeiter aus, sich für »Wellness Programme« Gentests zu unterziehen – das könnte der Startschuss für eine neue Form der Diskriminierung sein. Obwohl völlig klar ist, dass die Gentests nur ein Potenzial erkennen und nicht das Ausbrechen einer Krankheit vorhersagen können – wird die Firma dann den Kandidaten mit dem erhöhten Parkinson-Faktor zum CEO ernennen oder doch lieber die Nachwuchschefin mit weniger Risiko-Faktoren? Und was mache ich überhaupt mit dem Wissen, eine Risiko-Kandidatin für Alzheimer zu sein?
Aber die neuen Startups gehen noch drei Schritte weiter. Firmen wie CarrierCheck wenden sich vor allem an Paare, die wissen wollen, ob sie womöglich krankhafte Gene an ihren Nachwuchs weitergeben. Andere vermarkten auf das genetische Profil abgestimmte Nahrungsergänzungsmittel oder empfehlen genetischen Beistand zur Ausarbeitung des persönlichen Trainingsplans. Eine Agentur namens Soccer Genomics zum Beispiel testet für 299 Dollar, ob der eigene Sohn oder die Tochter womöglich das Zeug zum Fußball-Star hat. Ihr schöner Slogan: »Erforsche deine genetische Blaupause!«
Die Gene sind die neue Goldgrube und in ihrem Goldrausch kapern die Marktschreier fundierte wissenschaftliche Methoden für ihre Geschäftemacherei. Manche Sportler haben tatsächlich genetisch bedingt erhöhte Hämoglobinwerte, die sie für Leistungssport prädestinieren. Aber lässt sich aus Klein-Hannahs Speichel deshalb gleich eine Weltkarriere als Stürmerin vorhersagen?
Und das ist nur der Anfang: Das Projekt »Vinome« (Vino + Genome = Vinome) testet 10 Genmarker, damit wir künftig die richtigen Weine zu unserer DNA genießen und »das Leben entkorkt« genießen können. Schon klar, Gene beeinflussen unser Geschmacksempfinden. Doch findet die Agentur wirklich anhand meiner DNA heraus, dass mich meine T und G Allelen nach Merlot dürsten lassen – oder beruht die Empfehlung vielleicht doch eher auf dem ausführlichen Fragebogen, der mich nach meinen kulinarischen Vorlieben für Camembert und Brie ausfragt
Erfolgsversprechender sind da wohl die Agenturen, die genetischen Beistand bei der Partnersuche leisten. »Schatz, deine Neurotransmitter feuern heute wieder so sexy« ist der neue Liebesschwur. Die Testimonials auf Seiten wie »GenePartner« sind herzzerreißend rührend. Gary & Suzanne beteuern, sie hätten schon geahnt, die Liebe fürs Leben gefunden zu haben, aber es sei doch schön, nun offiziell bestätigt zu sehen, dass die Chemie auch in den Zellen stimmt. Das ist wirklich ein Schnäppchen: Schon für 249 Dollar lässt sich herausfinden, ob man seine DNA auf Dauer verschmelzen sollte. »Liebe ist kein Zufall«, versprechen die Anbieter der genetischen Matchmaking-Agenturen. Menschen mit Doktortiteln wie Dr. Wendy Walsh, Berufsbezeichnung »Amerikas Beziehungsexpertin«, versprechen »alles, was du über dein Liebesleben wissen musst! Stell dir vor, du findest heraus, dass deine Beziehungsprobleme in deinen Genen liegen! UND du kannst sie lösen.« Ganz so, als lasse sich irgendwo ein Genschalter umlegen. All diese gewinnträchtigen Geschäfte mit der Unsicherheit haben einen wahren Kern – natürlich tragen unsere genetischen Anlagen dazu bei, welche Partner wir uns suchen oder in welchem Sport wir spitze sind, mehr aber auch nicht.
Die amerikanischen Gesundheitsbehörden sagen dazu: »Think before you spit.« Frei übersetzt: Schalte dein Gehirn ein, bevor du deinen Speichel an eine Firma schickst, die damit Geschäfte macht.
In einem Bereich sind die Gentests aber tatsächlich ungewöhnlich effektiv: bei Rassisten. Tausende von Menschen finden mit genetischen Proben heraus, welche Vorfahren sie haben und stoßen manchmal dabei online sogar auf lange verloren geglaubte Familienmitglieder. Achtung, das kann ungeahnte Nebeneffekte haben: Nazis buchen die Tests nämlich gerne, um ihre arische Reinheit »wissenschaftlich« zu belegen, denn Organisationen wie die »Stormfront« wollen keine Juden oder Schwarze in ihren Reihen. Es ist dann extrem peinlich, wenn ein rechtsradikaler Anführer wie Craig Cobb erst den »Rassenkrieg« ausruft und Jahre später entdeckt, dass er zu 14 Prozent afrikanischer Abstammung ist.
Grob gesagt, unterteilen sich die Angebote in die Kategorien a) seriös & sinnvoll (Krebsvorsorge, Mörder, Früherkennung genetisch bedingter Krankheiten) b) fragwürdig (Datenschutz, Hobbysport) und c) totaler Quatsch (Liebe & Wein). Bei letzterem verlasse ich mich nach wie vor auf mein bewährtes Frühwarnsystem: meine Nase. Und lese wie gehabt im Kaffeesatz.
Foto: Ruaridh Connellan/Barcroft Media via Getty Images