Im Berliner Tagesspiegel las ich einen Artikel über den Einsiedlerkrebs Pagurus bernhardus, ein seltsames Tier, bei dem man das Gefühl hat, es handele sich nicht um ein Geschöpf Gottes, sondern des Berliner Senats.
Die Stadt Berlin ist ja darauf spezialisiert, Projekte zu betreiben, die nicht funktionieren: Zum Beispiel gibt es den Fußballverein Hertha BSC, dem es selbst unter Führung des Großtrainers Rehhagel (der doch sogar Griechenland zur Fußball-Großmacht formte) nicht gelang, in der ersten Liga zu bleiben. Auch von der Berliner S-Bahn, den dortigen Schulen und Straßen ist nicht das Beste zu berichten. Das Zentrum der Stadt: eine apokalyptische Mischung von Baulöchern, Umleitungen und Absperrungen, die von Betrunkenen auf sogenannten »Bierbikes« besichtigt wird. Zuletzt trat Berlin mit dem Bau eines Flughafens hervor, der nicht eröffnet werden konnte. Vielleicht wird dort im kommenden Jahr ein Passagier landen, eventuell nie. Mit dem Einsiedlerkrebs Pagurus bernhardus ist es nun so: Man hat bei seiner Erschaffung vergessen, ihm auch eine Panzerung seines Hinterteils zu verpassen, er hat nur vorne Schalen. Rückwärtig aber, wo seine empfindlichsten Organe sitzen, ist er schutzlos. Er muss sich deshalb leere Schneckenhäuser suchen, in die er sein Hinterteil steckt – eine unfassbare Fehlplanung.
Leider werden nun aber offenbar ausgerechnet diese Schneckenhäuser knapp. Angeblich beziehen, um im Wortsinne ihren Arsch zu retten, mittlerweile ungefähr ein Drittel aller Einsiedlerkrebse in den USA im Grunde ungeeignete Behausungen, Coladosen, Shampooflaschen und derlei Zivilisationsmüll, nicht mal Wayne Rooney wünschte man so etwas als Behausung. Nicht nur zu Lande hat Amerika eine Immobilienkrise, auch zu Wasser.
Der in Kalifornien lebende Software-Techniker Miles Lightwood hat nun aber beschlossen, den Krebsen zu helfen. Er entwarf künstliche Plastikgehäuse verschiedener Größe, die von unterschiedlich großen Krebsen bewohnt werden könnten. Zurzeit wird erforscht, welche Farben von den Tieren bevorzugt würden. Auch ist die Frage zu klären, ob die Krebspoposchachteln sich aus Umweltschutzgründen nach einer Weile im Meer auflösen oder lieber dauerhaften Charakter haben sollten. Man sieht, der Mensch lässt nicht locker im Bemühen, die Mängel der Schöpfung zu beseitigen. Wenn er aber in der Lage ist, sogar die skandalösen körperlichen Mängel des Einsiedlerkrebses auszugleichen, müsste es dann nicht auch möglich sein, die Probleme Berlins zu lösen?
Wenn dort zum Beispiel ein sehr schöner Großflughafen zwar gebaut werden kann, dann aber unbenutzbar ist – wäre es dann nicht sinnvoll, Berlin weltweit weitere Aufgaben dieser Art zuzuweisen? Man hätte dann zum Beispiel die Volksabstimmung in München über den Bau einer dritten Start- und Landebahn am Airport nicht benötigt, sondern die Planung dieser Bahn einfach dem Berliner Senat übertragen. Dann wäre sicher nie was draus geworden. Aber man hätte wenigstens einen Schuldigen gehabt und sich den Gang in die Wahlkabine gespart. In diesem Sinne könnte die Berliner Regierung eine Art Geschäftsstelle für nicht zu bewältigende Probleme werden: Griechenland-Krise, Atommüll-Entsorgung, Klimakatastrophe – das alles ist, wie wir wissen, sowieso nicht zu schaffen. Also übernimmt Berlins Kommune die Planung der Projekte, bringt sie dem Scheitern noch zügiger entgegen und trägt dann auch Schuld daran. Die ganze Welt wüsste Bescheid: mal wieder Berlin, tja, war ja klar, wohin es führen würde. Dies alles gegen gute Bezahlung, womit auch dem Berliner Stadthaushalt geholfen wäre.
Ebenfalls im Tagespiegel las ich, die Stadt benötige ein neues Leitbild, einen Zukunftsentwurf, die Ära des Bürgermeisters Wowereit gehe zu Ende, der Slogan »Arm, aber sexy« sei nicht mehr zukunftsträchtig. Aber das hier, das wär’s doch: Berlin als Zentralstelle des Unlösbaren, die Weltagentur des Scheiterns. Und wir anderen wären frei fürs Schöne und Positive, für das Gelingen.
Illustration: Dirk Schmidt