Diesen Text habe ich an einem Mittwoch geschrieben. Ich hätte ihn ohne Probleme bereits am vorhergehenden Dienstag verfassen können, ich wäre dann sogar entspannter gewesen, nicht so unter Zeitdruck. Vielleicht hätte ich dienstags einen besseren Text geschrieben, wer weiß? Mit leichterer Hand? Aber ich schrieb nicht dienstags. Ich schrieb mittwochs. Am Dienstag dachte ich: Lies noch etwas über den Gegenstand deines Textes, warte die Mittwochszeitungen ab, vielleicht enthalten sie
Entscheidendes, deinen Text wesentlich Beeinflussendes. Vielleicht wird dir auch am Dienstagabend ein Gedanke kommen, der dem Text eine entscheidende Pointe gibt – und dann wäre dieser Text aber bereits geschrieben. Auch sind viele Banküberweisungen zu tätigen, dachte ich dienstags, und es schreibt sich schlecht im Schatten ungetätigter Banküberweisungen. Und: Da war dienstags ein Termin in der
Autowerkstatt, Winterreifen betreffend. Es wäre nicht gut, so mein dienstäglicher Gedanke, mit dem Werkstatttermin im Nacken zu arbeiten. Sodass dieser Text also mittwochs entstand, in allerletzter Sekunde, aber mit Winterreifen.
Bruno sagt, es gebe einen Fachbegriff für dieses Verhalten: Prokrastination. Man erledigt morgen, was man heute hätte besorgen können, jedenfalls wenn es wichtig ist. Vorher tut man Unwichtiges – warum? Weil man sich vor dem Wichtigen fürchtet. Weil man es perfekt erledigen will. Weil man das Unwichtige kennt, vor ihm keine Angst hat. Man redet sich ein: Ich möchte frei sein für das Wichtige. Dabei schiebt man das Wichtige vor sich her, bis es unaufschiebbar geworden ist. Ein anderer Fachbegriff laute, sagt Bruno: Studenten-Syndrom.
Immer noch bin ich zum Beispiel unentschieden, was die Schweinegrippenimpfung angeht. An einem Tag bin ich rabiater Impfgegner, am nächsten denke ich: Ach … Dann wieder wache ich nachts auf in dem Gefühl: Bist du verrückt? So eine schwere Krankheit, du hast viel zu tun im Winter und impfst dich nicht? Ich habe so viel über die Schweinegrippenimpfung gelesen, dass ich ohne Vorbereitung an einer Podiumsdiskussion zu dem Thema teilnehmen könnte. Aber jeden Tag denke ich: Vielleicht kommt morgen ein richtungweisender Artikel, oder jemand gibt mir ultimativen Expertenrat.
So zaudere ich mich in den Herbst, dann womöglich durch den Winter, ungeimpft, in Gedanken immer bei der Impfung. Wir warten jetzt mal die ersten Impfungen im persönlichen Umfeld ab. Studieren die Nebenwirkungen an Freunden. Hören, was berichtet wird. Bloß kenne ich niemanden, der sich gegen die Schweinegrippe impfen lassen will.
Aber vielleicht lerne ich ja morgen einen kennen.
Interessantes Wort übrigens: verimpfen. »Gleichgültig, was verimpft wird, es gibt immer Nebenwirkungen«, hat der Sprecher des Gesundheitsministeriums gesagt. Verimpfen, das klingt in diesem Zusammenhang ein bisschen nach: »Wir versaufen unser Oma ihr klein’ Häuschen.« Wir verimpfen unserm Staate sein’ klein’ Haushalt. Wie wäre es mit einer Prokrastinationsverimpfungskampagne?
Was mir aber auf die Nerven geht, sind Schlagzeilen wie: »Politiker bekommen besseren Impfstoff als das Volk« oder so. Dazu ein Blick in die Leserkommentare bei bild.de: »Klar doch, der einfache Bürger bekommt den billigen miesen Impfstoff aus Tumorzellen. Und unsere Politiker ziehen sich den teueren edlen gezüchteten Stoff rein. Is ja besser, wenn die Bürger draufgehen.« Das fasst man nicht, ganz unabhängig vom Sachverhalt: diesen ungezügelten »Politiker«-Hass! Vielleicht sollte man ab und zu Schlagzeilen drucken wie: »Volk macht sich gemütliche Abende, während Politiker in Hinterzimmern tagen
müssen« oder »Bevölkerung gibt sich dem Familienleben hin, während Abgeordnete ihre Kinder nur am Wochenende sehen können«.
Ist doch wahr.
Dirk Schmidt (Illustration)