Kaum etwas hatte mich bis vor Kurzem weniger beschäftigt als die Frage, wer die Null erfand, ja, ich hatte mir bis dahin nicht einmal Gedanken gemacht, dass die Null überhaupt erfunden werden musste. Die Null ist das Nichts, und das Nichts war immer schon da – oder eben nicht da? Wobei die Null ja nicht das Nichts selbst ist, sondern nur ein Zeichen für dieses, einerseits. Andererseits: Steht die Null hinter der Eins, ist sie nicht einfach nichts, sondern sie verwandelt die Eins in etwas Größeres, seltsam, was? Kommt noch eine Null dazu, ist man bei 100. Zwei Mal Nichts verhundertfacht die Eins.
Das ist viel Rätselhaftes für ein schlichtes Gemüt wie mich.
Dann las ich in der Welt unter der Überschrift Die Null ist älter als gedacht einen Bericht, in dem es hieß, Wissenschaftler hätten in der Bibliothek der Universität Oxford ein sehr altes, siebzig Seiten umfassendes indisches Schriftstück analysiert, bei dem es sich wohl um ein Mathematiklehrbuch für Mönche handelt. Mit der Radiokarbonmethode fanden sie das Alter des Papiers heraus: Es stammt aus dem Jahr 300 v. Chr. Und es enthält Hunderte kleiner runder Nullen.
Das ist insofern erstaunlich, als man zwar schon bisher davon ausging, dass die Inder unsere Null erfunden hätten, aber erst 876 nach Christus. Wobei auch die Sumerer vor 5000 Jahren angeblich bereits ein Zeichen für Null hatten, aber das soll uns hier jetzt nicht beschäftigen. Man kann es in Robert Kaplans Die Geschichte der Null nachlesen. Festzuhalten ist nur, dass weder die alten Griechen noch die Römer eine Null in ihren Zahlensystemen kannten, sie kam aus Indien nach Arabien und von dort über Italien zu uns. Hat also einen erheblichen Migrationshintergrund.
Mir geht es mehr um diesen Heureka!-Moment, in dem jemand die Null entdeckte, nach Hause kam und sagte: »Ich habe die Null erfunden.«
»Was soll das sein?«
»Ein Zeichen für das Nichts. Und wahrscheinlich sehr viel mehr, das weiß ich noch nicht so genau.«
»Zeig mal her! – O, was für ein schöner Ring! Danke!«
Kaplan schreibt übrigens, die Null verdanke ihre Form wahrscheinlich der Tatsache, dass die Inder ihre Rechenbretter mit Sand bestreuten, um in diesen Sand Zeichen zu malen. Und dass sie gleichzeitig mit runden Steinchen auf diesen Rechenbrettern arbeiteten, und wenn man dann einen solchen Kiesel hob, war darunter: kein Sand. Ein kreisförmiges Nichts. Ein Vorläufer der Null. Oder hat stattdessen eines Tages einfach nur jemand ein Loch in einen Punkt gebohrt, also ein Nichts in ein Etwas? Und dann gesagt: Null? Oder hat er einem O links und rechts je eine Watschn mit dem flachen Spaten gegeben, und schon war eine 0 daraus geworden?
Fest steht: Ohne die Null wären wir heute nichts. Die ganze Digitalisierung basiert auf 0 und 1. Jedes Auto fährt mit vier Gummi-Nullen, zwei vorn, zwei hinten. Harry Potter blickte uns durch zwei Nullen vor den Augen an. Und sehen wir nicht auf vielen Gemälden über dem Haupte Jesu eine Null schweben? Null Bock, Null-Toleranz, null Uhr, null davon gäbe es ohne Null. Was sind die Erfinder der 4 oder der 5 gegen jenes Genie, das einst die Null entdeckte?
Dieser Moment damals, in dem ein großer Geist vor der ersten Null der Weltgeschichte stand oder saß oder lag, ich empfand ihn vor Kurzem ähnlich, als ich etwas sehr Bedeutendes entdeckte, eine bisher unbekannte Zahl nämlich, ich nannte sie Drölf. Es gibt auf meiner Tastatur kein Zeichen dafür, so revolutionär ist sie. Aber wenn man einst an der Universität Oxford nach den Ursprüngen der Drölf suchen und mit der Radiokarbonmethode dieses Heft untersuchen wird, dann weiß man: Das Jahr 2017 war das Jahr Null vor Drölf.
Illustration: Dirk Schmidt