Wenn man nur die Zahlen betrachtet, dann ist Ian Johnstone noch verdächtiger als der Todesschütze von Las Vegas: Johnstone, 35, hortet Waffen. Allein in diesem Jahr hat er schon 772 Pistolen und Gewehre gekauft, darunter mehrere halbautomatische und sogar eine Uzi und einen Panzerzerstörer. Für eine normale Pistole zahlt er 100 Dollar, für halbautomatische und automatische Waffen 200 oder mehr. Woher die Waffen kommen, ob sie legal oder illegal erworben wurden, ist ihm egal. Johnstone stellt keine Fragen.
Was hat dieser junge, smarte Typ mit Waffen am Hut? Im Hauptberuf ist Ian Johnstone Tech-Consultant und Startup-Unternehmer in San Francisco. Aber zusammen mit seinem Kollegen Eric King, 35, hat er vor vier Jahren die Initiative Gun X Gun gestartet, sprich: Gun by Gun. Damit haben sie insgesamt schon über 100.000 Dollar eingesammelt, alles nur mit einem Zahl: Waffen zu kaufen. Und dann zu vernichten.
In Amerika gibt es mehr Schusswaffen als Menschen: etwa 357 Millionen. Wohin das führen kann, weiß Ian Johnstone aus eigener Erfahrung: 1992, als er zehn Jahre alt war, wurde sein Vater in einer Bank in San Francisco erschossen. »Er wollte auf einer Geschäftsreise Geld abheben und wurde ein Zufallsopfer eines siebzehnjährigen Bankräubers, der den Revolver zwei Wochen vorher gestohlen hatte. Er war zur falschen Zeit am falschen Ort.«
Ian Johnstones Mutter Katina gründete darauf die Aktivistengruppe New Yorkers Against Gun Violence und organisierte 1994 den ersten Schweigemarsch gegen Waffen in Washington. Für jeden Amerikaner, der im Vorjahr durch eine Schusswaffe ums Leben gekommen war, stellten die Demonstranten ein Paar Schuhe vor das Capitol - insgesamt fast 40.000. Auch die Schuhe von Ian Johnstones Vater waren dabei. Vor dem Marsch stapelten sich Tausende Schuhpaare im Keller von Johstones Familie. Er fragte sich: »Wie können wir all diese Trauer und diesen Schmerz in etwas Sinnvolles verwandeln, dass andere Familien vor einem ähnlichen Schicksal bewahrt?«
Johnstone sah aus nächster Nähe, wie schwierig und frustrierend es ist, in den USA für striktere Waffengesetze zu kämpfen; seine Mutter bewarb sich sogar erfolglos um einen Sitz im US-Kongress. »Die überwältigende Mehrheit der Amerikaner ist für Background-Checks, für die Registrierung von Waffenkäufen, für das Verbot des Verkaufs von Kriegswaffen an Privatleute«, meint Johnstone, »aber die Versuche, die Gesetze zu ändern, führen nirgendwo hin, weil die Waffenlobby alles mit ihren Millionenzahlungen kontrolliert. Es ist ein Problem, das es nur in Amerika gibt und einfach frustrierend.« Außerdem erkennt er ein Dilemma, das selbst bei neuen Waffengesetzen bestehen bleibt: »Entwürfe für neue Waffengesetze beziehen sich fast immer auf zukünftige Waffenkäufe. Aber was machen wir mit all den Waffen, die schon in privaten Händen sind?«
Er fühlte sich zwar machtlos, daran etwas zu ändern, wollte aber nicht aufgeben. »85 Menschen in Amerika verlieren jeden Tag ihr Leben durch Waffen. Wie würde ich das als Start-up-Unternehmer angehen?« fragte er sich. Zusammen mit seinem Tech-Kollegen ersann er eine praktikable, lokale Lösung: eine Crowdfunding-Kampagne, um Waffen zurück zu kaufen, zuerst in San Francisco, dann in Los Angeles und inzwischen auch in fünf anderen Städten. In Los Angeles unterstützen ihn dabei sogar eine Kirche im besonders von Waffen geplagten Stadtteil Compton, Bürgermeister Eric Garcetti mit Geld aus dem Stadtfonds – und die Polizei, die die Waffen schließlich vernichtet. Aber die meisten Spenden bekommt seine Organisation von Menschen, die ihren kleinen Teil dazu beitragen wollen, Amerika waffenfrei zu machen.
»Sie glauben nicht, wie viele Menschen nicht wissen, wo sie ihre Waffen entsorgen sollen - Waffen, die sie geerbt haben, die jemand im Haus zurück gelassen hat. Vielleicht wurde die Waffe einmal illegal erworben, vielleicht sind plötzlich kleine Kinder im Haus oder jemand mit psychischen Problemen, und es fühlt sich nicht mehr sicher an, eine funktionierende Waffe zu Hause zu haben.« Das seien die häufigsten Geschichten, die ihm Menschen erzählen, die ihm ihre Waffen geben. In manchen Städten und Gemeinden können Menschen ihre Waffen straffrei bei der Polizei abgeben, aber in vielen nicht, die Gesetze sind von Bundesstaat zu Bundesstaat und sogar von Kommune zu Kommune verwirrend unterschiedlich.
»Mein Ziel ist, Haushalte waffenfrei zu machen«, erklärt Johnstone. »Ich freue mich mehr darüber, wenn ein Mensch die einzige Waffe abgibt, die er besitzt, als wenn ein Waffensammler eine von seinen 17 Maschinengewehren abgibt.« Er kennt die Statistiken genau: Sobald eine Waffe im Haus ist, steigt die Suizidrate enorm, weil ein Selbstmordversuch mit Waffe in der Regel tödlicher verläuft. Auch häusliche Auseinandersetzungen sind dann fünf bis sieben Mal tödlicher.
Natürlich kennt er auch die Gegenargumente: Kritiker werfen ihm vor, Waffenbesitzer würde bei ihm nur ihre alten Knarren abladen und sich dann vom Erlös bessere, neue kaufen. Dem hält Johnstone entgegen, dass das empirisch kaum noch vorkomme. Sie hätten aus alten Fehlern gelernt und die Kampagnen entsprechend umstrukturiert. Auch die Partnerschaften mit der örtlichen Polizei, Kirchen und anderen Organisationen seien dabei entscheidend. Untersuchungen unter anderem der University of California Davis über die Effektivität der Waffenkauf-Aktionen geben ihm Recht.
»Ich weiß, dass das keine perfekte Lösung ist, es ersetzt keine vernünftigen Waffengesetze«, gibt Johnstone zu. »Aber wir müssen handeln.« Er vergleicht seine Aktionen mit einer Putz-Aktion am Strand: »Ändert das den Klimawandel? Wahrscheinlich nicht. Aber jedes Stück Plastik, das aufgesammelt wird, landet nicht im Meer. Es macht auf lokaler Ebene einen Unterschied. Genau so ist es mit den Waffen.«
Comedian Michael Che von der amerikanischen Kultsendung Saturday Night Live hatte diese Woche eine geniale Idee, wie man Waffenrückkäufe noch attraktiver machen kann: »Was, wenn man für jede zurück gegebene Waffe einen Gutschein für einen halben Zentimeter Penisverlängerung bekommt? Bei zehn Waffen macht das fünf Zentimeter, und das Waffenproblem Amerikas ist gelöst.«
Foto: LAPD