Vor längerer Zeit habe ich in einem Text mal behauptet, Butter würde in der Nähe von Brüssel im Tagebau der Erde abgerungen, in großen Hallen gelagert, schließlich verkauft. Darauf bekam ich einen Leserbrief: Was für dummes Zeug ich verbreiten würde, Butter werde aus Milch gemacht, die man in Bewegung versetze, sie werde so fest.
Der Rest der Leserschaft rührte sich nicht. Die Leute nahmen meine Behauptung hin. Sie glaubten mir.
Auch aus der Welt der Physik hört man neuerdings ungeheuerlichste Dinge. Kürzlich berichteten Wissenschaftler, sie hätten »Hinweise« entdeckt, dass es »Teilchen« gebe, die rascher als Licht flögen, eine revolutionäre Entdeckung. Bisher dachte man, nichts sei schneller als Licht.
Wie haben die Leute einen solchen Fund gemacht? Sie hätten, sagen sie, »einen Strahl von Neutrinos« vom Teilchenbeschleuniger in Genf aus 730 Kilometer weit ins Gran-Sasso-Massiv in Italien gelenkt, wo sich ein unterirdisches Labor befinde. Neutrinos seien, sagen die Wissenschaftler, »Teilchen mit äußerst geringer Masse«, die selbst Gestein durchdringen. 15 000 solcher »Teilchen« habe man auf die Reise geschickt. Als sie ankamen, seien sie 20 Millionstel schneller gewesen als Licht.
Nun kann man einem wie mir viel erzählen. Ich habe Physik in der zwölften Klasse abgewählt, lange her, beinahe wäre ich wegen dieses Fachs durchs Abitur gefallen. Ich kokettiere damit nicht. Deutschland lebt vom technischen Fortschritt, wir brauchen viele Physiker, wir benötigen die besten Mathematiker, bei uns müssten Naturwissenschaften als sexy gelten, Philosophen haben wir genug, wobei ich andererseits durchaus der Meinung bin, das man nie wirklich ausreichend Philosophen haben kann.
Was ich sagen will: Das mit den superschnellen, erdkrustepenetrierenden Teilchen muss ich einfach glauben, genau wie ich es hinzunehmen habe, dass drei Wissenschaftler den Nobelpreis zuerkannt bekamen, die entdeckten, unser Weltall habe sich nach der Entstehung durch einen Urknall vor 14 Milliarden Jahren etwa 7,5 Milliarden Jahre lang in geringer werdender Geschwindigkeit ausgedehnt, seitdem steige das Tempo aber wieder.
Tja. Das kann natürlich jeder sagen. Aber nicht jedem glaubt man es, das macht den Unterschied. Nicht jeder kann so was widerspruchslos sagen.Zum Beispiel gibt es seit 1994 die These, die Stadt Bielefeld gebe es nicht, sie sei eine Erfindung der Geheimdienste. Bloß: Ich bin persönlich schon mehrmals nach Bielefeld gereist; ich versichere, dass Bielefeld existiert.
Anders verhält es sich mit Wolfsburg. Neulich wurde bekannt, dass schon zum dritten Mal ein ICE, obwohl er dort hätte halten müssen, in Wolfsburg nicht hielt. Erklärt wurde das mit irgendwelchem Mitarbeiterversagen; Wolfsburg solle das um Himmels willen nicht persönlich nehmen, hieß es. Aber das kann eigentlich nicht wahr sein. Denn einen entsprechenden Vorgang hat es noch in keiner anderen deutschen Stadt gegeben, nicht in dieser Häufung. Also muss es etwas mit Wolfsburg selbst zu tun haben.
Ich persönlich bin der Ansicht, dass es Wolfsburg zwar gibt, aber nicht immer. Die Stadt verschwindet manchmal für einige Stunden, die Bahn kann nichts dafür, Wolfsburg nimmt sich dann eine Auszeit, es wird vom Erdball eingeatmet und bald wieder ausgehustet, dann steht es da, als wäre nichts gewesen. Mag sein, dass Wissenschaftler Wolfsburg für Experimente benötigen, es deshalb stundenweise ausborgen und durch die Erdkruste ins Gran-Sasso-Massiv schießen.
Mag auch sein, dass Wolfsburg sich seit seiner Gründung immer weiter ausdehnt, sich dann aber für einen kurzen Zeitraum auf Sandkorngröße zusammenzieht, um explosionsartig wieder »Wolfsburg« zu sein. Mag drittens sein, dass die Bevölkerung Wolfsburgs bisweilen beim Butter-Abbau im Landkreis Brüssel helfen muss; die Stadt wird derweil in einer Höhle aufbewahrt. Mag alles sein. Kann jeder sagen, oder? Der Unterschied ist: Mir glaubt man’s.
Illustration: Dirk Schmidt