Wir leben in Zeiten, in denen viele Menschen mit ihren Körpern unzufrieden sind. Sie lassen sich Fett absaugen, ihre Zähne weißen, wünschen sich kosmetische Operationen zu Weihnachten, hängen tagelang in Aroma-Saunen herum, betreiben Muskelaufbau, machen Diäten, möchten von innen heraus schön werden. Weniger besorgt scheinen die Leute um ihren Geist zu sein. Sie sehen Fernsehsendungen für Grenzdebile, lesen Bücher nicht, die man ihnen zu Weihnachten schenkt, interessieren sich für das Privatleben von Verona Pooth, sehen die falschen Filme, telefonieren zu viel.
Mir fällt gerade ein, dass der Körperkult erst begonnen hat, als man die damit zusammenhängenden Begriffe ins Englische übertrug. Wer machte Waldlauf, als der Waldlauf noch Waldlauf hieß? Kaum aber taufte man ihn Jogging, rannten wir morgens die Isar auf und ab. Fitness, Wellness – die Wörter der Zeit. Nicht ordentlich die Zähne putzen, aber den Zahnarzt um bleaching anbetteln, so läuft es heute! Vielleicht sollten wir es mit Geistestätigkeiten genauso machen? Nicht mehr »Lesen« sagen, sondern Reading? Oder Bookness? Die Buchhandlung in Bookcenter umbenennen? Selbst die Bäckerei heißt heute Backshop, was eigentlich »Rückenladen« bedeutet, also vielleicht für eine Physiotherapiepraxis geeignet wäre. (Aber to jog bedeutet ja auch »trotten, mühsam gehen«.) Backshop. Bitte, die Leute essen Brot wie verrückt. Henrik Ehrsson, ein schwedischer Wissenschaftler, berichtet, er habe am Kopf einer Schaufensterpuppe zwei Kameras befestigt, die mit Bildschirmen vor den Augen eines Menschen verbunden wurden. So habe der Mensch das Gefühl bekommen, er stecke im Schaufensterpuppenkörper, eine Illusion, die so gut funktionierte, dass die Hautspannung der Versuchsperson anstieg, als man die Puppe mit einem Messer bedrohte. Man kennt das von einem berühmten Experiment namens rubber hand illusion, »Gummihandtäuschung«. Da wird eine Hand eines Menschen auf einem Tisch hinter eine kleine Wand gelegt, sodass sie für den Besitzer nicht sichtbar ist. Vor seinen Augen liegt eine Gummihand. Beide Hände werden gleichzeitig mit Pinseln gestreichelt. Ergebnis: Der Mensch hält die Gummihand für seine wirkliche Hand, einfach, weil er sie sieht. Schließt er dann die Augen und wird nach seiner Hand gefragt, zeigt er auf die Kunsthand.
Ehrsson hat die Sache weiter getrieben und die Schaufensterpuppe durch einen realen Menschen ersetzt. Am Ende hatte die Versuchsperson das Gefühl, im Körper des anderen zu stecken, ja, als der sich umdrehte und dem Testmenschen die Hand gab, hatte dieser das höchst seltsame Empfinden, sich selbst die Hand zu schütteln. Ich war ein anderer, um mit Rimbaud zu sprechen. Wir alle müssten mal wieder Rimbaud readen.
Hier liegen natürlich unglaubliche Möglichkeiten für die von ihren eigenen Körpern Frustrierten. Man könnte gegen Geld die Körper anderer ausprobieren, durchtrainierte superbodies. Sehen, ob man das wirklich will. Man könnte testen, wie es sich anfühlt, Luca Toni zu sein. Oder Peer Steinbrück. Und Steinbrück könnte fühlen, wie es ist, ein normaler Bürger zu sein. Axel Hacke zum Beispiel. (Nein, da mache ich nicht mit; am Ende gefällt es ihm, er lässt mich nicht zurück, und ich muss die Bundesfinanzen sanieren. Und dauernd mit Helmut Schmidt Schach spielen.)
Was bedeutet das alles für unser Ich? Was wird Ich sein angesichts einer Zukunft, in der man seinen Körper verlassen und im Körper eines anderen weiterleben kann? Ratlos tippte ich »Ich« in die Suchmaske von Google. Es erschien, als Erstes!, die Internetseite einer Organisation namens »International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use«. Ich ist eine weltweite Organisation, die sich mit der Registrierung pharmazeutischer Produkte beschäftigt.
Das ist mir jetzt aber unheimlich.
Illustration: Dirk Schmidt