Sagte ich schon, wie gern ich mit der Bahn fahre? Im neuen mobil, dem Kundenmagazin der Bahn, nebenbei gesagt: der hundertsten Ausgabe (Vorwort Hartmut Mehdorn, hey, ein Sammlerstück!), findet sich ein Interview mit Harald Schmidt, in welchem er sagt, er könne das ewige Lamento von »Amateurreisenden« über die Bahn nicht mehr hören. Ja. Ich mag diese Anfänger auch nicht.
Und wie schön ist es doch immer, wenn die ICE-Türen sich zischend öffnen, man sich in seinen Großraum-sitz fallen lassen kann, der Schaffner kommt mit Wasabi-Nüssen, irgendwann wird auch der mobile Breznverkäufer zusteigen – und dann hat man Zeit, aus dem Fenster zu blicken und dem Gespräch des älteren Ehepaares hinter sich zu lauschen. Sie: »Alles so schön ordentlich da draußen.«Er: »Vorhin war da ein Angler…«
Sie: »Die Bauern haben alles in Schuss, kann man nicht meckern.«
Er: »Ja, ja.«
Sie: »Da lagen immer so drei oder vier Heuballen vorhin.«
Er: »Da ist wieder ein Angler.«
Sie: »Jetzt sind es immer so sechs oder sieben auf einmal.«
Er: »Ja, ja.«
Sie: »Muss schön warm sein, die sind alle luftig gekleidet.«
Er: »Ob die was fangen?«
So könnte es weitergehen, riefe uns nicht eine Lautsprecherstimme zu »Suppe von jungen Karotten und Ingwer« sowie »Rinderrouladen ›de luxe‹ mit Holunder-Möhrchen und Pommes Gratin« in den Speisewagen.
Welch unerhörte Verwöhntheit, Rinderrouladen »de luxe« zu essen, während man mit 250 Kilometern pro Stunde durch die Landschaft pfeift! War es nicht Loriot, der sagte, der Mensch sei das einzige Wesen, das im Fliegen eine warme Mahlzeit zu sich nehmen könne? Ja, und auch im schnellen Fahren.
Ich bestellte die Rouladen, wartete ein halbe Stunde, fiel hungrig über sie her, wunderbar!, auch über die Möhrchen, wunderbar!, wollte das Gratin gabeln… Es war gefroren, komplett. Die Kellnerin entschuldigte sich, nahm den Teller, kam zurück: Ob ich etwas anderes essen möchte? Oder einen Kaffee, als Entschädigung.
Nein, Kaffee, wozu Kaffee?
Bitte, noch mal Rouladen, Möhrchen, Gratin, warm. Das werde aber eine halbe Stunde dauern.
Dann geben Sie mir mein Essen zurück, nur ohne Gratin, mit etwas Brot, ich bin hungrig.
Das habe sie schon entsorgt.
Ein Herr in Uniform trat hinzu: Ich müsse entschuldigen, heute sei »Ausbildungstag«, die Leute im Speisewagen machten alles zum ersten Mal. Grübelnd blieb ich zurück: Nie hätte ich gedacht, dass man erst lernen müsse, ein Gratin sei warm zu servieren. Müssen die Armen ihre Gratins in den Bahnkantinen kalt lutschen, am Stiel? War Mehdorn so grausam?
Sie: »Nachher müssen wir beim Aussteigen dran denken, die Wasserflasche… Dass wir die nicht stehen lassen.«
Er: »Dann steck sie doch gleich in die Tasche.
«Sie: »Ich muss aber gleich noch mal was trinken.«
Er: »Mannheim. Mannheim hat doch dieses schöne Schloss.«
Vor anderthalb Wochen. Ich fuhr von Leipzig nach Berlin, Ankunft 14.20 Uhr stand auf dem Fahrplan, doch schon um zwei sausten wir in den Berliner Hauptbahnhof hinein. Zwanzig Minuten zu früh! Gerade noch konnte ich Notizbücher und Laptop raffen und hinausstürzen.
»Noch nie ist mir das passiert«, sagte ich später zu einem Bekannten. »Zwanzig Minuten! Zu früh! Die Bahn!«
»Mehdorn ist heute zurückgetreten«, sagte er.
»Dass sich das so schnell auswirkt…«, sagte ich.
Ein anderer Tag im Speisewagen. Rinderrouladen, Möhrchen. Das Gratin war dieses Mal nur innen gefroren, außen weich. Man nähert sich den Lernzielen.
Illustration: Dirk Schmidt