Farid Hindash fliegt nach München, in geheimer Mission. Ein dunkelhäutiger Mann aus Jordanien, Oberarme wie Kokosnüsse, Wohnsitz Abu Dhabi. Seine Sucht ist Bodybuilding. Er flippt aus, sagt er, wenn er nichts bewegen kann. Eigentlich darf er noch nichts erzählen. Er tut es trotzdem. Auf der Gesundheitsmesse »Arab Health« in Dubai hat er im vergangenen Sommer Ärzte aus einem bayerischen Universitätskrankenhaus kennen gelernt. Einfache Rechnung: Deutsche Krankenhäuser haben kein Geld, Abu Dhabi hat Geld wie Öl. Ergebnis: Das bayerische Krankenhaus sollte eine Spezialklinik für Transplantationen in Abu Dhabi eröffnen. Hindash, auf dessen Visitenkarte »Travel and Tourism Manager« steht, holte sich den Segen seines Arbeitgebers, der milliardenschweren »Al Muhairy Group«, die an hunderten ausländischen Unternehmen beteiligt ist. An jeder Operation, an jedem Flug eines Arztes von Deutschland nach Abu Dhabi will er nun mitverdienen. Möglichst nicht mehr Economy, sondern Diamond fliegen – wo es Champagner gibt und ein großer Mann wie er Platz hat. Die Aussichten sind besser als je zuvor in Abu Dhabi, der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate, besser als irgendwo sonst in der Welt. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf lag mit 46 200 Dollar 2005 weltweit an der Spitze, das Pro-Kopf-Einkommen bei etwa 30 000 Euro, was besonders beeindruckend ist, wenn man bedenkt, dass über sechzig Prozent der Einwohner Billigarbeiter aus Indien, Pakistan und Bangladesch sind, die keine 3000 Euro im Jahr verdienen. Die Stadt wälzt sich aus dem Schatten ihrer Nachbarin Dubai: Mit einem Prachthotel, dem »Emirates Palace«, einer Mischung aus Ceaucescus früherer Machtzentrale in Bukarest und dem Petersdom in Rom, 2,5 Milliarden Dollar teuer, machten Regierungschef Scheich Khalifa und seine Brüder 2005 in Abu Dhabi den ersten gewaltigen Paukenschlag. Es folgte Etihad, die nationale Fluglinie, die in wenigen Jahren mit fünfzig Maschinen siebzig Ziele anfliegen will. Unter den sieben Emiraten hat Abu Dhabi das meiste Öl und das meiste Geld – jetzt will die Stadt zu einer der Wirtschaftsmetropolen der Welt werden. In fünf Jahren soll hier alles zu haben sein: von der Ausbildung an der Elite-Universität über Ferien in Ressorts wie auf den Malediven bis zur Nierentransplantation. Bis 2016 wird sich die Einwohnerzahl auf über 2,5 Millionen mehr als verdoppelt haben. »Forget London« steht wie eine Losung auf Plakaten in der Stadt. Von der deutschen Botschaft aus, Abu Dhabi Mall, 14. Stock, nehmen die Zahlen Gestalt an. Friedliche Inseln dämmern im Persischen Golf – Sand, ein paar Hütten, sonst nichts. Aber die meisten sind längst mit Bauvorhaben überzogen. Sie heißen Lulu und Al Reem, Saadiyat, Al Raha Beach und Al Gurm – Einkaufszentren sollen sie demnächst tragen, Urlaubsdomizile, Bürohochhäuser, Villen, eine eng an die nächste gedrückt – Miete: mindestens 120 000 Dirham im Jahr, das sind 2000 Euro monatlich. In der Ferne: »Khalifa City«, die neue Stadt am Rand von Abu Dhabi für 150 000 Menschen, geplant von dem Berliner Architekturbüro Neumann Gusenberger. Das neue Industriegebiet »Mussafah«, ein paar hundert Meter weiter. Zehn Quadratkilometer Fläche. Noch ist wenig zu sehen – aber sechzig Prozent sind verkauft oder verpachtet. Die Stadt rechnet mit Investitionen in dreistelliger Milliardenhöhe. Die ganze Welt soll kommen, das günstige Öl nutzen, Geld verdienen, keine Steuern zahlen und im Gegenzug Abu Dhabi zu einer Macht verhelfen, an der im globalen Spiel kein Weg mehr vorbeiführt. Wer sich ansiedelt – das wird wie eine Geheimsache gehandelt. Das chinesische IT-Unternehmen Huawai? Der Schwerlastwagen-Produzent Ashok Leyland aus Indien? Die deutsche Hochtief? Und erhält die Deutsche Bahn tatsächlich den Auftrag, eine Güterbahnstrecke zwischen Mussafah, Dubai und Fujairah zu betreiben – und daran zwischen 80 und 100 Millionen Euro im Jahr zu verdienen? Die Angst, sich frühzeitig zu outen und damit das Geschäft zu verderben, ist allgegenwärtig, der Konkurrenzkampf hart. Jeder Unternehmer kennt entsprechende Geschichten. Die zum Beispiel: In Dubai wird eine Metro gebaut – Kosten: 3, 5 Milliarden Euro. Nicht die deutschen Bewerber Siemens und Bilfinger bekamen den Auftrag, sondern Mitsubishi. Vielleicht, so erzählt man sich in Abu Dhabi, weil sich zu schnell zu viel herumgesprochen hatte.
»Die Chancen sind der Wahnsinn«, sagt Michael Sommer – einer der wenigen, die offen über ihre Pläne sprechen. Sommer, 32, kam im Mai mit Freundin aus Thüringen hierher. Zuvor war er stellvertretender Geschäftsführer bei Schachtbau Nordhausen, jetzt nennt er sich Niederlassungsleiter. In Abu Dhabi bekommt Sommer sein Gehalt steuerfrei und kriegt zehn Prozent oben drauf, weil er sechs statt bisher fünf Tage arbeitet. Er sitzt da, wo viele Deutschen in Abu Dhabi gern gegen Feierabend sind: im künstlich gekühlten »Rotana Beach Hotel«, in dem die Herren auch bei 40 Grad Außentemperatur Anzüge tragen, die Damen Blazer und hochhackige Pumps. Sommer trinkt zügig seinen Orangensaft und wirkt ein wenig gestresst. »Na klar, die Freunde in Deutschland denken: Jetzt hat er gewonnen, jetzt macht der das große Geld.« Die meisten hätten keine Ahnung, wie viel man arbeiten muss, um hier Erfolg zu haben. Die Schwierigkeit: Kontakte zu knüpfen und zu erreichen, dass man überhaupt zu Wettbewerben zugelassen wird. Sommer hat seinen Palm dabei, auf Knopfdruck erhebt sich die Zukunft von Saadiyat Island auf dem Schirm. Blinkende Wolkenkratzer, eine futuristisch anmutende Brücke. Zweimal fünfspurig, 1,5 Kilometer lang, »70 Millionen Dollar«, flüstert Sommer ehrfürchtig. Gern hätte er hier seinen ersten Auftrag. Aber noch hat er nicht mal alle Papiere zusammen. Kein Geschäft komme in Abu Dhabi nur dadurch zustande, dass man Visitenkarten mit Goldschnörkel auf den Tisch legt und so tut, als würde man sich für Rennpferde interessieren. So was wird zwar goutiert – ausschlaggebend ist es längst nicht mehr. Riaz Malik, geboren in Pakistan, bestätigt das. Er leitet seit zehn Jahren die Projekte der deutschen Tiefbaufirma Bauer in den Emiraten – der Mutterfirma von Schachtbau Nordhausen. Bauer hat das Fundament für den »Emirates Palace« in den Sand gegossen; jetzt schafft die Firma die Voraussetzungen für den höchsten Turm in Abu Dhabi, den Landmark Tower in Eins-a-Aussichtslage von Scheich Khalifa, dem Regierungschef. Das Unternehmen rechnet damit, auch die nächsten zehn Jahren bestens mit Aufträgen versorgt zu sein. Malik ist sicher: Heute zählen Preis, Qualität – und, extrem wichtig: Präsenz. Immer wieder beobachtet er verwundert, dass deutsche Delegationen für ein, zwei Tage anreisen, mit Hilfe zum Beispiel von Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder fantastische Verbindungen herstellen und denken, der Rest lasse sich aus Deutschland per Fax oder E-Mail erledigen. »Kein Geschäftsmann aus Abu Dhabi beantwortet ein Fax, kaum einer eine E-Mail!«, sagt Malik. Schon die Suche nach einem Geschäftspartner kostete Michael Sommer Monate. Er sah sich vor der Wahl: Entweder nimmt er einen ahnungslosen Einheimischen, der sein Geld für gar nichts bekommt. Oder einen, der prächtig mitverdienen will, dafür aber auch mitarbeitet. Er entschied sich für die zweite Variante. Hörte sich um. Fand schließlich einen Mann aus Abu Dhabi, der hauptberuflich an Dutzenden ausländischen Firmen beteiligt ist und sich seiner guten Kontakte zur Regierung rühmte. Ob das etwas nützt? Michael Sommer glaubt fest daran. Scheich Zayed, Gründer der Vereinigten Emirate, hatte immer das Wohl seiner Landsleute im Blick: Ausländische Unternehmen sollten gern kommen, Arbeitsplätze schaffen, Wissen transferieren, den Wohlstand mehren. Aber immer sollten die Einheimischen ihre Finger im Spiel haben. Jede ausländische Firma braucht deshalb einen lokalen Partner, der 51 Prozent der Anteile hält. Nur in den Freizonen ist das anders. Beliebt sind die Allianzen bei den Ausländern kaum. »Es ist wie in einer Ehe: Der Anfang ist leicht – rauszukommen kann verdammt teuer werden«, sagt zum Beispiel Frank Müller, der in Abu Dhabi seit Anfang der Neunziger Pipelines repariert. Es gibt viele abschreckende Beispiele: Eine deutsche Firma für Industriereinigung ließ sich in Abu Dhabi nieder, investierte Millionen in Geräte. Der lokale Partner tat nichts – die Niederlassung war ein Flop, aber der Partner bestand weiterhin auf seinen Einkünften. Es dauerte Jahre, bis die Sache gerichtlich geklärt war. Auch die Dependance der Deutschen Industrie- und Handelskammer in Abu Dhabi rät, sich nicht auf den erstbesten Einheimischen zu verlassen. Wenn ein ausländischer Geschäftsmann in krumme Geschäfte verwickelt werde, könne das übel enden. Hans Peter Schneider-Döll aus Frankfurt berichtet in seinem Buch Traumland Alptraum, wie er in Abu Dhabi einen lukrativen Job als Büroleiter antritt und dann neun Monate unter schauerlichen Bedingungen im Gefängnis festsitzt – lange ohne Anhaltspunkt, warum.
Mohammed, 29, lebt außerhalb von Abu Dhabi, in einem Wüstenstädtchen. Er strahlt unter seinem weißen Tuch hervor. Oh ja, er weiß, dass er ein privilegiertes Leben führt. Da muss er sich nur seine Dienstboten aus Bangladesch anschauen, die zwölf Stunden und mehr arbeiten, pro Monat umgerechnet 200 bis 300 Euro verdienen und davon noch die Hälfte an ihre Familien nach Hause schicken, die sie höchstens einmal im Jahr sehen. »Scheich Zayed sei Dank«, sagt Mohammed, den Blick himmelwärts gerichtet. Wie die meisten der Einheimischen hat er einen Job in der Stadtverwaltung – was er genau macht, will er nicht sagen, um keinen Ärger zu bekommen –, selten arbeitet er mehr als drei Tage die Woche. Dafür verdient er 1200 Dollar. Seine Frau erwartet das zweite Kind – jetzt will er sich – Darlehen zinsfrei – eine eigene Villa bauen. Scheich Zayed hat seinen Bürgern Land zur Verfügung gestellt, Energie und Wasser sind kostenlos – Mohammed ist stolz auf Abu Dhabi, die glitzernde Skyline, das »Emirates Palace« mit seinen 1500 Angestellten, den Luxussuiten und 28 500 Lampen, auf Gäste wie Bill Clinton, den König von Jordanien und Will Smith. Aber er zieht die Ruhe auf dem Land dem Trubel in der Stadt vor. Mit seinem Landrover und Freunden veranstaltet er gern kleine Abenteuerralleys im Sand, abends sitzen die Männer in ihren weißen Kleidern auf Mohammeds Wochenendfarm unter dem Sternenhimmel, sehen den Kamelen zu, trinken ein paar Büchsen Bier, was sie ihren streng muslimisch gehaltenen Frauen nicht verraten. »Die Stille hier ist wunderbar«, findet Mohammed und, etwas pathetisch: »Das ist die Stille unserer Vorfahren.« Vor einigen Jahren hat Mohammed den deutschen Autohändler Volker Risse aus Bonn kennen gelernt, der in den Emiraten Urlaub machte. Inzwischen sind die beiden Geschäftspartner geworden. Erst wollte Risse in Abu Dhabi Autos verkaufen. Als das nicht lief, kaufte er billige Autos in den Emiraten und verkaufte sie mit gutem Gewinn in Deutschland. Seinen Sohn will Mohammed später nach England zum Studieren schicken, damit er bei den großen Geschäften mitmischen kann. Er selbst war mehrere Monate in England und in Deutschland. Nebenbei hat er ein bisschen Englisch und Deutsch gelernt – vor allem aber seinen fußkranken Bruder und später seine Frau begleitet, der in einer Münchner Klinik zur zweiten Schwangerschaft verholfen wurde. Wer in Abu Dhabi keinen geeigneten Arzt findet, darf sich im Ausland behandeln lassen. Behandlung, Flug, Unterkunft, Essen frei. Manchmal reist die ganze Familie mit. Nicht nur, dass man von den Arztkosten samt Spesen bald das nächste »Emirates Palace« bauen könnte – die Herrscher über Abu Dhabi, Scheich Khalifa, seine 18 Brüder und unbekannt viele Schwestern samt Familien empfanden es als immer unerträglicher, dass die Welt nicht nach Abu Dhabi kommt, um sich hier kurieren zu lassen, sondern die Emiratis mit jedem Problem ins Ausland fahren. Damit soll bald Schluss sein. Einen Coup, der das Image der medizinischen Versorgung puscht, will Abu Dhabis Planungsgesellschaft »Mubadala«, die eng mit der Regierung verflochten ist, mit einem »Diabetes-Center« landen, das Ende des Jahres fertig sein soll – drei Stockwerke, 6000 Quadratmeter Fläche, das Gebäude sieht aus wie ein Insulinmolekül für Riesen. In keinem Land der Erde, die kleine Pazifikinsel Nauru ausgenommen, leiden so viele Menschen an Diabetes. Farid Hindash, der Tourism Manager und Bodybuilder auf dem Weg nach München, der gerade den Transplantations-Deal mit einem bayerischen Krankenhaus einfädelt, dessen Namen er auf keinen Fall nennen will, bevor alles unter Dach und Fach ist, reibt sich die Hände. Eine Stadt, die den teuersten Palast der Welt besitzt, die, so heißt es, mindestens hundert weitere Jahre 2,4 Millionen Barrel Öl pro Tag fördern kann und bald weltweit die Nummer eins in Sachen Dia-betes-Bekämpfung sein wird, wird kein Problem haben, sich auch mit Transplantationen international einen Top-Namen zu machen. Noch nie war Hindash so sicher: Wenn es sich lohnt, ein paar Tage auf Bodybuilding zu verzichten, dann jetzt.