14. Stock, der kleine Konferenzraum. In irgendeinem Unternehmen in irgendeiner deutschen Stadt. Kaffee und Plätzchen sind gedeckt, an der Wand hängt ein Schlachtengemälde von Waterloo.
Der Mann, der eingeladen hat, auch er hat einmal großen Mut bewiesen, Standfestigkeit. Das begründete seinen Ruf. Seit 40 Jahren ist er jetzt im Geschäft, befolgte die ehernen Regeln auf den Vorstandsetagen so lange, bis er sie selbst bestimmen konnte. Nun hat er einen Fehler gemacht, einen Moment nicht aufgepasst, fast wären ihm die Fäden aus der Hand geglitten. Und deshalb sitzt man nun hier: damit der Mann einem einmal seine Sicht der Ereignisse schildern kann. »Natürlich nur für Ihren Hintergrund«, wie er sagt. Der Mann zählt zu der Handvoll wirklich mächtiger Männer in der deutschen Wirtschaft. Weil sie darüber entscheiden, wer etwas wird auf den Vorstandsetagen. Und wer nicht. Wessen Stern vielleicht einmal kurz und grell aufscheint, dann aber verglüht. Wie der von Klaus Kleinfeld.
Zweieinhalb Jahre leitete der Deutschlands zweitgrößten Industriekonzern, Siemens, dann fiel er in Ungnade. Wer nun denkt, Kleinfeld habe wegen der Korruptionsaffäre in seinem Unternehmen gehen müssen, der verwechselt Ursache und Anlass. Der kennt nicht das ungeschriebene Gesetz auf Deutschlands Vorstandsetagen, das der Mann so formuliert: »Demut bewahren, nie selbstherrlich werden.« Denn die Macht eines Vorstandschefs sei nur geliehen. Von den Aktionären, den Besitzern. »Kleinfeld hatte das vielleicht vergessen.« Und stürzte.
Der Mann im kleinen Konferenzraum hatte geglaubt, er selbst sei gegen solche Konsequenzen gefeit, er habe alle Lektionen gelernt. Doch seitdem er zwar nicht gestürzt, aber fast gestolpert wäre, lautet seine wichtigste Regel so: »Immer vorbereitet sein. Wenn man nicht aufpasst, ist das hier oben wie bei den Wölfen.«
In dieser Geschichte geht es um »die da oben«, um die Männer in den Nadelstreifenanzügen, die die Geschicke unseres Landes lenken. Die einem Angst machen, wenn sie wieder einmal ein paar tausend Menschen entlassen, weil es wieder einmal »keine Alternative gibt«. Und gleichzeitig das eigene Gehalt, ohne zu zögern, um eine weitere Million erhöhen. Die sich mit einem Victory-Zeichen nicht nur über das Recht, sondern auch über die Moral hinwegzusetzen scheinen. Aber niemals über die Rendite.
Verließe man sich auf das Bild, das in der Öffentlichkeit von ihnen gezeichnet wird, wäre diese Geschichte schnell erzählt: Raffgierig seien sie, korrupt, im eigentlichen Sinne asozial, aber eben auch sehr mächtig. »Hochqualifizierte Experten. Jeder ein geschlossenes System. Ein fleischgewordener Chip. Nicht ein Augenzwinkern verrät, dass sie gern leben«, schreibt der Autor Wolf Wondratschek in seiner Kleinen Rede an die Herren in den Flugzeugen.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Nur noch fünf Prozent, das hat eine Umfrage unter 1200 Führungskräften ergeben, glauben, dass man ihnen traue.)
Wenn einmal etwas abseits von Kennziffern und Börsengängen aus den Vorstandsetagen bekannt wird, schildert es vor allem das Versagen der Klasse: Die Telekom lässt ihre Aufsichtsräte bespitzeln, bei Siemens gehörte die Bestechung praktisch zum Arbeitsalltag, die Banken handeln mit faulen Krediten. Es scheinen rohe, fast archaische Zustände zu herrschen. Da sagt der Deutschland-Chef der Investmentbank Goldman Sachs, Alexander Dibelius: »Geld kann man nie genug haben.« Da formuliert Josef Ackermann auf dem Höhepunkt der Bankenkrise: »Wenn andere schwach sind, müssen wir stark sein.«
Befragt nach den enormen Gehältern der Manager, gab der Chef der Deutschen Bank dann noch eine Antwort, die das Verhältnis vom Volk und seinen Vorgesetzten sehr schön beschreibt: »Das ist natürlich aus der Logik einer Welt gesprochen, die nicht öffentlich darstellbar ist. Das ist mir auch klar.«
So ist der Vertrauensverlust absolut. Die Bürger haben den Glauben in ihre Wirtschaftselite längst verloren. Die wiederum reagiert verschreckt. Nur noch fünf Prozent, das hat eine Umfrage unter 1200 Führungskräften ergeben, glauben, dass man ihnen traue. Dabei – und das sagt immerhin der Chefredakteur der Financial Times Deutschland, Steffen Klusmann – wissen wir so gut wie gar nichts über das Leben auf der Vorstandsetage: »Von dem, was hinter den Kulissen vorgeht, erfahren wir vermutlich gerade einmal fünf Prozent.«
Norbert Essing ist PR-Berater. Fragt man ihn, was genau dies bedeute, sagt er, er sorge für Verständigung in der komplizierten Welt der Wirtschaft. Es gibt auch Menschen, die von ihm sagen, dass er die Öffentlichkeit manchmal in die Irre führe. Jedenfalls hat ein Kunde, der Norbert Essing engagiert, meist ein Problem. Ein ziemlich großes Problem. Vielleicht steht er kurz davor, seinen Job zu verlieren. Oder es droht eine feindliche Übernahme durch einen Hedge Fonds, eine Heuschrecke. Der Kunde braucht dann jemanden, der die Dinge wieder gerade rückt, den Lauf der Ereignisse verändert.
Norbert Essing ist jetzt 47, er sagt, seine Arbeit sei härter geworden und dass man in der Wirtschaftswelt in Deutschland immer klarer Weiß von Schwarz trennen müsse: Da gebe es die anständigen Unternehmer, die langfristig denken und Werte schaffen. Und da gebe es die unanständigen Unternehmer. Die kommen von den Unternehmensberatungen und denken nur an ihre nächste Bonuszahlung. Daran, wie sie ein Unternehmen zerschlagen und zu Geld machen können.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Sonntag gemeinsam mit den Frauen fröhlich zum Brunch treffen – »und am Mittwoch liefert der eine den anderen ans Messer«.)
Essing hat erlebt, wie immer mehr Schwarz in die heile Welt der deutschen Wirtschaft drang: Vor zwanzig Jahren noch herrschten dort die Deutsche Bank und die Allianz mit ihren Aufsichtsratssitzen und Beteiligungen. Geriet eine Firma in die Schieflage, sorgten sie dafür, dass es ihr wieder gut ging. Und die Firmen sorgten dafür, dass es ihren Spitzenleuten gut ging. »Die Gier, die Sie heute teilweise erleben – die gab es damals nicht«, sagt
Essing. Das Ganze hieß Deutschland AG, man war unter sich.
Dann fiel die Mauer, und ausländische Investoren begannen sich für die deutschen Unternehmen zu interessieren. »Seit fünf, sechs Jahren hat sich der Comment in vielen Unternehmen erledigt«, erklärt Essing. »Es geht heute härter, rücksichtsloser und in der Folge auch intriganter zu.« Da könne es zum Beispiel passieren, dass sich zwei Vorstände an einem Sonntag gemeinsam mit ihren Frauen fröhlich zum Brunch treffen – »und am Mittwoch liefert der eine den anderen ans Messer«.
Vor gut drei Jahren begann in Frankfurt am Main ein Schauspiel, das die Zeitenwende auf Deutschlands Vorstandsetagen markiert. Die Protagonisten sind ein ehrgeiziger Vorstandsvorsitzender, sein Aufsichtsrat, ein amerikanischer Investor, der einen Hedge Fonds mit dem beschönigenden Namen »The Children’s Investment Fund« betreibt, und zwei Unternehmen mit Weltruf: die Deutsche Börse sowie die London Stock Exchange.
In jahrelanger Arbeit hatte Werner Seifert als Chef der Deutschen Börse den verschlafenen Standort zum wichtigsten Handelsplatz Europas ausgebaut. Doch sein größter Coup sollte ein anderer sein: die Übernahme der London Stock Exchange. Im März 2005 waren der Plan fertig und die Finanzierung gesichert, die Übernahme also so gut wie perfekt. Gemessen an deutschen Maßstäben.
Werner Seifert und sein Aufsichtsrat Rolf Breuer hatten nur eines vergessen – ihre Aktionäre. Denn bisher lief es doch immer so: Passte den Anteilseignern die Strategie ihres Unternehmens nicht, verkauften sie einfach die Beteiligungen. Doch Chris Hohn, der mit seinem Children’s Investment Fund gut acht Prozent der Börse besaß, machte Stimmung gegen die Übernahme. Sein Argument: Es sei besser, das bare Vermögen der Frankfurter Börse, immerhin 700 Millionen Euro, an die Aktionäre auszuschütten. Hohn verbündete sich mit anderen Großaktionären, die Übernahme scheiterte; Seifert musste als Erster gehen, dann auch Breuer, und Deutschlands Wirtschaft war in der Neuzeit angekommen. Zum ersten Mal hatte sich ein ausländischer Aktionär massiv in die Geschäftspolitik eines im DAX gelisteten Konzerns eingemischt.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Der Tagesablauf eines Topmanager liest sich wie ein Trainingsbericht eines Höchstleistungssportlers.)
Jürgen Hambrecht sieht zufrieden aus. Wie ein Raubtier, das gerade gefressen hat. Man ahnt, dass sich jede Faser seines Körpers im nächsten Moment anspannen könnte. Dass er jederzeit bereit ist zum Sprung. Auch er kennt die neueste Regel des Spiels: Immer vorbereitet sein, denn da draußen warten die Wölfe.
Hambrechts Karriere begann vor dreißig Jahren in den Laboren von BASF, 2003 wurde er zum Vorstandsvorsitzenden ernannt. Chef von heute 95 000 Mitarbeitern, der größte Chemiekonzern der Welt. Während sich andere Chemiemanager für ihre Branche fast schämen, verpasste Hambrecht dem Unternehmen einen neuen Slogan: »BASF – The Chemical Company«. Hambrecht gilt als einer der Vorzeigeunternehmer Deutschlands. Weil der Umsatz von BASF unter seiner Führung um einige Milliarden Euro gestiegen ist. Vor allem aber, weil ihm die Menschen mehr glauben als anderen Managern. Auf der Liste der vertrauenswürdigsten Unternehmer Deutschlands steht er an zweiter Stelle, Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann an letzter.
Wenn Hambrecht sich in der Öffentlichkeit zu Wort meldet, und das ist häufig, dann wettert er gegen die Verlogenheit im Umgang mit China. Oder aber er kritisiert die »Vollkaskomentalität« der Deutschen, wenn es um die Proteste gegen genveränderte Pflanzen geht. Man kann seine Aussagen reaktionär nennen, aber sie sind immer eindeutig. Das schafft offenbar Vertrauen. Eigentlich habe er nur eine Aufgabe, erklärt Hambrecht: »meinem Nachfolger ein viel besseres Unternehmen zu übergeben«.
So ein Satz ist leicht gesagt. Doch wenn Hambrecht erläutert, was er damit meint, klingt es wie der Trainingsbericht eines Höchstleistungssportlers: Die Konkurrenz in der Chemiebranche ist brutal, Anbieter aus Indien, China und anderen fernöstlichen Ländern drängen mit günstigeren Produkten auf den Markt. Also muss BASF ständig neue Stoffe entwickeln, Kunststoffe zum Beispiel oder Pflanzenschutzmittel. »Es ist wichtig, immer einen Schritt voraus zu sein«, sagt Hambrecht, »sonst bleibt uns nur das Reagieren.«
Zugleich warten Hedge Fonds nur auf eine falsche Entscheidung Hambrechts, um bei sinkenden Aktienkursen Anteile aufzukaufen. Sie würden dann die lukrativsten Geschäftsbereiche von BASF zu Geld machen. Daher versucht er, den Aktienkurs ständig weiter nach oben zu treiben. Es klingt nach einem Wettkampf, den man eigentlich nur verlieren kann. »Wir müssen so gut sein, dass es keinen Besseren gibt«, sagt Hambrecht.
Er ist jetzt 61, sein Tag beginnt um sieben Uhr, und wenn es gut geht, ist Hambrecht nach zwölf Stunden wieder zu Hause. Am Anfang eines Jahres weiß er schon, welche Termine im Dezember anstehen; er ist jeden zweiten Tag auf Reisen, dazwischen Vorstands-, Aufsichtsratssitzungen, die Quartalsberichte. Kaum ein Wochenende, das frei ist.
Ob er manchmal Angst hat, einen Fehler zu machen? Einfach nicht mehr mithalten zu können? Einmal seien beim Flug über Hongkong drei von vier Triebwerken ausgefallen. Da habe er Angst gehabt, sagt Hambrecht. »Aber wer in meiner Position Angst hat, der ist an der falschen Stelle.«
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Es gibt nur eine Frau im Vorstand eines DAX-Unternehmens und nicht einen bekennenden Homosexuellen.)
Es ist eine hermetische Welt, die man nach einem solchen Termin wieder verlässt. Eine, die nur ein Innen und ein Außen kennt, in der es keine fließenden Übergänge gibt. Mit einem eigenen Codex und einer eigenen Sprache. In der man keine Angst haben darf und nur Herausforderungen kennt. Es gibt nur eine Frau im Vorstand eines DAX-Unternehmens, Bettina von Oesterreich bei der Hypo Real Estate Group, und nicht einen bekennenden Homosexuellen.
Gehört man zu den wenigen, die für eine der höchsten Positionen gehandelt werden, kommt der Headhunter zum Abendessen. Um festzustellen, ob die Frau auch eine ist, die ihrem Mann den Rücken frei hält. Dafür geht der Abgang dann umso reibungsloser: Ein führender Manager, der auch einmal Politiker war, ist jedenfalls bekannt dafür, sein Führungspersonal mit Zigarre in der Hand und klassischer Musik im Hintergrund zu kündigen. Doch kaum einer wundert sich über so ein Verhalten, die Millionen, die zwischen Aufstieg und Fall verdient werden, gelten auch als Schmerzensgeld.
Was einen dann aber doch erstaunt, ist die Krämerseele des ehemaligen Chefs eines der größten deutschen Unternehmen, der Post. Über Stiftungen in Liechtenstein soll Klaus Zumwinkel Steuern hinterzogen haben – nur um noch ein paar Euro mehr zu besitzen. »Die haben ein kapitalistisches Verhältnis zu allem, auch zum Staat«, meint Oberstaatsanwalt Anton Winkler, der den Prozess gegen Siemens in München begleitet. »Da wird nur das gegeben, was unbedingt nötig ist.«
Auch nach vielen Gesprächen mit den Protagonisten dieser Welt, mit Vorständen, Chefsekretärinnen, Beratern, bleibt jedoch ein blinder Fleck. Denn die Geschichten, die dabei erzählt werden, künden immer von der Härte dieser Welt. Eine Episode wie die von Allianz-Vorstand Paul Achleitner, der Mitte letzten Jahres mit dem neuen Siemens-Chef Peter Löscher mehrere Monate in einer Art Wohngemeinschaft lebte, gilt da als äußerst skurril. So als würde allein die Erwähnung von Freundschaft, einer gewissen Wärme, schon als Schwäche gesehen.
Manchmal müssen die Bewohner ihre oberen Etagen verlassen und die andere Welt durchqueren. Die Wege, die sie dann nutzen, sind perfekt gegen Einflüsse von außen abgedichtet: durch schwere Limousinen, eigene Aufzüge für die Vorstände, First-Class-Lounges. Da verwundert es nicht, dass jede Überschreitung dieser Grenzen die Öffentlichkeit mobilisiert.
Wie der damalige Daimler-Chef Jürgen Schrempp 1995 mit einigen Flaschen Rotwein auf der Spanischen Treppe in Rom den Geburtstag seiner Geliebten feierte, ist eine bis heute gern erzählte Anekdote. Und eigentlich auch die einzige. Denn geht einer unverkrampft mit der Öffentlichkeit um, wie der frühere Vorsitzende des Energiekonzerns EnBW, Utz Claassen, gilt er in den Kreisen der Wirtschaftsgrößen schnell als Außenseiter. »Dieses etwas Mysteriöse, das nicht Greifbare wird auch als Macht gesehen«, hat Claassen beobachtet.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: »Morgens wird noch mit der Familie gefrühstückt, aber sobald sie zu ihrem Fahrer ins Auto steigen, sind sie Chef. Sie müssen immer 100 Prozent performen, sie müssen immer wie Schauspieler agieren, sie sitzen immer vorne.«)
Zweimal im Jahr trifft sich Deutschlands Wirtschaftselite im Palais Biron, einer Gründerzeitvilla am Stadtrand von Baden-Baden. Schwere Läufer bedecken im Innern sorgsam gepflegtes Parkett; leicht abgenutzte Holzpaneelen und eine gut sortierte Bibliothek signalisieren die gediegene Gelassenheit einer über 50-jährigen Tradition. Die Baden-Badener Unternehmergespräche, die hier jeweils für drei Wochen stattfinden, sind ein kleiner Ersatz für die Eliteuniversitäten anderer Länder. Das Reservat einer gefährdeten Spezies in der Heimat von Karl Marx und Oskar Lafontaine.
Rund 30 Teilnehmer im Alter von 40 bis 50 hat jede Gesprächsrunde, eingeladen wird, wer mindestens sieben Jahre Erfahrung in der Leitung eines Unternehmens und eine »erkennbare Eignung für höchste Positionen« vorweisen kann. Nach Baden-Baden zu kommen sei »ein Ritterschlag«, sagt Jürgen Bertsch, Geschäftsführer des Trägervereins. Zumindest bis zum Beweis des Gegenteils. »Ein Drittel bleibt stehen, ein Drittel wird Vorstand, ein Drittel Vorstandsvorsitzender«, lautet die Faustformel.
Der frühere Chef der Allianz, Henning Schulte-Noelle, gehörte zu denen, die weiterkamen. Ebenso wie Bayer-Vorstand Manfred Schneider. Wer eingeladen wird, kommt ohne Chauffeur, ohne Sekretärin, das Handy auf stumm geschaltet. Tagsüber wird diskutiert, über Managergehälter und die Ethik des Unternehmers, man spielt gemeinsam Golf und kocht zusammen. »Hier reden Top-Leute über Dinge, über die sie auf ihrer Höhe mit niemandem mehr sprechen können«, sagt Bertsch. So ist das Baden-Badener Treffen vor allem eines: die Simulation einer Normalität, die auf der Ebene der Vorstände offensichtlich kaum mehr existiert.
»Eine ganz eigene Art von Einsamkeit« hat Klaus-Peter Gushurst auf den Vorstandsetagen erlebt. Als Vizepräsident des deutschen Ablegers der Unternehmensberatung Booz Allen Hamilton arbeitet er seit Jahren mit Vorstandsvorsitzenden zusammen. »Morgens wird noch mit der Familie gefrühstückt, aber sobald sie zu ihrem Fahrer ins Auto steigen, sind sie Chef. Sie müssen immer 100 Prozent performen, sie müssen immer wie Schauspieler agieren, sie sitzen immer vorne.« Freundschaften zu pflegen oder aufzubauen ist in dieser Position kaum mehr möglich. Innerhalb des Unternehmens sind die Vorstände immer auch Vorgesetzte, außerhalb fehlt die Zeit. Die Beziehungen »entemotionalisieren sich«, funktionieren nur auf einer professionellen Ebene. »Diese Leute dosieren sehr fein, was und wie viel sie sagen, alles ist sehr taktisch ausgelegt«, erklärt Gushurst. »Es gibt wenige Vorstandsvorsitzende, die den Eindruck vermitteln, authentische, in sich ruhende Persönlichkeiten zu sein.«
Der Mann, der das letzte Wort in dieser Geschichte haben soll, betrachtet die Welt der Vorstandsetagen nur noch von außen. Bis vor gar nicht so langer Zeit war er der Chef eines der fünf größten deutschen Unternehmen. Er ist ausgestiegen, »nicht zum optimalen Zeitpunkt«, wie er sagt. Es sah so aus, als sei er gegangen worden und nicht von selbst gegangen. Aber er war es leid, ständig in der Öffentlichkeit zu stehen. Deshalb möchte er seinen Namen auch nicht mehr gedruckt sehen. Anders als Jürgen Hambrecht ist er ein vorsichtiger Mann, einer, der bestimmt schon einmal Angst verspürte.
Kürzlich hat er sie alle wieder mal getroffen. Ein Geburtstag wurde gefeiert im ganz großen Stil, »das habe ich mir angesehen wie ein Panoptikum«. Die Eitelkeit, mit der sich die einstigen Kollegen zelebrierten – dieser Popanz war ihm unangenehm. Es erinnerte ihn an seine Zeiten als Vorstandsvorsitzender, an all die Menschen ohne innere Motivation. »Die müssen ständig von außen gefüttert werden, berauschen sich an Erfolgsmeldungen und Lobeshymnen von Journalisten und Kollegen.« Aber irgendwann verpuffe die Wirkung dieses Aphrodisiakums, auch höhere Dosen helfen nicht mehr. »Dann fehlt plötzlich der Antrieb, und sie werden zu Getriebenen.«
Er hat selbst gemerkt, wie er allmählich aufgerieben wurde. Von den Anteilseignern, den Mitarbeitern und den Medien. Man konnte es ihm auf den Bildern in den Zeitungen und den Einspielfilmen der Nachrichten aus jener Zeit ansehen: Sie zeigten einen angespannten Mann, manchmal sah er fast traurig aus. Seitdem wisse er, dass auch die Spitzenpositionen nur »geliehen« sind: »Mal verlangt die Öffentlichkeit einen Macher, dann wieder einen Nachdenklichen. Das verläuft in Zyklen.« Und weil er zu den Nachdenklichen gehört, wie lautet sein Gesetz für das Leben auf den Vorstandsetagen? »Man selbst kommt und geht aber auch wieder, das Unternehmen bleibt«, erklärt er. »Wer das nicht akzeptieren kann, nimmt sich zu wichtig.«
(Fotos: Van Vincent)