Wie jedes Jahr konnte ich auch heuer kaum die Liste der zehn interessantesten neuen Tier- und Pflanzenarten erwarten, wie immer veröffentlicht vom International Institute for Species Exploration an der Arizona State University. Wenn es um Tiere und Pflanzen geht, denkt man ja in der Regel an das Aussterben, das Verschwinden, das Ende. Es ist aber so, dass Biologen Jahr für Jahr 20 000 unbekannte Arten entdecken. Und die Leute von der Arizona State University haben ein Komitee ins Leben gerufen, dass die jeweils zehn besten aussucht, in diesem Jahr zum Beispiel mein neues absolutes Lieblingstier, den Teufelswurm Halicephalobus mephisto.
Dieser Teufelswurm ist nur einen halben Millimeter lang und lebt in Schacht 3, Ebene 26, Korridor 28 der südafrika-nischen Goldmine Beatrix 1,3 Kilometer unter der Erde. Kein irdisches, mehr als einzelliges Wesen existiert in größerer Tiefe; das Wasser, in dem man den Teufelswurm fand, hatte seit mindestens 4000 Jahren keinen Kontakt zur Außenwelt, das heißt, dieser Wurm lebt seit Abertausenden von Jahren im Innersten unseres Globus, ohne auch nur den Schatten einer Ahnung davon zu haben, dass es außer ihm noch eine andere Art von Leben geben könnte, ja, er führt ein Dasein, wie es durchaus auch viele Menschen schon mal für sich herbeigesehnt haben, Bastian Schweinsteiger zum Beispiel nach seinem verschossenen Elfmeter im Finale von München: absolute Ruhe, komplettes Für-sich-Sein, die Abwesenheit von jedem fremden Wollen – und vor allem die totale Nichtexistenz jeder Art von Publikum.
Wie das wohl ist, wenn man plötzlich von einer fremden Art entdeckt wird? Wenn man sehr, sehr lange in der Tiefe einer Goldmine lebte – und plötzlich berührt einen ein Forscherfinger. Und jemand zückt einen Ausweis, eine Stimme sagt: »Arizona State University, Komitee für unentdeckte Tiere. Sind Sie der Teufelswurm?« Und man antwortet mit rostiger, leicht blubbernder, seit Ewigkeiten unbenutzter Stimme: »Okay, ihr habt mich.«
Wird eines Tages auch jemand uns entdecken, den Menschen? Wird aus dem Blau des Himmels oder aus tief hängenden Wolken ein Bohrmeißel sichtbar werden, der zu uns vordringt? Der ein Loch mit bröckelnden Rändern öffnet, durch das uns ein gigantisches Wesen, dessen Fingernägel groß wie Hochhauswände sind, ins Gleißen einer unbekannten Dimension hebt? Wo man uns als seltsam surreale Kleinorganismen katalogisiert, erforscht, und vielleicht unter Lupen mit scharfen Mikro-Messern ein klein bisschen aufschneidet?
Interessanterweise ist ja übrigens der Mensch mittlerweile in der Lage, nicht nur Wesen zu entdecken, sondern auch solche zu schaffen: Vor Kurzem gingen in Spanien einige Robo-Fische in Dienst, die das Hafenwasser von Gijon nach Verschmutzungen absuchen. Auch las ich einen Bericht über Roboter, die auf Stelzen über Äcker wandern, nach Unkraut suchen und dieses dann jäten. Drittens haben, so informierte ich mich, »US-Forscher« einen künstlichen Esel entwickelt, ein vierbeiniges, indes kopfloses Wesen, das neben amerikanischen Soldaten durch Kriegsgebiete wandert, deren Lasten auf dem Rücken tragend. Ja, das Ding kann sogar alleine per GPS seinen Weg durch Wälder und Berge finden. Schubst man es um, erhebt es sich wieder. Taucht ein Hindernis auf, weicht es ihm aus. Gibt man ihm einen Befehl, folgt es dem.
Der Mensch, führend auch im Nutztierbau! Da sind wir gut, da gelingt uns vieles, und man würde unseren Besten sogar zutrauen, nicht nur Hilfsgeschöpfe zu bauen, sondern auch Lästiges, künstliche Wespen oder Schmeißfliegen zum Beispiel, vielleicht sogar den quintessenziellen Superplagegeist, ein lärmend fliegendes, tief stechendes, intensiv stinkendes, Marmor fressendes Kunstinsekt, das meterhohe Exkrementhaufen zielgenau fallen lässt. Auch dies würden wir gewiss erschaffen können.
Wird es uns eines Tages aber auch einmal gelingen, zwecklos in größter Tiefe lebende Würmer herzustellen?
Illustration: Dirk Schmidt