Unablässig ist der Mensch damit beschäftigt, mit immer neuen Erfindungen die Folgen seines eigenen Ideenreichtums zu bekämpfen. Seit teuflische Genies den Kartoffelchip ersannen, das Sofa, die gezuckerte Limonade und das Bier, sind Abertausende von gutgesinnten Erfindern mit immer neuen Gegenmitteln beschäftigt, fettarmen Crackern, Laufbändern, Fahrrad-Ergometern und Rudergeräten, zuckerfreien Getränken, alkoholfreiem Bier. Zu jeder Gerätschaft tritt irgendwann eine Antigerätschaft, zu jedem Gegenstand ein Gegengegenstand. Hatte einer das Schwert in die Welt gebracht, dachte sich ein anderer die Rüstung aus, um sich gegen das Schwert zu schützen, und schon war ein Dritter zur Stelle, um den Gerüsteten mit Sprengstoff in die Luft zu jagen, so ungefähr. Tat einem der Hintern vom Reiten weh, erfand er die Kutsche, die ihm bald zu langsam war, worauf das Auto in die Welt kam.
Das ist die Spirale, in der wir leben. Die einen sagen, es sei eine Spirale nach unten, die anderen behaupten, diese Spirale drehe sich nach oben, Dritte wiederum machen darauf aufmerksam, dass eine Spirale auch waagerecht am Boden liegen kann und man sich in ihr dann mal oben und mal unten befindet.
Aber noch mal zum Auto. Das Auto hat einen uralten Feind, das Schlagloch. Das Loch im Weg machte schon dem Reiter zu schaffen, dessen Ross sich darin den Huf verstauchte, es trieb den Postkutschenfahrer in bodenlose Wut, weil seinem Gefährt bei der Durchfahrt die Achse brach, es lässt bis heute einen Fahrer nach mehr Investitionen ins öffentliche Straßennetz rufen, wenn ihm auf der Fahrt von A nach B das Lenkrad plötzlich unters Kinn schlägt und das Dach aufs Haupt. Das Loch ist ein simpel strukturierter Gegner, es arbeitet mit einfachsten Mitteln, es ist – wie soll ich sagen? Es ist halt ein Loch.
Nun aber lese ich, in Hanau würden »intelligente Schlaglöcher« installiert, Actibump heißen sie, von einer schwedischen Firma konstruiert. Ein solches Schlagloch lässt den Wagen des gesetzestreuen Bürgers unberührt, es öffnet sich erst, als Klappe im Boden, wenn jemand mit überhöhter Geschwindigkeit herbeieilt. Dann aber, so heißt es in auto, motor und sport, sei es »deutlich wahrnehmbar«, den Fahrer ans Tempolimit erinnernd.
Faszinierend, nicht wahr? Dass der Mensch einerseits Maschinen konstruiert, die es ihm ermöglichen, irgendwelchen Emotionen folgend, menschengefährdend durch Hanau zu rasen. Dass er andererseits ein Loch technisch so aufzurüsten imstande ist, dass es dem Rasen Einhalt gebietet. Es ist eine Art Ringen mit sich selbst, das wir hier beobachten, wir sehen es in Hanau wie überall sonst. Der Mensch muss mühsam versuchen, seine eigenen Erfindungen zu bändigen, zu domestizieren, ihre Folgen zu mäßigen. Er schafft mit seiner Klugheit Autos, Atomkraftwerke, Kreuzfahrtschiffe, die von Idioten, Schlampern, Betrunkenen, Übermüdeten und Angebern benutzt werden, worauf er mit seiner Klugheit …
Wären wir Ameisen, wir würden uns selbst gebannt zuschauen. Aber wir sind halt mittendrin.
Was Hanau angeht: Wäre es nicht ein Experiment wert, nicht bloß intelligente Schlaglöcher zu konstruieren? Sondern wirklich Raser verschlingende Riesenlöcher, die sich bei Bedarf öffnen, um alle Rücksichtslosen aufzunehmen, sie in der Dunkelheit des hessischen Untergrunds verschiedenen, nicht allzu zaghaften Erziehungsmaßnahmen zu unterziehen, um sie als Geläuterte wieder auszuspucken? Wäre es nicht schön, einen Ort zu haben, und sei es eben Hanau, an dem Dummheit und Rücksichtslosigkeit ohne große Ankündigung einfach vom Erdboden verschluckt würden, mit einem Happs, einem Schmatz und Rülps und Gurgel? Das ist ein Traum, natürlich, aber das ist das Schöne am Menschen, dass er das auch kann, neben all dem anderen: bisschen träumen.